Josef Gerstmann
Geb. am: |
17. Juli 1887 |
Fakultät: |
Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: |
Vertriebene WissenschafterInnen |
Josef GERSTMANN, geb. am 17. Juli 1887 in Lemberg/Galizien [L'vov/Ukraine], gest. am 23. März 1969 in New York/USA, war der Sohn von Joachim Gerstmann und Bertha, geb. Zucker. Nach der Reifeprüfung am deutschen Gymnasium in Lemberg 1907 begann er ein Studium an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Am 29. November 1912 erwarb er den Grad eines Dr. med. Anschließend war er bis Februar 1914 Aspirant bzw. Sekundararzt und Assistent an der II. medizinischen Abteilung des Wiener Allgemeinen Krankenhauses. Im Ersten Weltkrieg diente Gerstmann als Sanitätsoffizier in einem Militärspital für Nerven- und Geisteskrankheiten an der italienischen Front. Anschließend arbeitete er an der psychiatrisch-neurologischen Klinik unter Julius Wagner-Jauregg, wurde 1921 habilitiert und war Dozent für Psychiatrie und Neurologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. 1929 wurde ihm der Titel eines außerordentlichen Professors verliehen. 1930 wurde er außerdem Leiter der Nervenheilanstalt "Maria-Theresien-Schlössel". Sein Hauptarbeitsgebiet waren die Psychiatrie, die Neurologie sowie die Hirnpathologie. Er ist besonders bekannt für seine Beschreibungen des Gerstmann-Syndroms (1924-30) und des Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndroms (1936 gemeinsam mit
Ernst Sträussler und Ilya M. Scheinker).
Josef Gerstmann wurde im Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen verfolgt und am 22. April 1938 seines Amtes als Dozent enthoben ("Venia legendi widerrufen") und von der Universität Wien vertrieben. Auch als Leiter der Nervenheilanstalt wurde er entlassen.
Er entschloss sich rasch aus Österreich zu emigrieren und erhielt am 25. März 1938 sein Einreisevisum für die USA. Über London/Großbritannien konnte er gemeinsam mit seiner Ehefrau Martha in die USA emigrieren. Auf dem Schiff (S.S. Aquitania) das am 14. Juni 1938 in New York ankam, befand sich auch Gerstmanns ehemaliger Kollege, der Neurologe
Otto Marburg.
Im Oktober 1939 begann Gerstmann unbezahlt an der New York Presbyterian Hospital’s Vanderbilt Clinic zu arbeiten im Dezember 1939 erhielt er seine Zulassung als Arzt. Gerstmann war zunächst am Springfield/Ohio State Hospital tätig, von 1940 bis 1941 war er Research Assistant und Neurology Consultant am St. Elisabeth's Mental Hospital in Washington, D.C. 1941 kehrte er nach New York zurück, wo er bis 1946 zunächst als Research Assistant, dann als Research Associate am New York Neurological Institute sowie parallel als Attending Neuropsychiatrist am Post-Graduate Hospital sowie als visiting neurologist am Goldwater Memorial Hospital arbeitete. Am 1. September 1943 erhielt Josef Gerstmann die US-Staatsbürgerschaft.
Der Besitz der Familie Gerstmann in Wien wurde im März 1941 von der Gestapo beschlagnahmt und 1944 in den Besitz des Deutschen Reiches übernommen. Nach Kriegsende dauerte es noch bis Ende 1948, bis der Besitz an sie restituiert wurde.
Am 14. Juli 1942 wurde ihm der Doktorgrad aus rassistischen Gründen aberkannt, da er im Nationalsozialismus 'als Jude als eines akademischen Grades einer deutschen Hochschule unwürdig' galt.
Erst 13 Jahre nach der Aberkennung und lange nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde ihm der Doktorgrad am 15. Mai 1955 wieder zuerkannt, bzw. die Aberkennung für 'von Anfang an nichtig' erklärt.
Josef Gerstmann praktizierte Neurologie in 240 Central Park South, New York, und war Mitglied zahlreicher internationaler Fachgesellschaften.
Er starb am 23. März 1969 in New York City.
Lit.: MERINSKY 1980, 71-73b; Lazaros C. TRIARHOU, Josef Gerstmann (1887–1969), in: Journal of Neurology, Vol. 255, issue 4 (April 2008), 614-615; Lawrence A. ZEIDMAN, Matthias Georg ZILLER u. Michael SHEVELL, “With a Smile Through Tears”: The Uprooted Career of the Man Behind Gerstmann Syndrome, in: Journal of the History of the Neurosciences: Basic and Clinical Perspectives 2014; Lawrence A. ZEIDMAN, Matthias Georg ZILLER u. Michael SHEVELL, Gerstmann, Sträussler, and Scheinker. The persecution of the men behind the syndrome, in: Neurology 83/3 (15.Jul.2014), 272-277; UB MedUni Wien/van Swieten Blog.
Katharina Kniefacz und Herbert Posch