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Ester Berta Steinklein

Geb. am: 16. Mai 1913
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene Studierende

Ester Berta STEINKLEIN, geb. am 16. Mai 1913 in Zborów, Galizien [später Polen, heute: Sboriw|Зборів/Ukraine] (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Tochter von Bernard (Berl) Steinklein (Kaufmann) und Antonia/Tenia Steinklein (geb. Sommerstein), wohnte in Wien 20, Leystraße 23/Stg.V/4. Sie hatte im Sommersemester 1936 begonnen an der Universität Wien Medizin zu studieren und war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 5. Studiensemester inskribiert.

Sie wurde im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen Gründen gezwungen, das Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen (Abgangszeugnis vom 24. September 1939).

Bertas Eltern waren während des Ersten Weltkrieges 1916 vor der Front in Galizien nach Wien geflüchtet - ihr Vater war 1883 in Kabarowce, Galizien [Kabarivtsi|Кабарівці/Ukraine], ihre Schwester 1907 und sie selbst 1913 im nahen Zborów [Sboriw|Зборів]. Berta lebte mit den Eltern, ihrem Zwillingsbruder Wilhelm und ihrer älteren Schwester Viktoria seither in Wien-Brigittenau, wo ihr Vater, zuvor Buchhalter und Kassier, seit 1919 als Kaufmann arbeitete, seit 1926 ein eigenes Textilwarengeschäft in der nahen Klosterneuburgerstraße hatte. Ihr Vater war in der zionistischen Bewegung aktiv engagiert, spendete und übernahm Funktionen in der Bezirks- und Fürsorgekommission der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG). Mit dem "Anschluss" im Jahr 1938 änderte sich das Leben der Familie, wie für viele andere jüdische Familien, drastisch.

Die Familie musste aus Wien fliehen. Noch im Mai 1938 stellten sowohl ihr Vater Bernard als auch ihr Zwillingsbruder Wilhelm Unterstützungsanträge bei der Fürsorgezentral der Auswanderungsabteilung der IKG Wien. Als mögliche Ziele gaben sie Palästina bzw. New York/USA an, wo sie Verwandte hatten. Bertas Eltern wollten im August 1938 nach Palästina gehen, jedoch war die Familie durch "Arisierung" und diverse Zwangsabgabe für Jüdinnen und Juden mittellos, weshalb Bernard Freunde um Geld bitten muss, damit zumindest ein Teil der Kosten der Überfahrt erlegt werden konnte.

Doch sowohl ihr Vater als auch ihr Bruder wurden im Zuge des Novemberpogroms am 9./10. Nevember 1938 in Wien von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Dachau deportiert, wo beide am 15. November 1938 als Häftlinge aufgenommen wurden. Ihrem Vater gelang es, am 31. Jänner 1939 entlassen zu werden, ihrem Bruder erst am 23. März 1939. Beide mussten unverzüglich das Land verlassen.

Bruder Wilhelm, gelang es mit Hilfe des Central British Fund for German Jewry nach Großbritannien zu emigrieren, wo er aber noch vor Kriegsbeginn als "enemy alien" im Kitchener Camp in Sandwich auf der Isle of Man interniert wurde. Nach dem Fall Frankreichs im Mai/Juni 1940 wurde es als zu riskant angesehen, so viele deutschsprachiger Flüchtlinge nahe am Ärmelkanal zu haben und es gelang Wilhelm, mit der SS Samaria über Liverpool in die USA auszureisen, wo er am 1. Juni 1940 in New York, NY, ankam, wo eine Schwester seines Vaters, Frida, mit ihrem Mann David Lindner in Brooklyn lebte. Er wurde gleich am 16. Oktober für due U.S.-Army gemustert und schließlich am am 6. März 1942 in Camp Upton Yaphank, NY, eingezogen, nachdem er zuvor schon 1941 in Ft. Worth, Texas, die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragt hatte. Er kämpfte im 2. Weltkrieg, wurde im Februar 1944 nach Verwundung entlassen und arbeitete später in der Textilindustrie. William Steinklein hatte am 23. August 1944 in New York, NY, die in Böhmen geborene und schon aus Rumänien in die USA emigrierte Josephine Schnitzer (1917–2000) geheiratet und lebte nach dem Krieg einige Zeit in Texas, später in New York, NY, und in Pennington, NJ, und starb schließlich am 2. November 2000 im Hunterdon Care Center, Raritan Township, NJ/USA und ist am Montefiore Cemetery, Saint Albans, NY begraben.

Bertas Eltern schafften es nach der Entlassung des Vaters aus Dachau, ebenfalls noch rechtzeitig Wien zu verlassen da die Entlassung mit einer Ausreisepflicht bis 12. August 1939 verbunden war. Dem Vater war es gelungen, ein Palästina Zertifikat und eine der begehrten legalen Schiffspassagen in das britische Mandatsgebiet Palästina [Israel] zu erhalten, konnte die Reisespesen aber nicht mehr aufbringen und musste doch rechtzeitig bis 15. September 1939 dort ankommen, da das Zertifikat sonst verfallen wäre. Sie erhielten dank Unterstützung eine Passage auf der SS Galilea am 23. August von Triest nach Palästina, doch wurde diese vom Palästinaamt unmittelbar vor Abfahrt storniert. Was genau passierte und folgte ist nicht bekannt. Die Eltern dürften sich nach Rumänien durchgeschlagen haben. Denn im September 1940, als die ZjA (Zentralstelle für jüdische Auswanderung) drei Schiffe charterte – SS Pacific, SS Milos und SS Atlantic , um 3.600 Flüchtlingen aus den jüdischen Gemeinden Wien, Danzig und Prag vom rumänischen Hafen Tulcea illegal, also ohne Einreisezertifikate, nach Palästina zu bringen, tauchen Bertas Eltern wieder als Passagiere an Bord der SS Pacific auf und erreichten damit den Hafen von Haifa am 1. November 1940. Der britische Hochkommissar für Palästina wollte die Schiffe nicht landen lassen, sondern auf einem anderen Schiff, der SS Patria, 1.800 der Flüchtlinge aus Europa in das ebenfalls britische Territorium Mauritius weiterleiten. Bertas Vater Bernard stand auf der Passierliste, ihre Mutter Tenia Steinklein aber nicht. Zionistische Organisationen lehnten diese Deportation ab, und die paramilitärische Haganah-Untergrundgruppe platzierte eine Bombe, um das Schiff manövrierunfähig zu machen und ein Auslaufen aus dem Hafen von Haifa zu verhindern. Die Explosion war stärker als geplant, und führte in kürzester Zeit zum Sinken des Schiffes im Hafen von Haifa – 267 Menschen wurden vermisst erklärt bzw. später als Leichen geborgen, zahlreiche weitere verletzt. Die überlebenden Flüchtlinge wurden an Land gebracht und im Gefangenenlager Atlit in Palästina untergebracht. Ob Bertas Eltern unter den Überlebenden waren, ist nicht bekannt.
Bertas Bruder Wilhelm, bzw. William Steinklein, fliegt zumindest 1953 nach Israel – ob er die überlebenden Eltern, oder ihre Gräber besucht, ist unbekannt.

Aus bislang unbekannten Gründen blieben Berta Steinklein und ihre Schwester, die 1938 in Wien Adolf Aptowitzer geheiratet hatte und mit ihm in Wien 2., Im Werd 5 lebte, in Wien zurück. Bruder Wilhelm gab Viktoria Aptowitzer, und nicht seine Zwillingsschwester Berta Steinklein im Mai 1940 als nächste Angehörige in Wien an. Berta Steinklein musste zuvor schon auch die Wohnung in der Raffaelgasse verlassen, nachdem am 10. Mai 1939 „arischen“ EigentümerInnen erlaubt worden war, jüdische Mieter*innen fristlos zu kündigen – aktiv unterstützt durch das Wiener „Wohnungsamt“ – um sie in Häuser und Wohnungen mit jüdischen Eigentümer*innen oder mit bereits zahlreichen jüdischen Bewohner*innen auf engsten Raum zwangsumzusiedeln (meist in Wien 1., 2. oder 9.).

Sie wurde in eine sogenannte „Sammelwohnung“ in Wien 2, Novaragasse 40 umgesiedelt. Von dort wurde sie am 26. Januar 1942 nach Riga deportiert (wie 220 andere teils kurzfristige Bewohner*innen dieses Hauses seit 1941). Sie überlebt Riga, wurde aber am 9. August 1944 von dort in das Vernichtungslager KZ Stutthof überstellt. Das überlebte sie nicht mehr (nur ungefähr 800 der 20.000 nach Riga deportierten Menschen haben die Selektion, das Ghetto und die verschiedenen Konzentrationslager überlebt, darunter nur 100 österreichische Jüdinnen und Juden. Ester Berta Steinklein war nicht darunter).


Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1937–1938; DÖW 2001; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 483; arolsen-archives; memento.wien; www.ancestry.de; Patria-Desaster; www.tributearchive.com; myheritage.com; erarbeitet im Rahmen der Lehrveranstaltung "Methodenworkshop Biografische Methoden" im Wintersemester 2024/25.


Julia Beisteiner, Herbert Posch


Inskriptionsschein ("Nationale") von Ester Berta Steinklein, Medizinische Fakultät, Wintersemester 1937/38, 1. Formular Vorderseite, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien

Nationale von Ester Berta Steinklein, Medizinische Fakultät, Wintersemester 1937/38, 1. Formular Rückseite, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien

Nationale von Ester Berta Steinklein, Medizinische Fakultät, Wintersemester 1937/38, 2. Formular Vorderseite, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien

Nationale von Ester Berta Steinklein, Medizinische Fakultät, Wintersemester 1937/38, 2. Formular Rückseite, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien

Inskriptionsschein ("Nationale") von Ester Berta Steinklein, Medizinische Fakultät, Sommersemester 1937/38, Vorderseite, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien

Nationale von Ester Berta Steinklein, Medizinische Fakultät, Sommersemester 1937/38, Rückseite, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien
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