Geb. am: | 04. Mai 1914 |
Fakultät: | Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Amelie MERDINGER, geb. am 4. Mai 1914 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), Tochter von Dr. Adolf Merdinger (Arzt), wohnte in Wien 6, Mariahilfer Straße 33 bzw. in Wien 9, Währinger Straße 3, war im Wintersemester 1937/38 an der Medizinischen Fakultät im 4. Studiensemester inskribiert, pausierte im Sommersemester 1938 und war dann erst im Wintersemester 1938/39 wieder an der Medizinischen Fakultät im 5. Studiensemester inskribiert (Wintersemester 1938/39 wurde ihr am 22. April 1939 als gültig angerechnet).
1937 gab sie bei der Inskription als Vater den Arzt Dr. Adolf Merdinger an, 1938 dann als leiblichen Vater einen verstorbenen Landwirt mit Vornamen Leopold und Dr. Adolf Merdinger nur als ihren Vormund. Sie war evang. AB, und erklärte eidesstattlich, "Arierin" zu sein und konnte nach dem "Anschluss" 1938 daher vorerst weiterstudieren. Sie hatte Ende 1941 bereits alle Lehrveranstaltungen absolviert sowie das erste Rigorosum bestanden als ein Bescheid des Reichssippenamtes Berlin von 1941 ihren Vater Dr. med. Adolf/Aron Merdinger, der bis dahin als "Mischling 2. Grades" galt zum "Volljuden" erklärte, womit sie von einer "Arierin" zu einem "Mischling ersten Grades" erklärt wurde. Als bei der Überprüfung der Prüfungsprotokolle festgestellt wurde, dass Amalie Merdinger noch keinen Ariernachweis erbracht hat wurde ihr die Ablegung von Prüfungen vorerst untersagt.
Daraufhin ersuchte sie Ende Oktober 1941 den Dekan, die offenen Abschlussrigorosen zumindest bedingt ablegen zu dürfen (rechtskräftige Anerkennung erst nach Genehmigung des Berliner Reichserziehungsministeriums (REM)). Dies wurde am 31. Oktober 1941 vom Dekan weitergeleitet mit dem Bemerken, dass Merdinger nach bisherigen Untersuchungsergebnissen als "Mischling 1. Grades" gelte, nach ihren eigenen Angaben aber Vollarierin sei, dies nur noch nicht mit Dokumenten belegt sei. Im verpflichtend beizubringenden Gutachten des Dekans über die "rassische und charakterliche Eignung" stellte dieser fest: "Es ist ihrem Aussehen eigentlich nichts Jüdisches zu entnehmen. Die Genannte ist mir soweit bekannt, dass ich nichts Nachteiliges über sie zu sagen weiss". Dennoch lud er sie aber zwei Wochen später nochmals vor, und lieferte daraufhin folgende Ergänzung bzw. Korrektur zu seiner ersten Einschätzung dem REM nach: "Ich habe sie vorgeladen, jedoch bin ich nicht in der Lage, über ihr Aussehen etwas Zuverlässiges zum Gesuch mitteilen zu können, da ich nachträglich erfahren habe, dass sie ihre Haare blond färbt und daher das Aussehen stark dadurch verändert wird."
Am 9. Februar 1942 entschied das REM (Erl. WF 317), dass ihr die Ablegung der Abschlussprüfungen definitiv untersagt wird, da sie als "Mischling 1. Grades" auch gar keine Aussicht auf "Bestallung" (Praxiszulassung/Berufszulassung) habe, was ihr über den Weg Rektor und Dekan am 10. März 1942 mitgeteilt wurde und den erzwungenen Abbruch des fast fertigen Medizinstudiums aus rassistischen Gründen bedeutete. Sie musste die Universität Wien verlassen und arbeitete als chirurgische Assistentin.
Sie konnte erst nach dem Ende des Nationalsozialismus wieder um Zulassung zu den letzten offenen Prüfungen ersuchen, bestand diese und konnte am 6. November 1945 nach der damals wieder eingeführten österreichischen Studienordnung zur "Dr.med. univ." der Universität Wien promovieren und Ärztin werden.
Sie starb im Oktober 1992 78jährig in Wien und ist am Wiener Zentralfriedhof/Feuerhalle bestattet.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1935-1941; RA GZ 944 aus 1941/42, MED Promotionsprotokoll M 33.14, 1314; Verstorbenensuche Friedhöfe Wien; REITER-ZATLOKAL/SAUER 2024; freundlicher Hinweis von Dr.in Barbara Sauer, Wien 10/2019.
Herbert Posch