Alfred Viktor Berger - Vösendorf
Geb. am: |
09. Jänner 1901 |
Fakultät: |
Juridische Fakultät |
Kategorie: |
Doktorgradaberkennung |
Alfred Viktor BERGER, später: BERGER-VÖSENDORF, geb. am 9. Jänner 1901 in Wien, gest. am 27. Mai 1980 in Washington, D.C./USA, hatte 1922 an der Universität Breslau promoviert und ließ den Grad eines "Dr. iur." 1924 an der Juridischen Fakultät der Universität Wien nostrifizieren, 1941 wurde ihm der Grad aus rassistischen und politischen Gründen aberkannt.
Der spätere Nationalökonom, Politologe, Wirtschaftsexperte und Rechtsanwalt Alfred Viktor Berger war der Sohn von Kommerzialrat Isidor Robert Berger (1858-1942, Fabrikant ["Belko" Wien-Vösendorfer Genussmittelwerke, Berger, Volk & Co.]) und seiner Frau Louise Berger (geb. Pichler, 1871-1942), die beide im Dezember 1916 aus der israelitischen Kultusgemeinde Wien austraten und sich - und vermutlich auch Alfred Berger - röm.-kath. taufen ließen, nachdem sein älterer Bruder Oscar (geb. 1892) bereits 1898 röm.-kath. getauft worden ist.
Alfred Berger legte in Wien die Reifeprüfung ab und gründete bereits 1918 den akademischen Verband
Altösterreich und wurde dessen Präsident. Er absolvierte 1919 bis 1920 die alte
Wiener Handelsakademie und begann bereits parallel ab Sommersemester 1919 als außerordentlicher Hörer an der Juridischen Fakultät der Universität Wien Rechts-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Er studierte dann als ordentlicher Hörer in Österreich an den Universitäten Wien und Graz und in Deutschland in München, Berlin und Breslau [heute: Wrocław, Polen] u.a. bei Josef Schumpeter, Werner Sombart und Hans Kelsen.
Er promoviert 1922 an der Universität Breslau zum Doktor der Rechtswissenschaft, geht Anfang 1923 bereits als Attaché beim Österreichischen Generalkonsul für ein Jahr nach Rio de Janeiro und lässt sein Doktorat, das er in Deutschland an der Universität Breslau erworben hat am 22. Mai 1924 an der Universität Wien in ein "inländisches Doktorat" nostrifizieren.
1924-1938 arbeitet er als Jurist in Wien, ist publizistisch aktiv sowie wirtschaftswissenschaftlich und politisch beratend – politisch ist er in der konservativen bzw. monarchistisch-legitimistischen Bewegung und später auch in der austrofaschistischen
Vaterländischen Front aktiv. Ab 1931 ist er als Rechtsanwalt in Wien zugelassen und spezialisiert sich inhaltlich auf Handels- und Zahlungsbilanz und ausländische Handelspolitik. 1932 ändert er seinen Nachnamen in "Berger-Vösendorf" und betätigt sich weiter als internationaler Industrieberater im Nahen Osten, ist Teilnehmer der österreichischen
Offiziellen Konferenz für Außenhandel und Forschungsleiter des
Ökonomischen Instituts der Wiener Hochschule für Welthandel [heute: Wirtschaftsuniversität Wien]. Er gründet den
Konservativ-Sozialen Arbeitskreis und erarbeitet ein konservativ-soziales Programm für eine konservative ständestaatlich-monarchistische Zukunft Österreichs, leitet 1936-1938 die rechtlich-ökonomische und politische Abteilung der
Vaterländischen Front und referiert regelmäßig in der katholischen
Leo-Gesellschaft.
Vor den erwartbaren Repressalien als austrofaschistischer Funktionär und konvertierter Jude emigrierte er noch in der Nacht vor dem "Anschluss" mit Hilfe des
Catholic Aid Comitee am 11./12. März über die Tschechoslowakei in die Niederlande, wo er ab Juli 1938 an der
Universität von Utrecht als unbesoldeter Lektor Handelspolitik und Finanzwissenschaft unterrichtete und wo er sich noch im selben Jahr unter der Patronanz Professor Verrjn Stuarts in Wirtschaftswissenschaften habilitierte und zur Finanzierung des Lebensunterhalts auch die ausländischen Bankgeschäfte der
Crédit Général Domestique in Brüssel leitete.
Er versuchte eine
Österreichische Legion innerhalb der französischen Armee zu bilden und beteiligt sich an Versuchen von
Martin Fuchs und Hans Rott, eine österreichische Exil-Regierung zu etablieren und wurde von der polnischen Exil-Regierung als Berater in politischen und ökonomischen Angelegenheiten beigezogen für die Entwicklung einer Nachkriegsordnung mitteleuropäischen Donauraum vorzubereiten.
Schon im April 1938 hatte er Leo Gross, den ehemaligen Mitarbeiter von Hans Kelsen in Köln ersucht, für ihn bei der
Society for the Protection of Science and Learning vorzusprechen eine Stelle in Großbritannien erhalten zu können und ersuchte er auch Hayek, seinen "Landsmann und Studienkollegen", um Vermittlung, der jedoch nicht willens war, ihm dabei behilflich zu sein.
Vor der drohenden Okkupation der Niederlande reiste Berger-Vösendorf ohne Aussicht auf eine Stelle im August 1939 mit einem Besuchervisum trotzdem nach Großbritannien. Seine Bezugspunkte und Netzwerke in England waren aber zu wenig verankert, mehrheitlich emigrierte Österreicher monarchistischer Zirkel wie Graf Huyn und Ex-Erzherzog Robert Habsburg, oder Fachkollegen wie Hayek und Richard Schüller, die ihm eher fernstanden und nicht weiterhelfen konnten oder wollten. Er wurde als
enemy alien bald nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges im April 1940 interniert und sofort nach Kanada verbracht und für fast vier Jahre inhaftiert (ab 1943 wieder in England auf der Isle of Man) und erst im Februar 1944 aus der Haft entlassen.
In dieser Zeit wurde ihm vom Dritten Reich aus rassistischen und politischen Gründen am 2. Juli 1940 die deutsche Staatszugehörigkeit aberkannt und sein gesamtes Vermögen beschlagnahmt (Kundmachung im
Deutschen Reichsanzeiger am 4. Juli 1940) woraufhin ihm auch an der Universität Wien am 8. Mai 1941 sein Doktorgrad aberkannt wurde, da er nach den Kriterien des Nationalsozialismus "als Jude als eines akademischen Grades einer deutschen Hochschule unwürdig" galt.
Seine Eltern konnten nicht mehr rechtzeitig aus Österreich fliehen und sie wurden nach ihrer Enteignung und Zwangsumsiedlung am 28. Juni 1942 aus der Sammelwohnung in Wien 2, Schönererstraße [Heinestraße] 30/16 nach Theresienstadt [Terezin, Tschechische Republik] deportiert, wo sein Vater kurz darauf am 30. Juli 1942 umkam, seine Mutter am 23. September 1942 weiter in das Konzentrationslager Treblinka [Polen] deportiert und dort ermordet wurde.
Alfred Victor Berger-Voesendorf hielt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Lehrbeauftragter noch ein Semester Vorlesungen für Internationale Handelswissenschaften an der
University of Oxford. Einen Lehrauftrag in den USA am
Sterling College in Kansas konnte er dann 1946 noch nicht wahrnehmen, da damals die österreichische Quote für die USA noch nicht fixiert war und ihm daher ein US-Visum verweigert wurde. Doch er wurde im selben Jahr auf eine Professur in Ägypten berufen und er leitet dort bis 1948 die ökonomische Abteilung der
Farouk Universität in Alexandria.
Gleichzeitig war er finanzieller und ökonomischer Berater für die Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Südamerika. Er betätigt sich außerdem in den
Vereinten Nationen und der
International Bank for Reconstruction and Development. Berger-Voesendorf reiste 1948 endgültig in die USA ein und kam am 20. Oktober 1948 per Flieger in New York City, NY, an, suchte unmittelbar um die US-Staatsbürgerschaft an und lehrt 1948-1953 an der
Gonzaga University in Spokane, Washington, 1953 ein Jahr in Kolumbien, an der
Universidad de los Andes in Bogotà, dann wieder in den USA: 1954-1956 am
La Salle College in Philadelphia und 1956-1959 am
Georgia State College Of Business Administration in Atlanta. 1965-1968 war er Professor für Ökonomie und Finanzwissenschaften an der
Sacred Heart University in Bridgeport, Connecticut.
Zu seinen wissenschaftlichen Werken gehören u.a.
Der Einfluss des geltenden Steuerrechts auf die Produktion (Breslau 1922),
Der leitende Wirtschaftsbeamte (Wien 1926),
Die Entwicklungstendenz der modernen Handelspolitik. Der Weg zum Schutzhandel (Berlin 1932),
Das Staatsprogramm des sozialen Konservatismus in Österreich (Wien 1938),
The Real Face of the Political Emigration from Germany (London 1945),
The Pathology of Foreign Trade (Alexandria 1947),
An Analysis of the Mixed Economy using the Sub-Model Technique. (Washington, D.C., 1952).
Er ist Mitglied der
American Economic Association und der
Royal Economic Society; von der Republik Frankreich wurde ihm eine Ehrenmedaille verliehen.
Alfred Viktor Berger-Voesendorf stirbt am 27. Mai 1980 in Washington, D.C., seine Asche wurde am 10. Juli im Familiengrab am Stadtfriedhof in Baden/Niederösterreich beigesetzt.
Erst 62 Jahre nach der Aberkennung und sehr lange nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde ihm der Doktorgrad am 10. April 2003 feierlich wieder zuerkannt, bzw. die Aberkennung posthum für "von Anfang an nichtig" erklärt.
Lit.: Archiv Universität Wien/Nationale 1919-1923, Promotionsprotokoll IUR 1924–1939 Nr. 1, Rektorat GZ 1309 ex 1939/40, GZ 1196 ex 1939/40, GZ 1245 ex 1939/40, GZ 140 ex 2002/03; Österreichisches Staatsarchiv/Archiv der Republik E-uReang/VVSt/VA Buchstabe B 281, E-uReang/VVSt/Gew. 2134, E-uReang/AHF/B Berger-Vösendorf, BKA/BKA-I/BPDion Wien/VB/Signatur XVIII 10649; Deutscher Reichsanzeiger vom 4. Juli 1940; Die Presse, 8. Juli 1980, S. 4; American Men & Women of Science 1973/12. Auflage und 1978/13. Auflage; RÖDER 1983, 87f.; FEICHTINGER 2001, 234-237; POSCH/STADLER 2005; POSCH 2009, 274, 393; SAUER/REITER-ZATLOUKAL 2010, 88.
Herbert Posch