Geb. am: | 20. Februar 1912 |
Fakultät: | Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Bernhard HASPEL, geb. am 20. Februar 1912 in Demycze/Zablatov, Österreich-Ungarn/Galizien [später Polen [Zablotow/Ukraine], (heimatberechtigt in Demycze/Polen [Ukraine], Staatsbürgerschaft: Polen), Sohn von Wolf Haspel (geb. 1883 in Nowosielica, Soldat, später Kaufmann), und der Giecie [Gusta] (geb. Schächter, geb. 1892 in Zablatov) und wohnte in Wien 20, Staudingergasse 14/34.
Kurz nach seiner Geburt wurde sein Vater nach Wien versetzt und die gesamte Familie übersiedelte im August 1912 für sieben Monate nach Wien XX, zog dann aber wieder weg, da sein Vater wieder in Galizien stationiert wurde und siedelte sich erst im Juni 1927, aus Pomorze kommend, dauerhaft wieder in Wien an wo sich sein Vater mit wenig Erfolg als Kaufmann zu etablieren versuchte. Die Familie wohnte in Wien 20, Staudingergasse 14 - bis 1931 in der Wohnung TOP 40, dann bis 1939 in der Wohnung TOP 34, und 1939/40 in TOP 25.
Bernhart Haspel verbrachte aber seine Schulzeit in Wien wo er, aus Galizien kommend, ab September 1921 als Schüler gemeldet war.
Er besuchte das Zvi-Perez Gymnasium und maturierte am Realgymnasium Wien 2 und im Sommer 1931. Aus bescheidenen Verhältnissen stammend und nach eigener Aussage "als Zionist geboren" wurde er bereits mit fünf Jahren Mitglied der linken zionistischen "Schomer Hatzair"-Bewegung, war sportlich sehr engagiert und musste sich später das Studium in Wien selbst finanzieren (und als Nicht-Österreicher hatte er die dreifachen Studiengebühren zu zahlen).
Er inskribierte im Wintersemester 1931/32 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und belegte zwei Semester lang Lehrveranstaltungen des Jus-Studiums, wechselte aber bereits im darauffolgenden Jahr im Wintersemester 1932/33 an die Medizinische Fakultät, nicht zuletzt weil er schon damals an Auswanderung dachte und beruflich weniger sprachabhängig sein wollte.
Anfang der Dreißigerjahre wurde Bernhard Haspel nämlich Goalie der Hockey-Nationalmannschaft. Er revolutionierte die Torhütertechnik durch Paraden, die er vom Fußball übernahm. Drei Mal wurde er mit Hakoah Staatsmeister, zwei Mal Cupsieger. 1937 beim Länderspiel gegen Ungarn war der Tormann Haspel der letzte jüdische Nationalspieler, der Österreichs Farben trug. Wegen der Maccabia war er 1935 in Anatomie durchgefallen und verlor ein Semester: "Das war der Preis, den ein fanatischer Sportler eben zu bezahlen hatte."
Antisemitismus war dabei das tägliche Brot der jüdischen Sportler (wie auch der jüdischen Studierneden). "Wie wir auf dem Währingerplatz gegen den langjährigen Meister die Meisterschaft gemacht haben, da sind die Zuschauer nach dem zweiten Tor auf den Platz und haben einige von uns ohnmächtig geprügelt." Seiner späteren Ehefrau, der Meisterschwimmerin Judith Deutsch erinnert sich noch Jahrzehnte später, wie bei den Schwimmwettbewerben die Kraftsportler der Hakoah dagegen mobilisiert wurden: "Wenn wir das Bad verlassen haben, dann waren die Mädeln in der Mitte, die Burschen außen, und die Boxer und Ringer haben uns eskortiert."
Der Hockeyspieler und Medizinstudent war zuletzt im Wintersemester 1937/38 an der Medizinischen Fakultät im 10. Studiensemester inskribiert (Absolutorium ausgestellt am 3. November 1938).
Nach dem "Anschluss" 1938 war er aus rassistischen Gründen gezwungen sein Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen, konnte aber nach längerer Unsicherheit, doch noch unter zahlreichen symbolischen Diskriminierungen im Rahmen einer "Nichtarierpromotion" promovieren, bei gleichzeitig ausgesprochenem Berufsverbot im gesamten Deutschen Reich. Er selbst erinnert sich: "Ich war der letzte Jude, der in Wien promoviert hat. Im Taxi bin ich von Prüfung zu Prüfung gefahren. Der Dekan hat mir nicht einmal die Hand gegeben. Die Promotionsurkunde hat er mir nur so hingeschmissen." Das war am 31. Oktober 1938, zehn Tage vor der "Kristallnacht".
Seine Eltern konnten nicht mehr emigrieren, sein Vater Wolf Haspel wurde am 2. Oktober 1939 aus Wien in das KZ Buchenwald deportiert, wo er am 23. Dezember 1940 ermordet wurde (seine Urne wurde am 24. Jänner 1941 am Zentralfriedhof, Alter Jüdischer Friedhof, bestattet), seine Mutter Giecie (Gusta) Haspel wurde am 5. März 1941 aus Wien deportiert nach Modliborzyce und kam ebenfalls in der Shoah um.
Bernhart wurde am 31. März 1939 von der Wiener Wohnung abgemeldet nach "unbekannt". Er emigrierte nach Palästina [Israel]. Sein späterer Schwiegervater konnte ein paar britische Studentenzertifikate kaufen und mit einem davon gelang es, den jungen Arzt Bernhart Haspel aus dem nationalsozialistischen Wien herauszuholen. Er scherzte später darüber: "Ich hab' kein Geld gehabt, um das zurückzuzahlen, da hab' ich sie eben geheiratet." Zur Hochzeit 1939 sind alle Einwohner von Herzlia Pituach geladen - damals 24 an der Zahl. Nachher, die Braut im weißen Kleid, ihr Vater mit Melone, stapft man durch die Dünen, um Bäume zu pflanzen, die heute groß und stark in einem Park stehen.
Zu seiner Frau Judith Deutsch Haspel
Judith Deutsch wurde 1918 in Wien-Hietzing geboren, als Tochter eines wohlhabenden zionistischen Kaufmanns, Vertreter einer großen Schweizer Firma, der auch Vorturner der Damenriege des 1. Wiener Jüdischen Turnvereins war, Oberbaurat Dipl.-Ing. Theodor Deutsch und seiner Frau, Dr.phil. Rachel Deutsch, geb. Ostermann, einer der ersten promovierten Germanistinnen Österreichs, der im Nationalsozialismus ihr 1914 erworbenes Doktorat aus rassistischen Gründen wieder aberkannt wurde.
Als sich herausstellte, dass Judith Deutsch sehr gut schwimmen konnte, trat sie als Schwimmerin in den SC Hakoah ein und wurde mehrfache österreichische Meisterin und Rekordhalterin in verschiedenen Schwimmdisziplinen war, Elfte der Weltrangliste über 400 Meter Freistil und Trägerin der goldenen Ehrennadel des Österreichischen Marathon-Komitees. Sie nahm 1935 an der 2. Maccabia in Tel Aviv teil, begleitet von ihrer Mutter als Anstandsdame und auch um aufzupassen, dass Judith nicht wie viele andere Sport KollegInnen vielleicht vorzeitig in Palästina bliebe. Sie gewinnt dort nicht nur eine Gold- und eine Silbermedaille, sie bekommt durch die TeilnehmerInnen aus Deutschland auch Informationen aus erster Hand über die Zustände im Dritten Reich unter dem Naziregime. Sie, die 1935 zur Sportlerin des Jahres gewählt worden war, ist als eine der besten Schwimmerinnen auch Teil der Olympischen Mannschaft für die Olympiade in Berlin 1936.
Nach all diesen Eindrücken und aus politischer Überzeugung schreibt sie aber dem Schwimmverband und dem Österreichischen Olympischen Komitee höflich, dass sie als Jüdin nicht teilnehmen kann, "weil mir das mein Gewissen verbietet". Die Hakoah Schwimmerinnen Ruth Langer und Lucie Goldner schließen sich an, auch der Ringer Erich Fincsus und die Leichtathleten Gottlieb und Neumann lehnen eine Teilnahme ab. Das Internationale wie auch das Österreichische Olympische Committee hatten jüdischen SportlerInnen zuvor ausdrücklich das Recht auf den Olympiaverzicht eingeräumt, die Reaktion des österreichischen Schwimmverbands schlug freilich in die Gegenrichtung aus. Deutsch, Goldner und Langer wurden auf Lebenszeit gesperrt, sämtliche Titel wurden ihnen aberkannt. Die Sperren wurden erst nach internationaler Aufregung auf zwei Jahre reduziert. Deutsch sollte später festhalten: "Mir erschien es als unmöglich, in Schwimmbädern zu schwimmen, in denen das Schild ,Hunden und Juden der Eintritt verboten' nur für die Zeit der Olympiade abgenommen wurde."
Aller gutbürgerlichen Integration zum Trotz stand für die gesamte Familie schon lange fest, dass sie geschlossen ins staubige Pionierland Palästina gehen würde, sobald ihre jüngere Schwester Johanna maturiert hätte - britische Zertifikate lagen ebenso bereit wie Geld in der Schweiz und nach dem sogenannten "Anschluss" war es für die Familie soweit. Und ihr Vater konnte sogar für Bernhard Haspel 1938 ein Studentenzertifikat erwerben und ihn aus Wien herausholen. 1939 heiratete die beiden in Palästina [Israel] und Judith Deutsch-Haspel wurde im selben Jahr noch Israelische Schwimmmeisterin und repräsentierte die Hebrew University bei den World University Games (einen Tag vor der Invasion in Polen).
Während noch lange vom österreichischen Schwimmverband eine Rehabilitierung ihrer sportlichen Leistungen aufgrund ihres Boykotts gegen Hitlers Berliner Olympiade abgewiesen wurde, erfolgte doch bald ein Umdenken und 1995 bzw. 1999 wurde sie rehabilitiert und der Präsident des österreichischen Schwimmverbands flog eigens nach Israel, um sich bei der früheren Starsportlerin zu entschuldigen und ihr mitzuteilen, dass ihre Titel und Schwimmrekorde wieder in das Österreichischen Schwimmrekorde-Buch aufgenommen würden - mit nur einem halben Jahrhundert Verspätung!
Judith Deutsch wurde in die International Jewish Sports Hall of Fame als Vertreterin jener AthletInnen aufgenommen, die 1936 an den Olympischen Wettkämpfen in Berlin hätten teilnehmen können, es aber vorzogen, die Spiele zu boykottieren. 2004 erschien der beeindruckende Dokumentarfilm "Watermarks", der das Leben von Judith Deutsch-Haspel und ihrer damaligen Schwimmkolleginnen verfilmte.
Kurz vor der Österreich-Premiere des Films starb sie 86jährig am 20. November 2004 in Hezrliya, Israel.
Der Wiener Gemeinderat beschloss am 11. Februar 2014 einen geplanten, neu zu errichtenden Steg nach Judith Deutsch zu benennen, der am 6. Mai 2015 als Judith-Deutsch-Steg in Wien Leopoldstadt eröffnet wurde. Er bildet die Verlängerung der Holubstraße und verbindet die neuen Wohngebiete zwischen Brigittenauer- und Reichsbrücke mit dem Donauufer (über den stark befahrenen Handelskai und über die 12 Gleise der Nordbahnanlage hinweg als barrierefreie Steganlage für FußgängerInnen und RadfahrerInnen mit eigener Solarenergieanlage).
In Israel
Bernhard Haspel, war als Absolvent des legendären jüdischen Zwi-Peretz-Chajes-Gymnasiums in Wien-Leopoldstadt der Meinung, die hebräische Sprache zu beherrschen, und begann selbstsicher als Sportlehrer an der Marineschule in Haifa zu arbeiten. Da wurde ihm schmerzlich bewusst, dass der historische und bildungsbürgerliche Wortschatz im Alltag unbrauchbar war. Er musste täglich acht Stunden lang jede Übung stumm vorzeigen bis er rasch auch ein alltagstauglichen hebräischen Wortschatz erarbeitet hatte. Allen Differenzen mit der britischen Besatzungsmacht Palästinas zum Trotz war es für ihn als bewussten Juden wichtig, an der Bekämpfung der nationalsozialistischen Aggression mitzuarbeiten und er dienst, frisch verheiratet, von 1940 bis 1946 beim britischen "Royal Army Medical Corps" in Ägypten, Zwei Jahre davon in Ismailia, die für seine junge Frau "die schwerste Zeit meines Lebens, inklusive aller schweren Zeiten hier in Israel", aufgrund der schlechten Versorgungslage und der gesellschaftlichen Spannungen. "Vor der britischen Uniform hatten die Araber Respekt - nur als Rommel bis El Alamein vordrang, haben sie uns ganz gut angespuckt." Ob als Engländer oder als Juden, bleibt ungeklärt.
Politisch hat der frühere Linkssozialist in Israel einen weiten Bogen durchlaufen. "Das sogenannte Gemeinschaftsleben im Kibbuz hat mir missfallen. Als Individualist lasse ich mich in meinen Gedanken und Bewegungen nicht gern leiten." Das Ehepaar Deutsch-Haspel besucht trotz aller negativen Erfahrungen auch immer wieder Österreich, wo noch Verwandte leben. Judith Deutsch-Haspel versichert: "Pas de sentiments, pas de ressentiments!" Bernhart Haspel differenziert: "Was ich an Kultur und Erziehung habe, habe ich dort bekommen. Ich will wieder dort sein, ich will die Sprache haben, die Sitten sehen, ins Theater, in die Oper gehen, die Dinge, die mich gebildet und geformt haben, wieder aufnehmen. Ich kann nicht gut zu einer anderen Kultur beitragen, wenn ich nicht behalte, was ich bekommen habe." Und das Böse? "Ich nehme es als etwas, das gewesen ist. Es ist schwer, aber ich will lieber in der Zukunft leben."
Im Juni 1988/89 wurde Bernhard Haspel durch die feierliche Erneuerung seiner 50 Jahre alten Promotionsurkunde geehrt. Die Botschaft Österreichs, das ihn hinausgejagt hat, veranstaltete für ihn eine Party in seinem eigenen Land, das gibt Hoffnung für die Zukunft.
2018 widmen Ben Segenreich und Daniela Segenreich-Horsky in ihrem Buch "Fast ganz normal: Unser Leben in Israel" auch ein anschauliches Kapitel dem Leben des Ehepaares Judith und Bernhart Deutsch-Haspel.
Lit.: POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 401; freundlicher Hinweis seines Sohnes Benjamin Haspel, Israel 06/2018, Ben Segenreich u. Daniela Segenreich-Horsky, Fast ganz normal: Unser Leben in Israel, Wien 2018; Wikipedia zu Judith Haspel Deutsch; www.derStandard.at 2014; WienGeschichteWiki; Die Wochenzeitung Nr. 45/2009 vom 5. November 2009; www.hagalil.com 2009; unlearnd lessons; Matthias Marschick: "Wir boykottieren nicht Olympia, sondern Berlin." Drei jüdische Schwimmerinnen schreiben Geschichte, in: Diethelm Blecking, Lorenz Peiffer (Hg.), Sportler im "Jahrhundert der Lager". Profiteure, Widerständler und Opfer. Göttingen 2012, 188–193;Film Watermarks wiki / youtube trailer / ImDB; John Bunzl, Hoppauf Hakoah. Jüdischer Sport in Österreich von den Anfängen bis in die Gegenwart, Wien 1997; Susanne Helene Betz, Monika Löscher u. Pia Schölnberger, Hg., "... mehr als ein Sportverein". 100 Jahre Hakoah Wien 1909–2009, Innsbruck, Wien u. Bozen 2009; Benennung Judith Deutsch Steg: Stadt, Steg, wiki]; REITER-ZATLOUKAL/SAUER 2022.
Herbert Posch