Geb. am: | 25. August 1914 |
Fakultät: | Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Otto FLEISCHNER (später: FLEMING), geb. am 25. August 1914 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Sohn von Hermann (1881-1944, Kaufmann) und Camilla Fleischner, geb. Goldmann (1882-1944), wohnte in Wien 13, Wattmanngasse 7. Er hatte ab 1925 das humanistische Gymnasium in Wien 13., Fichtnergasse besucht und 1933 dort die Reifeprüfung (Matura) abgelegt und begann im Wintersemester 1933/34 an der Universität Wien Medizin zu studieren.
Er heiratete am 17. Dezember 1937 im Wiener Stadttempel seine Studienkollegin Hilda Braun und war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 10. und letzten Studiensemester inskribiert und arbeitete auch als Hospitant in der Prosektur des Anatomischen Instituts.
Er hatte am 9. Mai 1938 bereits das Absolutorium erhalten, hätte sich also – theoretisch – zu den Rigorosen anmelden können, wurde aber im Rahmen des 2% numerus clausus für jüdische studierende im Sommersemester 1938 nicht mehr zugelassen worden, seien Frau hingegen, die ebenfalls im 10. Studiensemester war, schon. Rund drei Wochen später stellte sie den Antrag, von ihrer Zulassung zurückzutreten und diese auf ihren Mann zu übertragen, was Dekan Pernkopf nach Rücksprache mit der NS-Studentenführung am 26. Juni 1938 genehmigte. Er konnte somit noch weiter studieren und seine Frau erhielt eine Woche später ein Abgangszeugnis der Fakultät und musste die Universität ohne Studienabschluss verlassen. Aber auch ihm gelang es nicht mehr, sein Studium in den wenigen so gewonnen Wochen noch abzuschließen.
Otto Fleischner und seine Familie mussten aus Wien fliehen und ihm und seiner Frau gelang es noch rechtzeitig, das Land zu verlassen und mit einem Visum für Shanghai in das Britische Mandatsgebiet Palästina [Israel] zu emigrieren wo sie beide am 8. Juli 1938 ankamen und zwar nicht als Mediziner, aber die nächsten vier Jahre als Masseur/Masseurin arbeiten konnten. Er hatte in Wien noch an der Fango-Heilanstalt Kurse für Bademeister und Masseure absolviert, ebenso wie Kurse im Chauffieren und für Kosmetik, um seine Chancen auf Arbeit in der Emigrtion zu erhöhen.
Seine Eltern konnten nicht mehr rechtzeitig emigrieren, wurden am 9 Oktober 1942 nach Theresienstadt [Terezín/Tschechien] deportiert und von dort am 19. bzw. 23. Oktober 1944 nach Auschwitz [Oswiecim/Polen] deportiert und ermordet.
Otto und Hilda Fleischner lebten und arbeiteten in Tel Aviv und wurden im Mai 1941 Staatsbürger von Palästina und Otto Fleischner war 1942-45 in der Britischen Armee in Palästina im Medical Corps, die letzten beiden Jahre auf einem Lazarettschiff.
Gegen Ende der Militärzeit kam es 1945 zur Scheidung der ersten Ehe - seine Frau bleib vorerst in Palästina - und er emigrierte nach Großbritannien, wo er versuchte sein Medizinstudium abzuschließen. Nach vielen Absagen konnte an der St. George's Hospital Medical School, Hyde Park Corner, London studieren, musste aber die Hälfte des Studiums und der Prüfungen nochmals wiederholen (wurde mit dem Begley-Preis für die beste Gesamtnote in Anatomie und Physiologie ausgezeichnet). 1946 konnte er in der Armee abrüsten, sich voll dem Studium widmen und Ende 1948 zu den Abschlussprüfungen antreten und erhielt im Jänner 1949 das Doktordiplom, MRCS Eng (Member of the Royal Colleges of Surgeons of Great Britain and Ireland) und LRCP Lon. (London Royal College of Physicians).
Unmittelbar darauf heiratete er am 5. Februar 1949 in Kensington, London, Dorothy Oppenheimer (1928-2020), eine Wienerin, die mit einem Kindertransport 1939 nach England gekommen war. Sie änderten den Familiennamen später in Fleming und hatten drei Kinder, Michael Jonathan, David Anthony und Caroline Ruth.
Er arbeitete bis 1951 als House Officer in verschiedenen Krankenhäusern, wurde dann Vertreter bei einem Allgemeinmediziner in Brighton und wurde 1952 bis 1979 praktischer Arzt in Mexborough, einem Bergbaudorf im Norden Englands.
Er wurde 1957 Mitglied des neu gegründeten Royal College of General Practitioners, studierte ab 1970 im Auftrag des Gesundheitsministeriums Gesundheitszentren und war auch Vorsitzender der Doncaster Division of the British Medical Association, Mitglied des Local Medical Committee, des Medical Services Committee und des Disability Committee des Arbeitsministeriums und forschte 1972 über mögliche Zusammenhänge zwischen Depressionen und der Einnahme der Antibabypille.
1979 übernahm er eine Praxis in Sheffield leitete auch die Klinik für Drogenabhängigkeit an der psychiatrischen Abteilung der University of Sheffield und lehrte an der dortigen medizinischen Fakultät und wurde zum Leiter (provost) der Sheffield faculty of the Royal College of General Practitioners gewählt und war 1982-84 Klinischer Assistent in der Klinik für Drogenabhängige des Royal Hallamshire Hospital, Sheffield.
1987 ging er in Pension
Am 4. Oktober 1999 wurden er und fünf weitere 1938 vertriebene Medizinstudierende von der Universität Wien geehrt und erhielten - mit 61 Jahren Verspätung - ihr Doktordiplom verliehen. Im Folgenden Auszüge aus seiner damaligen Dankesrede:
"Vorerst will ich in meinem Namen und im Namen der anderen Ehrenpromovenden sagen, wie sehr wir diese Ehrung und auch den freundlichen und großzügigen Empfang schätzen.
In 1938 war das ganz anders. Ich muss das beschreiben, da wenige von ihnen Zeuge jener Tage sind und vielleicht damals noch nicht geboren waren.
[...] wir lebten damals ein normales bürgerliches Leben und waren an der Schwelle unserer Laufbahn als Ärzte. Mit dem "Anschluss" wurde aber unsere Welt zerschmettert. Die; Jahre unseres Studiums waren vergebens, wir wurden gedemütigt, von ehemaligen Kollegen geächtet, wir wurden verfolgt, unser Leben bedroht und wir wurden aus der Heimat vertrieben, ohne irgendein Fachkenntnis, dass es uns ermöglicht hätte, einen Lebensunterhalt zu verdienen; Medizinstudent ist ja kein Beruf!
Dann folgten viele Jahre, bis wir wieder ein einigermaßen normales
Leben führen konnten. In diesem Bezug war unser Schicksal nicht anders als das von tausenden anderen Flüchtlingen.
Mit einer Ausnahme: Ich bin altmodisch genug, um in einer Universität nicht nur ein Institut zu sehen, in dem man ein Fach lernt, welches später einen Lebensunterhalt ermöglicht. Ich sehe vielmehr in der Universität eine akademische Gemeinschaft, eine Gemeinschaft von Gelehrten, von Studenten und Forschern.
Wir beschränkten uns nicht nur auf Medizin, sondern gingen auch gelegentlich zu Vorlesungen in anderen Fakultäten, um andere Ideen zu hören und unseren Horizont zu erweitern. Da bestand ein Band, das Lehrer und Lernende vereinigte, da wir alle strebten unser Wissen zu vergrößern und zu vertiefen. Darum wurden wir auch "Kollegen" genannt. Dieses Band wurde plötzlich abgeschnitten.
Die akademische Gemeinschaft kam unter den Einfluss einer Ideologie, deren Basis nur Hass und Arroganz war, nur dünn verkleidet mit einer Pseudowissenschaft.
Plötzlich wurden wir für unwürdig erklärt einer akademischen Gemeinschaft anzugehören! Wir wurden als minderwertig bezeichnet und von der Universität ausgeschlossen; hinausgeworfen ist vielleicht ein besserer Ausdruck.
Das war besonders erstaunlich in der medizinischen Fakultät, wo die biblische, hippokratische und humanistische Ethik immer als selbstverständlich angesehen wurde.
Diese war eine weitere Wunde, die erst nach vielen Jahren heilte, obwohl es uns gelang, nach großen Schwierigkeiten, unser Studium im Ausland zu beenden.
Was uns heute eine so große Freude bereitet, ist nicht nur der außergewöhnlich liebe Empfang, der wir hier genossen haben, sondern auch die Zeichen, dass die Universität Wien, und besonders die medizinische Fakultät, jene unwürdige Episode überwunden hat und versucht ihre Einsicht und Gefühle für das geschehene Unrecht auszudrücken.
Es ist unser Wunsch und Hoffnung, dass die Wiener medizinische Fakultät wieder ihren angesehenen und weltberühmten Platz in der Welt einnimmt."
Dr. Otto Fleming, geb. Fleischner, starb am 23. März 2007 in Sheffield/GB und ist am dortigen Ecclesfield Jewish Cemetery beigesetzt.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1933-1938, GZ MED 1250 ex 1937/38, Rektorat GZ 722/II ex 1937/38; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 384; USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, Interview 34938 (5. August 1997, Sheffield, England/UK, Interviewer: Allan Kassel), 7 tapes 02:54:54; Dr. Otto Fleming im Projekt "Juden in Hietzing"; Nachruf; www.geni.com; www.ancestry.de; www.myheritage.at; freundlicher Hinweis von Sohn David Magen und Enkelin Neta Magen, Israel, 11/2022.
Herbert Posch