Geb. am: | 28. März 1916 |
Fakultät: | Philosophische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Während ihres Studiums hatte sie u.a. engen Kontakt zu ihren Studienkollegen Harald Erhardt und Ernst Friedrich Kollmann. Nachdem sie das Wintersemester 1937/38 als Auslandsstudiensemester an der Universität Straßburg/Frankreich verbracht hatte, inskribierte sie im Sommersemester 1938 wieder an der Universität Wien und wurde nach dem „Anschluss“ im März im Rahmen des Numerus clausus für jüdische Studierende formal noch zum Weiterstudium bis zum Semesterende zugelassen.[5] Ihre Dissertation lag Ende 1938 fertig vor, sie konnte ihr Studium an der Universität Wien aber nicht mehr abschließen, da sie nach nationalsozialistischen Rassegesetzen als Jüdin galt. Unterstützung erhielt sie jedoch von zwei Lehrenden, Eduard Castle – dessen Tochter Reinhild sie Französischunterricht gegeben hatte – und Gertrud Herzog-Hauser, die beide 1938 aus politischen Gründen von der Universität Wien entlassen wurden und Elfriede Pichler im April 1939 jeweils ein Empfehlungsschreiben ausstellten. Castle, bei dem Elfriede Pichler im Sommersemester 1937 „Interpretationsübungen an Wagners Ring“ belegt hatte, betonte darin ihre Kenntnisse der Französischen Sprache, die sie während zwei Aufenthalten in Frankreich perfektioniert habe.[6] Herzog-Hauser, bei der Pichler 1935/36 Kurse über „Ovids Festkalender“ und „Vergils Hirtengedichte“ besucht hatte, lobte ihre Aufmerksamkeit, ihren Fleiß, ihre Begabung für das Fach der klassischen Philologie sowie ihre „außergewöhnliche[n] Eignung für den wissenschaftlichen und pädagogischen Beruf“: „trotz ihrer Jugend drang sie in die schwierigsten Probleme der Altertumskunde und Sprachwissenschaft ein und wusste die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Bemühungen stets in sachlich und sprachlich einwandfreier Weise vorzubringen.“[7]
Das Gefühl, die Universität verlassen zu müssen, beschrieb Elfriede Pichler später als „heartbroken“ – noch Jahre nach dem Ausschluss bewahrte sie eine Postkarte mit einem Bild der Universität Wien neben ihrem Bett auf und hielt Kontakt zu früheren StudienkollegInnen.[8]
Ihre Mutter organisierte für sie eine Möglichkeit, als Krankenpflegeschülerin („trainee nurse“) nach Großbritannien auszureisen, wohin Elfriede Pichler im Mai 1939 alleine emigrierte.[9] Erst kurze Zeit vor der Emigration hatte sie begonnen, Englisch zu lernen. Ihr Vater Leopold Pollitzer wurde 1941 von Wien in das Ghetto nach Opatow und Lagow deportiert und ihre Mutter Valerie Pollitzer 1942 nach Theresienstadt und 1944 weiter nach Auschwitz – beide Eltern sowie einige weitere Verwandte wurden in der Shoah ermordet.[10] Ab Juni 1939 arbeitete Elfriede Pichler als Krankenschwester in Ausbildung in Salisbury, bis die britische Regierung im Juni 1940 alle ausländischen Beschäftigten aus dem Krankenpflegebereich entfernte („alien restrictions“). Sie arbeitete anschließend weiter als Hausmädchen und Krankenschwester – zunächst für eine ältere Frau in London, später, als die Gesetze wieder gelockert wurden, in einem Krankenhaus in Leichester.[11]
1941 lernte Elfriede Pichler einige Quäker kennen, die sich für die Integration von ImmigrantInnen engagierten und ihr ein Stipendium sowie Unterkunft zur Verfügung stellten, mit dem sie ihre Universitätsstudien in Französisch wieder aufnehmen konnte. Noch im Oktober 1941 nahm sie ein Studium an der Universität Birmingham auf – zu der die Quäker eine traditionell enge Bindung hatten –, das sie am 3. Juli 1943 nach sechs Semestern mit dem Grad des B.A. (Honours in French First Class) abschloss. Am 30. Juni 1945 folgte der Grad eines M.A. mit einer Arbeit über den französischen Schriftsteller und katholischen Sprachphilosophen Léon Bloy (1846-1917), die mit dem „Constance Naden Medal prize for the best M.A. of the year“ ausgezeichnet und in Folge in die englische Sprache übersetzt sowie publiziert wurde. Daneben arbeitete sie 1943 bis 1946 als Mittelschullehrerin für Deutsch und Französisch.[12]
Mit einem Reisestipendium der Universität Birmingham studierte sie 1946/47 in Paris, wo sie an einer Arbeit für ein Doctorat d’Université zu arbeiten begann, und erhielt nach ihrer Rückkehr eine Stelle als Assistant Lecturer in Französisch an der Universität Sheffield. Ab Herbst 1948 arbeitete sie in selber Funktion an der Universität Durham, King’s College, Newcastle-on-Tyne.[13] An dieser Universität (1960 umbenannt in Universität Newcastle) blieb sie bis zu ihrer Pensionierung 1978.
In Frankreich hatte sie auch ihren späteren Ehemann Pierre Dubois kennengelernt, den sie 1948 heiratete, 1949 wurde ihr Sohn Dominique geboren.[14]
Sie erhielt die britische Staatsbürgerschaft.
1964 wurde Elfrieda Dubois Senior Lecturer am Department of French Studies der Universität Newcastle. Neben dem Sprachunterricht lehrte sie an der Universität besonders in ihrem Spezialgebiet, der Literatur des 17. Jahrhunderts (auf Undergraduate und Postgraduate Level). Daneben gab sie auch Lehrveranstaltungen über Literatur des 20. Jahrhunderts für fortgeschrittene Studierende, war als Tutorin für französische Literatur der meisten Epochen tätig und betreute auch akademische Abschlussarbeiten (Ph.D. und M.Litt.). Ihre eigenen Forschungen bewegten sich besonders auf dem Feld der französischen Literatur des 17. sowie des 20. Jahrhunderts.[16]
1970 schloss Elfrieda Dubois auch noch ihr 1946 begonnenes Studium in Paris mit einer Dissertation über „Rapin, l‘homme et L‘oeuvre“ mit „mention très honorable“ ab und erhielt den Titel „Docteur ès lettres“.[17] Damit hatte sie drei akademische Grade in drei verschiedenen Sprachen in drei verschiedenen Ländern erworben. In der Dissertation behandelte sie Leben und Werk des Jesuitenpriesters, Poeten und Kritikers Père René Rapin (1621-1687). Die Arbeit wurde nie als Gesamtwerk publiziert, doch floss sie in ihre Edition von Rapins „Les Réflexions sur la Poétique“ ein, die 1970 veröffentlicht wurde. Im Bereich der Literatur des 17. Jahrhunderts erschien 1972 außerdem ihre Edition von Jean Rotrous Tragödie „Le Véritable Saint-Genest“ (1645) und 1987 jene von Philippe Quinault‘s Tragikkomödie „Stratonice“ (1660), die zu Dubois‘ Hauptwerken zählen.[18]
Infolge der Promotion in Paris erhielt sie 1973 ein „Personal Readership“ in Französisch am Department of French Studies der Universität Newcastle. Elfrieda Dubois trat 1978 ihre Pension an, setzte ihre Forschungen jedoch weiterhin fort: ihren letzten Vortrag hielt sie im Alter von 84 Jahren und verfasste ihre letzte Buchrezension im Alter von 89 Jahren.[19]Ihre Pension verbrachte sie in Oxford und in der Pariser Vorstadt Chatou. Ihr Ehemann Pierre Dubois, der Philosophie an der Universität Paris-X (Nanterre) lehrte, starb 1988.[21]
Elfrieda Dubois lebte seit 2010 im „Saint Teresa's Home for the Elderly“ in Wimbledon, London, wo sie am 24. Oktober 2013 im Alter von 97 Jahren verstarb.[22]
Quellen:
Archivalien: Archiv der Universität Wien (AUW), Philosophische Fakultät: Nationale Wintersemester 1935/36 bis Sommersemester 1937, Rigorosenprotokoll (RP) Nr. 18.333, Rigorosenakt (RA) Nr. 18.333 v. 1952 [Curriculum Vitae (CV)]; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Datenbank Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer. (Leopold Pollitzer, Valerie Pollitzer); Privatarchiv Dominique Dubois, GB, Nachlass v. Elfrieda Dubois [Curriculum Vitae (CV) und Publikationsliste (ca. 1971), Empfehlungsschreiben von Eduard Castle und Gertrud Herzog-Hauser, April 1939; „Report of Committee on a Personal Readership in the Faculty of Arts (16th July)“, meeting of Senate, University of Newcastle upon Tyne, 25. 9. 1973]; Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Historische Meldeunterlagen, Auskunft vom 26. 3. 2014.
Lit.: Nachruf von ihrem Sohn Dominique Dubois, Alumni remembered, University of Birmingham, 2013; Nachruf von Prof. Màire Cross: "The story of Dr Dubois 1916-2013: A shining example of dedication to French Studies", The Alumni Association, Newcastle University, 2014; Katharina KNIEFACZ u. Herbert POSCH, Elfriede Pichler Dubois, in: Ilse Korotin (Hg.), Wissenschafterinnen in und aus Österreich. Leben – Werk – Wirken, Band 2, Wien 2017; Marlene NOWOTNY, Vertrieben und dann erfolgreich, in: science.orf.at, 14.08.2015; Richard PARISH, In Memoriam: Dr. Elfrieda Dubois, in: Seventeenth-Century French Studies 36/2 (2014), 172-173; The Academic Who’s Who. University teachers in the British Isles in arts, education and social sciences, 1973-1974. London 1973; KNIEFACZ/POSCH 2017b; KNIEFACZ/POSCH 2017c.
Katharina Kniefacz und Herbert Posch
[1] Archiv der Universität Wien (AUW), Philosophische Fakultät, Nationale Wintersemester 1935/36 bis Sommersemester 1937.
[2] Auskunft ihres Sohnes Dominique Dubois 2013.
[3] AUW, Philosophische Fakultät, Rigorosenprotokoll (RP) Nr. 18.333 v. 1952.
[4] AUW, Nationale, u. Philosophische Fakultät, Rigorosenakt (RA) Nr. 18.333 v. 1952, CV.
[5] AUW, Nationale 1938.
[6] AUW, Nationale 1937; Privatarchiv Dominique Dubois, GB, Nachlass v. Elfrieda Dubois, Empfehlungsschreiben von Eduard Castle, April 1939.
[7] Nachlass, Empfehlungsschreiben von Gertrud Herzog-Hauser, April 1939.
[8] Auskunft von Dominique Dubois 2013.
[9] Abmeldung von Wien nach England am 25. Mai 1939; Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Historische Meldeunterlagen, Auskunft vom 26. 3. 2014.
[10] Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Datenbank Namentliche Erfassung der österreichischen Holocaustopfer [http://www.doew.at/personensuche].
[11] Auskunft von Dominique Dubois 2013
[12] Richard PARISH, In Memoriam: Dr. Elfrieda Dubois, in: Seventeenth-Century French Studies 36/2 (2014), 172-173; AUW, RP, RA: CV; Nachlass: CV (ca. 1973).
[13] AUW, RA: CV; Nachlass: CV (ca. 1973).
[14] PARISH 2014.
[15] AUW, RP, RA.
[16] Nachlass: CV (ca. 1973).
[17] Nachlass: CV (ca. 1973).
[18] PARISH 2014.
[19] Auskunft von Dominique Dubois 2013.
[20] PARISH 2014.
[21] PARISH 2014.
[22] Auskunft von Dominique Dubois 2013/14.