Geb. am: | 08. März 1917 |
Fakultät: | Philosophische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Annemarie HECHT (gesch. SCHWARZ, verh. PORDES), geb. am 8. März 1917 in Wien/Österreich-Ungarn (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Tochter von Kinderarzt Privatdozent Dr. Franz Adolf HECHT (tit. a.o. Univ.-Prof.), wohnte in Wien 9, Alser Straße 24, war zuletzt im Wintersemester 1937/38 an der Philosophischen Fakultät im 5. Studiensemester inskribiert und belegte Vorlesungen in Psychologie und Pädagogik.
Sie wurde im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen Gründen gezwungen, das Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen (Abgangszeugnis vom 23. Mai 1938).
Annemarie mußte aus Wien flüchten und konnte noch rechtzeitig emigrieren. Ihr Bruder Hans Georg Hecht war bereits einige Jahre zuvor nach Argentinien ausgewandert und hatte dort eine Österreicherin geheiratet. Ihr Vater a.o. Univ.-Prof. Franz Adolf HECHT beging am 19. Dezember 1938 62-jährig Selbstmord im nationalsozialistischen Wien. Ihre Mutter Margarethe HECHT (geb. EISERT, 1887-1942[?]) konnte nach dem Suizid ihres Mannes Anfang 1939 noch nach Frankreich emigrieren, wurde dort aber festgenommen und der deutschen NS-Besetzung übergeben und nach Auschwitz deportiert wo sie später ermordet wurde. Ihr genaues Todesdatum ist derzeit nicht bekannt.
Annemarie Hecht emigrierte alleine in die USA, aber bald weiter nach Shanghai, wohin ihr Verlobter und Studienkollege Ernst SCHWARZ emigrieren konnte, den sie dort heiratete. Sie lebten in der privilegierten "French Concession" und sie verwirklichte sich dort mit einer Freundin den Traum von der beruflichen Selbstständigkeit. Der bald gewinnbringende englischsprachige Kindergarten "Alice in Wonderland", den sie entgegen allen Widrigkeiten auch während der Besatzung der Kriegsjahre und noch bis 1949 weiter betrieb, sicherte ihr eine finanzielle Unabhängigkeit. Sie blieb aber von Tiefschlägen nicht verschont, erkrankte an Kinderlähmung und ließ sich nach anhaltenden Ehekrisen von Ernst SCHWARZ scheiden.
Später heiratete sie Friedrich PORDES, einen Studienkollegen aus Wien, der 1938 sein Chemiestudium im 5. Semester abbrechen musste und von der Universität vertrieben wurde. Er konnte noch 1938 über Dänemark nach Shanghai auswandern.
Ihr Urteil über die Jahre in Shanghai war weitgehend positiv, gelang doch dort ihre Selbstverwirklichung – auch ohne Studium - und die Entwicklung vom behüteten bürgerlichen Wiener Mädchen, plötzlich angewiesen auf sich selbst, zur durchsetzungsfähigen Frau von Welt. Auch nach Kriegsende, als ihre Freundin in die USA ausgewandert war, setzte Annemarie Pordes den Kindergarten- und Schulbetrieb fort. Sie gehörte auch zu den wenigen deutschen und österreichischen Flüchtlingen, die nach dem Krieg in Asien blieben. Sie verließ Shanghai erst nach der Machtübernahme der Kommunisten 1949.
1950 übersiedelte Annemarie PORDES mit ihrem Mann Friedrich und den nunmehr bereits zwei Söhnen nach Hong Kong, damals britische Kronkolonie wo sie lange als Sprachlehrerin für Deutsche Sprache am Bundesdeutschen Goethe-Institut und an der Deutsch-Schweizerischen Schule in Hong Kong arbeitete.
Annemarie Pordes kehrte 1997 nach Wien zurück wo sie am 25. Oktober 2002 starb und am Friedhof Döbling beigesetzt wurde.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale PHIL 1937–1938; Michael Andreas FRISCHLER, "Little Vienna" in Shanghai - auf den Spuren von Melange und Wiener Schnitzel im Paris des Ostens. Eine kultur- und kommunikationswissenschaftliche Betrachtung, ungedr. phil. Dipl. Univ. Wien, Wien 2009, 102-103; Georg ARMBRÜSTER, Michael KOHLSTRUCK u. Sonja MÜHLBERGER (Hg.), Exil Shanghai 1938-1947. Jüdisches Leben in der Emigration, Berlin 2000, 138f.; Yad Vaschem Archives (YVA) 078/105 Memoir of Annemarie Pordes; Irene EBER, Wartime Shanghai and the Jewish Refugees from Central Europe: Survival, Co-Existence and Identity in a Multi-Ethnic City (= New Perspectives on Modern Jewish History 1), Berlin/Boston 2012 [https://www.degruyter.com/view/product/179473]; Irene EBER, Voices from Shanghai: Jewish Exiles in Wartime China, Chicago London (The University of Chicago Press), 2008; freundlicher Hinweis von ihrem Sohn Richard Pordes, 07/2018.
Herbert Posch