Geb. am: | 07. Juli 1918 |
Fakultät: | Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Anna STANGL (verh. JENNY), geb. am 7. Juli 1918 in Pöchlarn/Niederösterreich (heimatberechtigt in Pöchlarn/Niederösterreich, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Tochter von Medizinalrat Dr. Emil Stangl (1876–1934, praktischer Arzt in Pöchlarn) und Konstanzia Stangl, geb. Schmitt (1881–1960er) wohnte mit ihrer Mutter in Wien 9, Berggasse 4/11. Sie hatte 1928–1936 das Realgymnasium an der Bundeserziehungsanstalt für Mädchen (Wien III., Boerhavegasse 15) absolviert und dort 1936 die Reifeprüfung (Matura) abgelegt, anschließend legte sie 1937 an der Lehrerinnenbildungsanstalt in Vöcklabruck die Reifeprüfung für Volksschulen ab und begann im Herbstsemester 1937/38 an der Universität Wien Medizin zu studieren – sie war im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 2. Studiensemester inskribiert.
Obwohl sie selbst röm.-kath. war und ihr 1934 verstorbener Vater lange vor ihrer Geburt im Jahr 1900 (bevor er an der Universität Wien sub auspiciis imperatoris zum "Dr. med." promovierte) aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten war und sich röm.-kathol. taufen ließ, galt sie nach dem "Anschluss" 1938 aus rassistischen Gründen als sogenannter "Mischling 1. Grades" und konnte als solche nur noch eingeschränkt und vorläufig – bei jederzeitigem Widerruf – ihr Studium fortsetzen. Sie legte in rascher Aufeinanderfolge am 9. Juni 1938 das Rigorosum für Physik und am 12. Juli 1938 das Rigorosum für Chemie ab, sowie im Oktober bis Dezember 1939 dann die Rigorosen in Anatomie, Histologie und Physiologie – alle mit Auszeichnung.
Als "Mischlinge" ab dem 1. Trimester 1940 für eine weitere Studienzulassung ein entsprechendes Gesuch an das Reichserziehungsministerium (REM) Berlin stellen mussten, reichte Anna Stangl am 31. April 1940 ein entsprechendes Ansuchen zur Fortsetzung ihres Studiums ein.
Gemäß Vorschrift legte der Dekan der zuständigen Medizinischen Fakultät, Prof. Eduard Pernkopf, dem Antrag ein mit 26. April 1940 datiertes Gutachten, das "insbesondere auf den persönlichen Eindruck über die Persönlichkeit und das Aussehen des Gesuchstellers einzugehen [hatte]. Dabei ist zu erwähnen, ob und inwieweit Merkmale der jüdischen Rasse beim Gesuchsteller äußerlich erkennbar sind." [Erlass des REM, 5. Jänner 1940] worin er feststellte: " Stangl Anna ist heute vorgeladen worden. Dem Äußeren nach macht sie einen arischen Eindruck. Auch in ihrem Wesen und Auftreten ist sie bescheiden, und zeigt nichts Jüdisches."
Das REM teilte am 19. Juni 1940 die Entscheidung mit, dass es nach Absprache mit dem Reichsinnenministerium entschieden hatte, Stangl "ausnahmsweise" noch zur ärztlichen Prüfung nach alter österreichischer Studienordnung zuzulassen, da sie die Vorprüfung (1. Rigorosum) bereits im Dezember 1939 bestanden hatte. Dabei wurde sie jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie als "Mischling 1. Grades" keine Chance hatte, die Bestallung (Berufszulassung) als Arzt im Deutschen Reich zu erhalten.
Nach bestandenem 2. und 3. Rigorosum wäre Anna Stangl am 8. September 1942 nach alter Studienordnung berechtigt gewesen zu promovieren. Doch ihr Ansuchen um Zulassung zur Promotion zum "Dr.med.univ." wurde vom REM abgelehnt: Ohne Nachweis der Bestallung als Arzt (die "Mischlingen 1. Grades" grundsätzlich nicht erteilt wurde) durfte sie trotz Erfüllung aller Prüfungserfordernisse, außer jener der "arischen Abstammung", nicht promovieren.
Erst nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde sie in der ersten Nachkriegspromotion am 8. Juni 1945 – rückwirkend per 8. September 1942 – nach der alten und nun wieder eingeführten österreichischen Studienordnung zur "Dr.med.univ." der Universität Wien promoviert.
Sie absolvierte ihre Facharztausbildung in Röntgenologie und wurde am 10. Dezember 1951 als Röntgenfachärztin von der Wiener Ärztekammer zugelassen. Sie lebte und arbeitete als Ärztin (Radiologin) in Wien 19, war 17 Jahre lang Leiterin des Röntgeninstituts der 2. Chirurgischen Univ.-Kilinik, wo sie auch ihren späteren Ehemann, Dr.med. Helmut Jenny (1916–2010, später Univ.-Prof. f. Chirurgie) kennenlernte, den sie 1954 in Heiligenkreuz heiratete und die gemeinsam eine Tochter hatten.
Dr. Anna Jenny, geb. Stangl, starb 75-jährig am 20. Mai 1993 in Wien-Währing und ist am Neustifter Friedhof in Wien 18 begraben.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1937–1939; Promotionsprotokoll MED XIV 1941–1949 Nr. 1263; MED GZ 1115 ex 1939/40, MED S 51/2, Rektorat GZ 944 ex 1939/40/41; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 481; freundliche Hinweise von Dr.in Barbara Sauer, Wien 06/2019, 08/2022 und 07/2024; REITER-ZATLOUKAL/SAUER 2025; Verstorbenensuche Friedhöfe Wien; data.matricula-online.eu; Interview mit Ehemann Prof. Dr. Helmut Richard Jenny vom 13. März 2006 mit Dr.in Doris Ingrisch (Transkript im Archiv "Forum 'Zeitgeschichte der Universität Wien'").
Herbert Posch