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Herta Mohr

Geb. am: 24. April 1914
Fakultät: Philosophische Fakultät
Kategorie: Vertriebene Studierende

Herta Therese MOHR, geb. am 24. April 1914 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Tochter von Dr. Adolf Emanuel (Abraham Mendel) Mohr (1872-1944, Arzt) und Gabriele Mohr, verw. Königstein, geb. Kaufmann (1886-1944), wohnte in Wien 14 [Wien 15], Winckelmannstraße 2/I/5. Sie absolvierte das Bundesrealgymnasium Wien XIV (Wien 15., Diefenbachgasse 19) und legte dort im Sommer 1932 die Reifeprüfung (Matura) ab. Sie begann anschließend an der Universität Wien zu studieren - vom Wintersemester 1932/33 bis Wintersemester 1934/35 Medizin wechselte im Wintersemester 1935/36 von der Medizinischen Fakultät an die Philosophische Fakultät und inskribierte Lehrveranstaltungen aus Kunstgeschichte, Urgeschichte, Religionsgeschichte und Ägyptologie. Sie war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Philosophischen Fakultät im 6. Und vorletzten Studiensemester inskribiert

Sie wurde im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen Gründen gezwungen, das Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen.

Hertha Mohr stammte aus einer gut bürgerlichen assimilierten jüdischen Familie, der Vater war Ende des 19. Jahrhunderts wie viele andere aus Galizien in die Haupt- und Residenzstadt Wien gekommen, hatte hier Medizin studiert, 1902 promoviert, den Vornamen "Abraham Mendel" amtlich in "Adolf Emanuel" ändern lassen und eine Familie gegründet und eine gute Existenz aufgebaut. Er betrieb eine Praxis als Frauen- und Kinderarzt gleich neben der Wohnung in der Winckelmannstraße und wurde 1929 zum Medizinalrat ernannt. Hertha war das einzige Kind, genoss eine gute Ausbildung und begann wie der Vater Medizin zu studieren, wechselte im Sommersemester 1935, im dritten Studienjahr, die Ausrichtung grundlegend zu Kunst- und Kulturgeschichte Afrikas, besonders Ägyptens. Ab Wintersemester 1935 studierte sie nur noch an der philosophischen Fakultät der Universität Wien, ohne ihr Medizinstudium abzuschließen. Sie besuchte überwiegend Lehrveranstaltungen mit Bezug zu Ägypten oder Afrika („Ausgewählte Kapitel aus der ägyptischen Totenliteratur“, „Über die Religion der Ägypter“, „Ägyptische Plastik“, „Übungen zur ägyptischen Kulturgeschichte“, „Geschichte der ägyptischen ‚Spätzeit‘ “, „Altägyptische Papyruskunde“, „Sinn u. Entwicklung der ägyptischen Grabdekoration“, „Übungen zur Kulturgeschichte Ägyptens“, „Archäologie des Zweistromlandes“, „Der Geist Ägyptens in der Wechselbeziehung mit den Fremdvölkern“, „Koptische Poesie des 10. Jahrhunderts“, „Ägyptische Urkunden des mittleren Reichs“, „Staat und Gesellschaft zur Zeit der Pyramidenerbauer“ sowie „Übungen und Referate zu den Urkunden und Denkmälern der altägyptische Feudalherren“). Daneben erlernte sie verschiedenen einschlägige Sprachen wie Somali, Fulfulde, Koptisch, Ägyptisch, Latein, Neuägyptisch, Nilnubisch, Griechisch und Englisch. Die meisten Lehrveranstaltungen absolvierte sie an der Ägyptologie bei Prof. Wilhelm Czermak und seinem Assistenten Heinrich Balcz, beide allerdings ausgewiesene Antisemiten, Direktor Czermak war u.a. Mitglied der "Bärenhöhle", einer informellen Professorengruppe, die in den 1920er und 1930er Jahren aktiv antisemitische Personalpolitik gegen jüdische Studierende und Lehrende an der Universität Wien betrieb.

Im Sommersemester 1938 inskribierte Herta Mohr am 4. Februar an der Universität Wien noch neun Lehrveranstaltungen, von denen sie aber keine einzige mehr besuchen konnte, war aber gleichzeitig schon seit November 1937 auch an der Rijksuniversiteit Leiden in den Niederlanden inskribiert (wo sie ihre Religion mit "römisch-katholisch" und ihre Wiener Studien gar nicht angab). Ob dies nur als Vorbereitung für ein Gastsemester gedacht war oder bereits Vorbereitung für eine befürchtete bevorstehende Emigration, bleibt offen. Eine Woche nach der Inskription in Wien erfolgte am 12. Februar das Berchtesgadener Abkommen zwischen Bundeskanzler Schuschnigg und Reichskanzler Hitler, was vermutlich mit dazu beitrug, dass sie noch vor Vorlesungsbeginn am 26. Februar 1938 in die Niederlande abreiste. Ob der "Anschluss" am 12. März eine geplante Rückkehr nach Wien verhinderte oder ob die Abreise schon für einen bleibenden Aufenthalt in die Niederlande geplant war, bleibt offen. Ein Weiterstudium nach dem Anschluss war für sie jedenfalls nicht mehr möglich. Ihren Eltern gelang die Flucht in die Niederlande jedenfalls erst rund ein Jahr später. am 8. August 1939.

In Leiden studierte Herta Ägyptologie an der Fakultät für „Letteren en wijsbegeerte“ („Literatur und Philosophie“) und trat einer katholischen Studentenverbindung bei („Augustinus“) wofür sie sich am 13. September 1939 taufen ließ, kurz nachdem auch die Eltern in den Niederlanden angekommen waren.
Inhaltlich beschäftigte sich Herta Mohr vor allem mit dem Tempel von Hetepherakty. Über ihre Forschungsergebnisse hielt sie auf dem 20. Internationalen Kongress der Orientalisten in Brüssel im September 1938 den Vortrag „Einige Bemerkungen zur Leidener Mastaba“. Sie konnte ihr Studium aber auch in Leiden nicht mehr rechtzeitig formal mit einer Promotion abschließen. Dann am 19. Mai 1940 wurden die Niederlande durch den Überfall und die Besetzung durch die Deutsche Wehrmacht überrascht.

Herta Mohr teilt in einem Brief an die belgische Ägyptologin Marcelle Werbrouck mit, dass sie am 5. September 1940 Leiden verlassen musste und sich vorerst nach Bilthoven zurückzog. Eine sich kurzfristig ergebende Möglichkeit, in die USA auszureisen wurde von ihr nicht genutzt. Bevor sie überlegen konnte, wie sie ihre Studien in Leiden fortsetzen und abschließen könnte, wurde die Universität geschlossen, nachdem sie sich deutlich gegen Entlassungen von Juden aussprach. Im Dezember 1940 lebte Herta in Eindhoven, wo sie ihre Studien zum Buch über den Tempel von Hetepherakty, genauer die Mastaba von Hetep-her-akhti, fort und konnte ihr Buch im Juli 1942 fertigstellen, wurde aber wenige Tage später, am 2. August 1942 von Eindhoven aus in das Durchgangslager Westerbork deportiert, wo sie als Übersetzerin eingesetzt wurde. Versuche von Kolleg*innen, Herta aus Westerbork zu befreien, scheiterten. Herta Mohrs Buch, "The mastaba of Hetep-her Akhti. Study on an Egyptian Tomb Chapel in the Museum of Antiquities Leiden" kann damals durch Bekannte veröffentlicht werden und erscheint 1943 in Leiden. Sie erfuhr noch davon, dass sie jedoch je ein Exemplar des Buches selbst gesehen hat, ist eher unwahrscheinlich. Auch ihre Eltern waren in das Lager Westerbork gebracht worden, von wo aus sie mit dem Transport XXIV/2 Nr. 483 und 484 am 20. Jänner 1944 nach Theresienstadt, und am 28. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert wurden, wo sie nach ihrer Ankunft ermordet wurden.

Wenige Tage nach ihren Eltern wurde auch Herta Mohr am 25. Jänner 1944 von Westerbork nach Auschwitz deportiert, in das Frauenlager Auschwitz II-Birkenau (Häftlingsnummer 21331). Vor der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Jänner 1945 durch die sowjetische Armee war Herta Mohr nach Groß-Rosen gebracht worden, das zwei Wochen später befreit wurde. Doch Hertha Mohr war kurz zuvor nach Bergen-Belsen verlegt worden, wo sie noch am Tag der Befreiung am 15. April 1945 starb. Da der Todeszeitpunkt von Herta Mohr und ihren Eltern in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht bekannt waren, wurde eine Todeserklärungsverfahren eingeleitet und alle drei wurden am 16. August 1949 mit dem Todesdatum 8. Mai 1945 amtlich für tot erklärt.

Die Namen von Adolf, Gabriele und Herta Mohr wurden im 2016 eröffneten Joods monument Den Bosch eingraviert und auch im 2021 eröffneten Holocaust Namenmonument Amsterdam wurde für alle drei je ein Stein gelegt. In Leiden wurden 2022 Stolpersteine für für alle drei vor dem Haus Fagelstraat 17 verlegt, wo die Familie in den frühen 1940er Jahren lebte. Auch in Wien wurden die drei Namen in den Tafeln der 2021 eröffneten Shoah Namensmauern Gedenkstätte eingraviert.
An der Universität Leiden wurde die ehemalige Studentin Herta Mohr und ihre wissenschaftliche Arbeit im 21. Jahrhundert wiederentdeckt - als Ehrung und Erinnerung wurde der Neubau des African studies centre Leiden bei der Eröffnung im Oktober 2024 nach ihr in "Herta Mohr Building" (Witte Singel 27A, 2311 BG Leiden) benannt.


Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1932-1935, PHIL 1935-1938, THAUSING 1989, 23f.; Österreichisches Staatsarchiv OeStA/AdR/E-uReang/VVSt/VA/15101, OeStA/AdR/E-uReang/Hilfsfonds/Sammelstellen A und B/SSt 6957; Wiener Stad- und Landesarchiv WStLA/1.3.2.119.A41 248,Bezirk:9 Vermögensentziehung, WStLA/Historische Meldearchiv; Arolsen Archives; DÖW 2001; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 439; Herbert POSCH, Vertreibung der Studierenden der Universität Wien 1938, in: Vertreibung der Studierenden der Universität Wien nach 1938, Zeitgeschichte, 35 (2008), 187–213; www.yadvashem.org; African studies centre Leiden, Herta Mohr Building officially opened!, 17.10.2024; https://joodsmonumentdenbosch.nl/de-namen/; Nicky VAN DE BEEK, Braving the odds: Egyptologist Herta Mohr during the Second World War, in: Navratilova, H., T.L. Gertzen, M. De Meyer, A. Dodson and A. Bednarski (eds), Addressing Diversity: Inclusive Histories of Egyptology (2023), 181-203, VAN DE BEEK, Herta Mohr and the Mastaba of Hetepherakhty, in: Verschoor, V., A.J. Stuart and C. Demarée (eds), Imaging and Imagining the Memphite Necropolis: Liber Amicorum René van Walsem (2017), 233-238; https://nickyvandebeek.com/projects/herta-mohr/; Herta Mohr: Egyptoloog in Oorlogstijd, Ta Mery 2024-2025; REITER-ZATLOUKAL/SAUER 2025.


Marlene Spitaler, Herbert Posch


Herta Mohr, Passfoto, 1937, © CC 0

Zulassungsschein ("Nationale") von Herta Mohr, Wintersemester 1937/38 (Vorderseite), Foto: Herbert Posch, © Archiv der Universität Wien

Nationale von Herta Mohr, Wintersemester 1937/38 (Rückseite), Foto: Herbert Posch, © Archiv der Universität Wien

Nationale von Herta Mohr, Sommersemester 1938 (Vorderseite), Foto: Herbert Posch, © Archiv der Universität Wien

Nationale von Herta Mohr, Sommersemester 1938 (Rückseite), Foto: Herbert Posch, © Archiv der Universität Wien

Herta Mohr Inskriptinsschein, Universität Leiden, Wintersemester 1937/38, 30.11.1937, © CC 0

Deckblatt der Publikation von Herta Mohr, The Mastaba of Hetep-her-Akhti, erschienen 1943 in Leiden, © CC 0

Stolpersteine für Herta Mohr und ihre Eltern in Leiden, Fagelstraat, 9. November 2022, Foto: Vysotsky, © CC BY-SA 4.0
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