Martin Tyndel
Geb. am: |
22. Jänner 1915 |
Fakultät: |
Philosophische Fakultät |
Kategorie: |
Vertriebene Studierende |
Martin TYNDEL, geb. am 22. Jänner 1915 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), Sohn von Dr. Samson Tyndel (1878-1942, Rechtsanwalt) und Theodora Tauba Tyndel, geb. Zehngebot (1892-1942), wohnte in Wien 19, Billrothstraße 55. Er hatte ab 1933/34 ein pharmazeutisches Magisterstudium und ein pharmakognostisches Doktoratsstudium an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien begonnen und konnte am 2. Februar 1938 mit der Sponsion zum "Mag.pharm." sein pharmazeutisches Magisterstudium abschließen. Er war zuletzt im Sommersemester 1938 im 9. und vorletzten Studiensemester seines Doktoratsstudiums in Pharmakognosie inskribiert und belegte Vorlesungen in Pharmazie, Pharmakognosie, Philosophie und Sprachwissenschaft.
Nach dem "Anschluss" im März 1938 war er aus rassistischen Gründen gezwungen sein Studium abzubrechen - nachdem auch sein Antrag abgelehnt wurde, zumindest noch drei Monate im Rahmen des 2%-numerus clausus für jüdische Studierende weiter zu studieren. Er musste die Universität Wien umgehend verlassen.
Die Eltern hatten beim Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ihren Besitz in Galizien verkauft und ihren Lebensmittelpunkt nach Wien verlegt, wo sie in Immobilien in Wien und Berlin investierten. Ihr Vater gab 1930 aus gesundheitlichen Gründen seine Tätigkeit als Anwalt auf und konzentrierte sich auf die Immobilienverwaltung und die Familie übersiedelte 1931/1932 nach Berlin (Uhlandstraße 46). Nach der Matura in Berlin 1933 kam Martin Tyndel zum Studium aber wieder nach Wien zurück um an der Universität Wien zu studieren.
Ein Jahr später folgte ihm auch die jüngere Schwester
Felizia Tyndel (verh. Hohenberg) (1916-1997), die nach der Berliner Matura 1934 auch nach Wien zurückkehrte, um an der Philosophischen Fakultät Romanistik, Anglistk, Germanistik und Geeschichte zu studieren. Sie wurde 1938 ebenfalls von der Universität Wien vertrieben, heiratete in Wien Dr. Erich Hohenberg und kehrte mit ihm zu den Eltern nach Berlin zurück und flüchtete von dort im August 1938 nach Großbritannien wo sie später als Büroangestellte in London lebte.
Die Rechtsanwaltskanzlei des Vaters Dr. Samson Tyndel (1878-1942), die er 1918 in Wien 1., Wipplingerstraße 35 eröffnet hatte und ab 1930 nur noch als Immobilienverwaltung führte, wurde nach dem "Anschluss" endgültig geschlossen. Die Eltern und der jüngste Bruder Erich Tyndel (1929-1942) konnten Deutschland nicht mehr rechtzeitig verlassen. Nach der Enteignung, einem Nervenzusammenbruch und der Erblindung der Mutter auf einem Auge 1940 wurden die Eltern am 20. Juni 1940 verhaftet und wegen angeblicher Devisenvergehen verurteilt und inhaftiert. Im Anschluss an die Entlassung wurden die Eltern und der jüngere Bruder am 26. September 1942 vom Güterbahnhof Berlin-Moabit nach Raasiku (Estland), nahe Reval deportiert und dort Anfang Oktober 1942 erschossen. Zum ihrem Andenken wurden im September 2013 in Berlin-Charlottenburg, Uhlandtstraße 46, Stolpersteine verlegt.
Mag. pharm. Martin Tyndel konnte 1938 noch rechtzeitig aus Wien flüchten und ging zuerst zu den Eltern nach Berlin und emigrierte von dort mit dem jüngeren Bruder Joseph (geb. 1920), der in Berlin 1938 gerade noch maturieren konnte, im September 1938 nach Palästina [Israel].
Im November 1938 erhielt er in Jerusalem von der britischen Mandatsverwaltung eine Apothekerlizenz, später lebte und arbeitete er als Apotheker in Tel Aviv, Israel. Im Februar 1945 lebte er mit seiner Frau Lina Tyndel in 73, Ben Yehuda Street, Tel Aviv, und beide gründeten gemeinsam die Firma
"Paldrug" The Palestine Drug Importers Co., die auf Import, Export, Produktion und Handel von Medikamenten, Chemischen und Pharmazeutischen Produkten, chirurgischen Instrumenten und Spitalsbedarf spezialisiert war.
Er starb, erst 55-jährig, am 6. August 1970 in Tel Aviv, Israel.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationalen PHIL 1933-1938; RA GZ 722-II ex 1937/38 ONr. 1; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 491; SAUER/REITER-ZATLOUKAL 2010, 349; freundlicher Hinweis von Dr.in Barbara Sauer, Wien 03/2019 und von Dr. Gregor Gatscher-Riedl, Perchtoldsdorf 06/2021; Stolpersteine für Tyndel Berlin; www.genteam.at; www.geni.com; Palestine Gazette vom 15. Dezember 1938 und vom 4. April 1945.
Herbert Posch