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Kurt Stefan Popper

Geb. am: 19. August 1898
Fakultät: Juridische Fakultät
Kategorie: Doktorgradaberkennung
Kurt Stefan POPPER, geb. am 19. August 1898 in Wien, hatte am 16. Juli 1921 an der Juridischen Fakultät der Universität Wien den Grad eines Dr. iur. erworben. Am 30. Dezember 1938 wurde ihm der Grad aus sogenannten politischen Gründen aberkannt. Erst 17 Jahre nach der Aberkennung und lange nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde ihm der Doktorgrad am 4. Juli 1955 wieder zuerkannt, bzw. die Aberkennung für ›von Anfang an nichtig‹ erklärt. Zur näheren Erläuterung der Ursachen der Doktoratsaberkennung aus ›politischen‹ Gründen im Folgenden die detaillierte Schilderung der Nacht des ›Anschlusses‹ und Kurt Poppers gescheitertem Versuch, mit seinem Auto das Land noch zu verlassen: Das »Auto als Waffe« in der Nacht des ›Anschlusses‹[1] Der am 19. August 1898 in Wien geborene Kurt Stefan Popper, Sohn von Isidor Popper (1860-1930) und Caroline Popper, geb. Pollak (1871-1970), hatte den Ersten Weltkrieg als Soldat mitgemacht, studierte dann Rechtswissenschaften an der Universität Wien und promovierte 1921 zum Dr. iur. Er wurde Kaufmann und betrieb bis 1938 ein Versicherungsbüro (1937: Reingewinn Schilling 18.000,-), war verheiratet, mosaischen Glaubens und wohnte in Wien 19., Döblinger Hauptstraße 62. Als er am 11. März 1938 im Radio hörte, dass der austrofaschistische Bundeskanzlers Kurt Schuschnigg den Rücktritt seiner Regierung vor der herannahenden deutschen Wehrmacht erklärte [2], versuchte er in derselben Nacht des 11. auf den 12. März 1938, also unmittelbar vor dem sogenannten ›Anschluss‹, mit seinem Auto noch über den Grenzübergang Hainburg in die unbesetzte Tschechoslowakei zu flüchten um mit seiner Familie der zu erwartenden rassistischen Verfolgung der Jüdinnen und Juden Österreichs zu entkommen. Trotz der langen Schlangen vor dem Grenzübergang war es ihm noch gelungen die österreichische Grenze zu überschreiten, doch die tschechoslowakischen Grenzwachebeamten erlaubten bereits keine Einreise mehr und er musste wieder umkehren. Gegen Mitternacht fuhr er daher mit seiner Mutter Karoline und seiner 87-jährigen Großmutter wieder von der Grenze zurück nach Wien. Der Gendarm Rudolf Essberger, unterstützt von Hilfsgendarm Karl Zilker, war angesichts des bevorstehenden ›Anschlusses‹ initiativ geworden und plante, alle Wagen, die an diesem Tag in Richtung österreichisch-tschechischer Landesgrenze durch Hainburg fuhren oder von dort kamen nach Waffen und Wertsachen zu durchsuchen. Dies wurde ihm von der Bezirkshauptmannschaft genehmigt. Die beiden führten die Durchsuchungsaktion bereits unter Assistenz der SA (SA-Mann Rudolf Hinke) durch. Als Gendarm Essberger den Wagen mit Lichtzeichen zum Anhalten aufforderten, bremste Kurt Stefan Popper nur kurz, beschleunigte dann aber vielmehr und fuhr davon, sodass der auf der Straße stehende Hilfsgendarm Zilker wegspringen musste, um nicht überfahren zu werden. Nach einer wilden Verfolgungsjagd durch SA und Gendarmerie wurde der Wagen später in einer Straßensperre vor Regelsbrunn gestoppt. Trotz widersprüchlicher Aussagen der Gendarmen und des SA-Mannes – Unklarheiten ob der Wagen in Hainburg und vor Regelsbrunn wirklich derselbe waren, Differenzen in den Zeitangaben die unsicher machten, ob das wirklich der Wagen sein konnte und andere nicht ausgeführte Details –, wurde Kurt Popper verhaftet und später vor Gericht gestellt. Das Nicht-Anhalten wurde Dr. Kurt Stefan Popper nicht wie üblich als Übertretung einer Anordnung gewertet, bei dem nur eine Geldstrafe drohte, sondern wurde zum Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit hochstilisiert. Die Verhandlung wurde am 12. August 1938 am Straflandgericht Wien II geführt. Der vorsitzende Richter war der Oberlandesgerichtsrat und spätere Vizepräsident des Straflandesgerichts Dr. Richard Eberstaller (1887–1945), überzeugter Nationalsozialist, Ehemann von Maria Moll, der Tochter des Malers Carl Moll und Halbschwester von Alma Mahler-Werfel-Gropius, bei Regimegegnern gefürchteter Exekutor und an zahlreichen Todesurteilen beteiligt – bei Ende das Nationalsozialismus kurz vor dem Eintreffen der Roten Armee vergiftete er sich gemeinsam mit Ehefrau und Schwiegervater selbst, um der drohenden Bestrafung zu entgehen.[3] Das Urteil wurde dementsprechend nicht mehr im Namen der Republik sondern des deutschen Volkes gesprochen. Obwohl niemand zu Schaden gekommen war wurde Popper wegen »Widerstand gegen die Staatsgewalt« zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, da er Amtspersonen an der Ausübung ihres Dienstes behindert habe, wobei das Nicht-Anhalten des Autos ausgelegt wurde als »wirkliche gewaltsame Handanlegung gegen Amtspersonen in Ausübung des Dienstes durch das Losfahren mit seinem Kraftwagen gegen die in der Fahrbahn stehenden […] Gendarmen. Der Widerstand ist mit einem Kraftwagen, also mit einer Waffe geschehen. Er hat hiedurch das Verbrechen der öffentlichen Gewalttätigkeit […] begangen.« Dafür wurde er zur Strafe des schweren Kerkers in der Dauer von 2 Monaten verschärft durch ein hartes Lager monatlich, sowie zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Die Verwahrungs- und Untersuchungshaft von 5. Mai bis 12. August wurde ihm nicht auf die Strafe angerechnet (sie war wegen des gleichzeitig mitangeklagten sogenannten "Devisenvergehens" verhängt worden, da er die Guthaben von zwei Züricher Bankkonten bei der Vermögensanmeldung verheimlicht hatte [4]). Gegen dieses Urteil legt Kurt Popper durch seinen Verteidiger Dr. Johann Stieglandt (1888–1964) [5] Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde ein, aber auch der Oberste Gerichtshof entschied am 17. November 1938 in nichtöffentlicher Sitzung gegen ihn. Zwar wurde ihm nunmehr die dreimonatige Untersuchungshaft auf die Strafe – zwei Monate Haft – angerechnet und er musste also nicht nochmals ins Gefängnis, alles andere aber als legal und legitim bestätigt. (Popper war bereits zwei Mal wegen einer Übertretung nach § 431 StG – Geschwindigkeitsüberschreitungen – bestraft worden). Aufgrund dieser nunmehr rechtsgültigen strafrechtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechens erfolgte daraufhin auch die Aberkennung des akademischen Grades durch die Universität.[6] Sie bat am 20. Dezember 1938 das Polizeikommissariat Wien 19, Kurt Popper das Doktordiplom abzunehmen und »zur Verhütung von Mißbrauch« an das Rektorat zu senden, erhielt aber am 9. Jänner 1939 nur die Antwort, dass Kurt Popper dort nicht mehr wohne, vielmehr die Wohnung bereits seit November 1938 »anderweitig vermietet« sei, heißt wohl ›arisiert‹ bzw. enteignet. Nach 1945 gehörten solche Verurteilungen aus der NS-Zeit zu jenen, die nach demokratischem Rechtsempfinden schlicht als nicht erfolgt zu gelten hatten [7], wobei die formale Feststellung jeweils von einem Gericht kommen musste, und zehn Jahre später wurde Kurt Stefan Popper, ohne Antrag seinerseits und auch ohne ihn davon zu informieren, im Juli 1955 das Doktorat wiederverliehen.[8] Erst durch den Eintrag in der NS-KfZ-Raub Datenbank im Technischen Museum Wien konnte nun festgestellt werden, dass es sich bei diesem Wagen, der für die NS-Richter eine Waffe darstellte um ein Cabriolett, einen Steyr 100 Baujahr 1936 handelte mit dem KfZ-Kennzeichen A5655, und über den Verbleib ist dort auch festgehalten: »Dieses Fahrzeug musste nach dem ›Anschluß‹ 1938 zwangsweise verkauft werden[9]


Lit.: zitiert aus: POSCH 2009, 228f.; Archiv der Universität Wien (UAW), Rektorat GZ 118 ex 1941/42, GZ 561/01 ex 1944/45 ONr. 19, und Senatssonderreihe S 127.2 (= GZ 320 ex 1938/39); Österreichisches Staatsarchiv(ÖStA)/Archiv der Rebublik(AdR)/06-Finanzen/Vermögensanmeldungen/41819, ÖStA/AdR/E-uReang AHF P Popper Kurt Stefan Dr.; KfZ-NS-Raub Datenbank im Technischen Museum Wien


[1] POSCH 2009, 228f.

[2] Soundfile auf der Homepage der Österreichischen Mediathek unter www.mediathek.at/atom/136CD96C-255-000ED-00000518-136C4C37

[4] Giles MacDonogh, 1938: Hitler's Gamble, London 2009, 160f.

[5] Dr. Johann Stieglandt (1888–1964) 1913 an der Univeristät Wien zum Dr. iur. promoviert, seit 1921 in der Rechtsanwaltsliste eingetragen, ab 29. 12. 1938 nur noch als jüdischer Konsulent in der Ostmark zugelassen – am 28.8.1941 emigrierte er in die USA und lebte in Boston, Mass., USA; SAUER/REITER-ZATLOUKAL 2010, 333.

[6] UAW Promotionsprotokoll Jur 1920-1924 Anhang: Amtsvermerk von 05.01.1939: "Popper wurde mit dem rechtskräftigen Urteil vom LGfStr Wien II 2 Vr 1991/38 vom 12.08.1938 wegen Verbrechen nach § 81 StG zu 2 Monaten schweren Kerkers verurteilt und hat damit gem. § 26 den Doktor Grad verloren." gez. Rektor Kurt Knoll.

[7] Aufhebungs- und Einstellungsgesetz vom 3. Juli 1945, StGBl 48, § 1b.

[8] UAW Promotionsprotokoll Jur 1920-1924 Anhang: Amtsvermerk von 10.07.1955: "wurde der Doktorgrad rückwirkend vom Tage der Aberkennung wieder verliehen." gez. Rektor Radon.

[9] data.tmw.at/api/kfz.php/, freundlicher Hinweis von Dr. Christian Klösch, TMW: lt. Vermögensanmeldung VA 41819 (ÖSTA) verkaufte Kurt Popper das Auto Ende 1938 an den Chemiker Ing. Hans Kratochwill, Wien 6, Albertgasse 16 um RM 900 (Realwert: RM 2.000,-)


Herbert Posch


Doktorgrad-Wiederverleihung an Kurt Stefan Popper, 4. Juli 1954, (c) Archiv der universität Wien
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