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Lucy Glaser (Glaser Merritt)

Geb. am: 15. Jänner 1920
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene Studierende
Lucy GLASER (verh. GLASER MERRITT), geb. am 15. Januar 1920 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich). Ihr Vater war der Rechtsanwalt Dr. Josef Glaser (Bankbeamter in der Creditanstalt, promovierte 1917 an der Deutschen Universität in Prag/Österreich-Ungarn [Praha/Tschechische Republik]) ihre Mutter die Ärztin Dr. Salomea (Szeindel, Scheindel) Glaser (geb. Gross, promovierte 1915 an der Universität Wien). Die Familie wohnte in Wien 2, Franz-Hochedlinger-Gasse 9. Lucy Glaser hatte am 16. Juni 1937 am Bundesgymnasium in Wien 9, Wasagasse maturiert und startete im Wintersemester 1937/38 ihr Medizinstudium an der Universität Wien und war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 2. Studiensemester inskribiert. Ihr älterer Bruder Eduard Glaser, der an der Philosophischen Fakultät studierte, wurde ebenfalls von der Universität Wien vertrieben.
Sie emigrierte 1939 nach England und arbeitete als Krankenschwester, emigrierte 1940 weiter in die USA und konnte ihr Medizinstudium nicht mehr aufnehmen, aber 1942 an der Wayne State University in Detroit Chemie studieren (1945 B.S., 1946 M.S.). Sie arbeitete später in der chemischen Industrie und dann als College Teacher.    Hier ihre ausführliche Schilderung (Brief von 2002) "Meine Familie hat vor dem "Anschluß" wie der allgemeine österreichische Mittelstand bequem aber bescheiden gelebt im Sommer gingen wir ins Gebirge – meistens in die Steiermark. Mein Vater war ein Naturfreund und daher sind wir viel in den Alpen herumgewandert Meine Eltern feierten die wichtigsten jüdischen Feiertage und hatten einen weiten jüdischen sowie auch nicht-jüdischen Freundeskreis. Zur Unterhaltung gaben meine Eltern musikalische Abende, Die Gäste begleiteten meinen Vater, der eine schöne Stimme hatte, am Klavier. Die Lieder von Schuhmann, Schubert, Hugo Wolf usw. habe ich schon als Kind gehört. Meine Eltern hatten auch eine Bibliothek die mir und meinem Bruder die Gelegenheit bot Schiller, Goethe, Grlllparzer, Heine u Lessing zu lesen. In den ersten fünf Jahren ging es mir im Wasagymnasium recht gut. Wir studierten zusammen, gingen auch auf Ausflüge in den Wienerwald und schwammen im Dianabad. Durch das Gymnasium konnten wir auch billige Karten fürs Burgtheater und die Oper bekommen - natürlich waren wir gern dazu bereit. Nachdem 1935 verschlechtert sich die Lage meiner Familie. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage wurde mein Vater von der Creditanstalt abgebaut, Meine Mutter, die im Allgemeinen Krankenhaus sowie in der eigenen Praxis beschäftigt war, setzte Ihre Betätigung fort. Auch an der Schule ändert sich die Stimmung Der Krieg den Japan gegen China führte sowie der Bürgerkrieg in Spanien wurden heftig diskutiert. Der Aufstieg Hitler's in Deutschland hat unsere Klasse polarisiert. Mehrere von den Schulkollegen waren vom Nationalsozialismus ganz begeistert. Trotzdem haben wir alle zusammen unsere Matura (Juni 1937) beim Heurigen gefeiert. Die Universität betrieb ich mit fünf Kollegen vom Gymnasium und so war es eine Fortsetzung davon. Unterdessen wurden die Nazis von den Christlichsozialen als illegal erklärt. Daher waren keine Streitereien auf der Universität – es war die Ruhe vor dem Sturm. Nach dem "Anschluss" mussten wir in der letzten Reihe – den sogenannten Judenbänke – sitzen, Nur einer von meinen Kollegen hatte den Mut mit mir weiter im Kontakt zu bleiben. Im Mai 1938 wurde mir das Studium ganz verboten. Auch meine Eltern hätten große Schwierigkeiten. Zuerst verlangte die Regierung, dass meine Mutter nur jüdische Patienten behandle und schließlich wurde ihr die Praxis ganz verboten. So wurde es uns klar, daß wir auswandern mussten. England brauchte Krankenschwestern und war bereit mich in die Schule für Pflegerinnen aufzunehmen Daher landete ich im Jänner 1939 in Exeter, eine Kleinstadt im Süden von England. Meine Eltern, die ein Afidavit für Amerika hatten, konnten auch zu mir kommen. Mein Bruder reiste zur gleichen Zelt nach Argentinien. So lebten wir denn ruhig in Exeter bis der Krieg anfing. Wie aber Hitler halb Europa eroberte wurden die Engländer nervös. Ich wurde reklassifiziert – vom "freundlichen Fremden" (friendly alien) zum "feindlichen Fremden" (enemy alien) und musste daher Exeter verlassen. Das amerikanische Visa meiner Eltern wurde im November überwiesen und da ich noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, konnte ich mit ihnen mitfahren. Wir landeten in New York wurden aber vom Flüchtlingskommite nach Detroit weiter befördert. Im ersten Jahr war nur eines wichtig: irgendwelche Arbeit zu finden damit die Familie wieder selbständig werden konnte. Ich fand eine Stellung im Spital da ich noch immer Interesse an der Medizin hatte. Eine amerikanische Quäkerin bot mir an, mir mit dem Studium behilflich zu sein. Daher konnte ich in einem pre-med Programm inscribieren (d.h. die Vorbereitung zum medizinischen Studium). Vom 2. Jahr an erhielt ich ein Stipendium von der Universität und konnte daher kostenlos das Studium beenden (BS in Chemie). Jeder Student hat einen Berater (adviser) und meiner sagte mir ganz einfach, dass es für mich sehr schwer wäre, in die medizinische Abteilung aufgenommen zu werden, da ich jüdischer Abstammung wäre. Der numerus clausus war "de facto", nicht offiziell. Außerdem wollten die Professoren nur wenige weibliche Studentinnen zulassen (Von meinen fünf nicht-jüdischen Kolleginnen, die alle Vorzugsschülerinnen waren, wurde nur eine angenommen). Er schlug mir vor, das Studium der Chemie fortzusetzen – dafür konnte ich leicht wieder ein Stipendium bekommen. Da ich schon 25 Jahre alt war und noch immer von meinen Eltern abhängig war, folgte ich seinem Rat. Ein Jahr später erhielt ich mein MS Diplom in Chemie und fand gleich eine Stellung an der Ethyl Corp. Diese Firma beschäftigte sich mit der Herstellung von Benzin für Autos und Flugzeuge – diese Stellung war sehr interessant ich habe viel über die Verbrennung des Benzin im Motor gelernt – und auch wie diese verbessert werden kann. Die Kollegen waren sehr nett und die Bezahlung verhältnismäßig gut. So blieb ich zehn Jahre bei dieser Firma bis unser erstes Kind geboren wurde. Die nächsten 13 Jahre verbrachte ich mit der Erziehung unserer 3 Kinder. Den Kontakt mit der Chemie erhielt ich aufrecht indem ich chemische Artikeln von Deutsch, Französisch und Russisch zuhause übersetzte, Als sich eine Gelegenheit bot, Chemie auf einer kleinen technischen Hochschule, Lawrence Technological Institute, zu unterrichten, nahm ich es gern an. Wie zuvor in der Industrie so fand ich meine Kollegen sehr nett. Der Kontakt mit den Studenten war in den 22 Jahren des Unterrichtens sehr anregend. Da unsere Anstalt so klein war (nur 5.000 Studenten) war das Verhältnis zu den Studenten viel intimer wie auf den großen Universitäten. Man hat Freud und Leid geteilt. Auch jetzt, wo ich schon 12 Jahre im Ruhestand bin, rufen mich meine ehemaligen Schüler noch an. Wie Sie von dem obigen sehen, habe ich viel Glück gehabt indem es mir (meinen Eltern und Bruder) gelungen ist ein neues Leben, einen neuen Beruf und eine neue Heimat zu finden Jetzt, im meinem Lebensabend umringt von Kindern und Kindeskindern staune ich darüber noch immer und denke mit Wehmut an meine Verwandten und Freunde denen das nicht vergönnt war."


Lit.: Briefe von Lucy G. MERRITT an Herbert Posch vom 4. September 2002 und Oktober 2002; weitere Informationen Austrian Heritage Collection am Leo Baeck Institute New York [AR 10943]; Lucy Glaser Merritt Collection [pdf 53 MB!] im Leo Baeck Institute New York; USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, University of Southern California, Interview 10575; Voice/Vision Holocaust Survivor Oral History Archive (8. Juli 1991, Interviewer Sidney Bolkosky, Professor für Geschichte an der University of Michigan-Dearborn)


Herbert Posch


Nationale von Lucy Glaser, Sommersemester 1938 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Lucy Glaser, Sommersemester 1938 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Lucy Glaser, Wintersemester 1937/38 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Lucy Glaser, Wintersemester 1937/38 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Lucy Glaser Merritt 1938, (c) Austrian Heritage Collection Leo Baeck Institute New York

Lucy Glaser Merritt 1946 in Detroit/USA, (c) Austrian Heritage Collection Leo Baeck Institute New York

Lucy Glaser Merritt, Meldungsbuch der Universität Wien 1937, (c) Austrian Heritage Collection Leo Baeck Institute New York

Lucy Glaser Merritt, students identification ('Meldungsbuch') 1937, (c) Austrian Heritage Collection Leo Baeck Institute New York
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