Wilhelm Krumholz
Geb. am: |
20. August 1915 |
Fakultät: |
Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: |
Vertriebene Studierende |
Wilhelm KRUMHOLZ, geb. am 20. August 1915 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), war der Sohn von Josef Krumholz (geb. am 26. Jänner.1890 in Czernowitz, kfm.Angestellter) und dessen Ehefrau Fanny (Fani) Krumholz geb. Engler (geb. am 1. Oktober 1891 in Walawa). Während seiner ersten Lebensjahre, als sein Vater von 1914 bis 1918 Kriegsdienst leistete, wohnte Wilhelm Krumholz gemeinsam mit seiner Mutter und deren Eltern, Yitzhak (Isaak) Engler (gest. 1919) und Klara Engler (gest. 1938), zusammen. Nach der Rückkehr des Vaters und dem Tod des Großvaters 1919 zog die Familie in eine kleine Wohnung in Wien 3, Hetzgasse 11. Dort wurde 1920 sein Bruder Robert geboren. Der Vater Josef Krumholz arbeitete als Manager für die Schuhfirma Hermes Schuhe, während die Mutter Fanny Krumholz ein Geschäft für Spielwaren in Wien 1, Hafnersteig 6 betrieb. Beide Unternehmen wurden nach dem "Anschluss" 1938 "arisiert", d.h. enteignet.
Wilhelm Krumholz' Bar Mitzwa fand am 3. November 1928 im Stadttempel, der Hauptsynagoge Wiens, in Wien 1, Seitenstettengasse 4, statt.
Wilhelm Krumholz besuchte das Realgymnasium Stubenbastei in Wien 1 und legte dort 1934 die Reifeprüfung ab. Anschließend nahm er ein Studium der Medizin an der Universität Wien auf. Während seines Studiums gehörte er zahlreichen Vereinigungen an, u.a. dem Boxclub Maccabi, den Jüdischen Pfadfindern, dem Alpenverein, der jüdischen Studentenvereinigung Massada sowie die Studentenvereinigung Markomannia.
Nachdem er die Prüfungen des 1. Rigorosums erfolgreich abgelegt hatte, galt er als "cand.med." und arbeitete in der allg. Poliklinik unter Prof.
Alois Strasser.
Nach dem "Anschluss" im März 1938 wurden alle jüdischen Ärzte entlassen, als medizinische Hilfskraft konnte Wilhelm Krumholz jedoch kurze Zeit weiterarbeiten, um den akuten Ärztemangel zu kompensieren.
Er war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 7. Studiensemester inskribiert. In dieser Zeit musste er zur Stellung und erhielt sein Wehrmachtsbuch.
Nachdem ihm das Weiterstudium sowie die Arbeit im Krankenhaus verunmöglicht wurde, überlegte er nach Frankreich oder in die Schweiz zu emigrieren. Während seine Eltern nach dem Novemberpogrom 1938 noch auf ein Affidavit von Verwandten in Kalifornien sowie Einreisevisa in die USA warten wollten, beschloss Wilhelm Krumholz rasch zu flüchten – auch, da er bereits für die Deutsche Wehrmacht gemustert worden war.
Gemeinsam mit seinem Onkel und seinem Cousin Kurt Seliger reiste er mit dem Zug durch Deutschland, um bei Lörrach die Schweizer Grenze zu überqueren. Dort wurden sie von Gestapo-Beamten aufgehalten, ein SS-Mann verriet ihm jedoch eine Möglichkeit, um illegal in die Schweiz zu flüchten: Sie fuhren mit dem Zug zur Station Basel-Badischer Bahnhof, wo sie am 27. November 1938 nachts nicht weit von der offiziellen Grenzstation entfernt zwei Grenzzäune überquerten. In Basel angekommen gingen sie zum Haus eines anderen Onkels, Dr. Karl Engler, der schon einige Zeit zuvor in die Schweiz emigriert war.
Engler brachte sie zur Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) in der Kornhausgasse in Basel, die sie im Emigranten-Durchgangslager "Sommercasino" am Stadtrand Basels (betrieben von Polizei und IKG) unterbrachte. Den Insassen des Lagers war es tagsüber erlaubt das Lager zu verlassen, ab 21h mussten jedoch alle anwesend sein. Im Flüchtlingsheim wurde Krumholz zunächst kurzzeitig als Küchenhilfe eingesetzt. Als Lagerleiter Schetty erfuhr, dass er über ein fast abgeschlossenes Medizinstudium verfügte, unterstützte er bereits ab November 1938 den einzigen Lagerarzt bei der medizinischen Versorgung der hunderten Insassen. Er wirkte auch als Mitglied und als Vertrauensmann im Selbsthilfekomitee der Österreichischen Emigranten.
Polizeilich registriert, musste Wilhelm Krumholz sich wenig später bei der Fremdenpolizei in Basel (Herr Mertz) melden und wurde dort über seinen illegalen Grenzübertritt befragt. Da er die Fluchtmöglichkeit für andere Bekannte und Verwandte offen halten wollte, erzählte er, sie hätten in Lörrach die Grenze überquert, was bei Mertz Misstrauen und Ärger hervorrief. Der Chef der Polizeiabteilung, Dr. Rothmund, ließ den Stempel "J" in Krumholz' Pass nachtragen.
Am 22. Dezember 1938 teilte die Eidgenössische Fremdenpolizei Bern der kantonalen Fremdenpolizei in Basel mit, dass Wilhelm Krumholz aufgrund seiner illegalen Einreise in das Deutsche Reich zurückgeschickt werden solle. In einem weiteren Schreiben an den Basler Regierungsrat Brechbühl vom 24. März 1939 bat die Fremdenpolizei Bern nochmals "dringend", Krumholz und fünf weitere jüngere Flüchtlinge nach Deutschland zurückzubringen, da diese illegalen Einwanderer die Situation für legale Immigranten erschweren würden. Dennoch wurde die Ausweisung – nach Intervention eines Herrn Guggenheim in Zürich – letztendlich zurückgestellt.
Nach einigen Monaten konnte er sich freier bewegen und wohnte zwischenzeitlich auch in verschiedenen Pensionen in Basel. Über einen ehemaligen Wiener Studienkollegen,
Philo PINES, lernte Krumholz in Basel eine Gruppe polnischer Medizinstudenten kenne, darunter seine spätere Ehefrau, Miriam Ryszelewska.
Aufgrund einer Auseinandersetzung mit dem polnischen Studenten Jerzik Kava, der ein Funktionär in der Kommunistischen Partei war, wurde er erneut zur Fremdenpolizei zitiert und von Mertz verhört. Da er ausgerechnet am Tag des deutschen Überfalls auf Polen in eine von Deutschen geführte Pension übersiedelte, wurde er später auch verdächtigt, deutscher Spion zu sein. Ebenso erregte der rege Briefverkehr mit seiner Familie in Wien einerseits und mit Verwandten in den USA andererseits das Misstrauen der Polizei.
Nach etwa einem Jahr im "Sommercasino" wurde Wilhelm Krumholz im November 1939 in ein Arbeitslager in der Peripherie Basels, nach Friedmatt, verlegt, wo die Insassen körperlich anstrengendere Feldarbeit u.ä. verrichten mussten, teilweise gemeinsam mit psychiatrischen Patienten und Gefängnisinsassen.
Seine spätere Ehefrau, Miriam Ryszelewska, ermutigte ihn, sein fast Medizinstudium wieder aufzunehmen. Über einen Medizinprofessor erhielt er einen Vorstellungstermin bei Jules Dreyfus-Brodsky, der Stipendien an der Basler Universität vergab und Krumholz die fehlenden Semester finanzierte. Im Dezember 1939 begann er offiziell sein Studium an der Universität Basel.
Da Spitalsdirektor Gottfried Moser, der sowohl die Medizinischen Abteilungen als auch das Lager Friedmatt sowie ein zweites Arbeitslager leitete, nach Krumholz‘ Einschätzung antisemitische und faschistische Sympathien hegte, musste er nach den absolvierten Semestern wieder vorübergehend nach Friedmatt. Wenig später kam er wieder frei und wohnte in verschiedenen Pensionen (finanziell unterstützt durch die Israelitische Flüchtlingshilfe) sowie spätestens ab 1944 in einer großen Wohnung in der Nauenstraße 8, die er mit anderen Emigranten teilte. Er absolvierte seine Abschlussprüfungen und arbeitete daneben in verschiedenen medizinischen Bereichen mit. Mit der Dissertation "
Die erythropoetische Funktion des Bilirubins insbesondere beim Icterus" konnte er schließlich 1944 sein Medizinstudium an der Universität Basel abschließen. Da keine Verwandten die Abschlusszeremonie hätten besuchen können und da er kein Geld für den traditionellen Talar der Absolventen hatte, nahm der Dekan Prof. Schönberg ihm den hippokratischen Eid außerhalb einer offiziellen Abschlusszeremonie ab.
Seine Eltern waren bereits am 4. August 1941 von ihrer Wohnung in Wien 3, Hetzgasse 11, nach Daruvar [Kroatien] deportiert worden. Josef Krumholz wurde von dort weiter nach Jasenovac überstellt, wo er starb. Fani Krumholz wurde zunächst nach Loborgrad gebracht, und von dort weiter nach Auschwitz [Oswiecim/Polen] überstellt, wo sie ermordet wurde. Auch sein jüngerer Bruder Robert, der versucht hatte, nach Palästina zu emigrieren, wurde Opfer der NS-Verfolgungs- und Vernichtungspolitik.
Nach dem Studienabschluss wurde Wilhelm Krumholz 1944 zunächst in das Arbeitslager Raron in den Schweizer Bergen gebracht, wo er als Lagerarzt eingesetzt wurde. In den folgenden Jahren vertrat Krumholz Ärzte in verschiedenen Gegenden in der Schweiz, wurde dazwischen in verschiedenen Lagern (u.a. Magden) als Lagerarzt eingesetzt und arbeitete vorübergehend auch an der Basler Universitätsklinik (Chirurgie, v.a. Unfallchirurgie). Eine vertiefende Ausbildung im Bereich der Lungenchirurgie unter Prof. Rudolf Nissen an der Universität Basel wurde von Spitalsdirektor Gottfried Moser verhindert.
1948 heiratete er seine langjährige Freundin, Miriam Ryszelewska.
Nach fünf Jahren als Vertretungsarzt nahm Wilhelm Krumholz 1951 eine gut bezahlte Stelle im Bereich der Forschung in dem pharmazeutischen Unternehmen Robapharm an und forschte in den Folgejahren vor allem im Bereich der Organentnahme. Er lebte hauptsächlich in London und reiste viel innerhalb Europas (Irland, Schottland, Frankreich, Deutschland).
1953 erhielt er schließlich alle nötigen Papiere für die Emigration in die USA, die er bereits 1938 beantragt hatte. Mit dem Schiff "Liberté" erreichten Wilhelm Krumholz, seine Ehefrau Miriam Krumholz und seine fast zweijährige Tochter Ariane im Dezember 1953 den Hafen von New York. Ein Freund, Fred Goodman, nahm die Familie zunächst in seinem Haus in New Jersey auf.
Trotz seines in der Schweiz abgeschlossenen Studiums musste Krumholz große Teile wiederholen, um in den USA als Arzt zugelassen zu werden. So absolvierte er 1954-1955 zunächst ein internship am Hackensack Hospital in New Jersey, während seine Frau eine Stelle im dortigen Labor annahm, und wurde anschließend resident am Psychiatrischen Zentrum in Islip, Long Island, New York. Nach drei Jahren hatte er seine Abschlussprüfungen absolviert, den Titel des Doctor of Medicine an der State University of New York in Stony Brook (1957) und seine Zulassung als Psychiater erhalten. Sein lange gehegter Wunsch, als Chirurg tätig zu werden, ging nicht in Erfüllung.
Ab 1958 arbeitete Wilhelm Krumholz als Leiter der Forschungsabteilung am Psychiatrischen Zentrum in Islip, wo er bis 1971 vor allem im Bereich der Psychopharmakologie forschte, und führte daneben eine private Praxis in Islip Terrace. In den 1970er Jahren arbeitete er daneben auch als Sex-Therapeut am Human Sexuality Center in Long Island sowie als assistant professor für klinische Psychiatrie an der State University of New York in Stony Brook.
1980 trat er seine Pension an. Seine Ehefrau Miriam Krumholz war 1977 nach langer Krankheit verstorben, die Töchter Ariane Krumholz-Lynn und Diana McDonald waren weggezogen.
Krumholz kehrte später für mehrere Besuche nach Wien zurück, konnte sich jedoch nicht vorstellen, wieder hier zu leben.
Wilhelm Krumholz starb am 16. Dezember 2002 im Alter von 87 Jahren, in Bohemia, Suffolk County, New York.
Lit.: POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 424; USC Shoah Foundation Institute for Visual History and Education, University of Southern California, Interview 39915 (22. März 1998, Bohemia/USA, Interviewer: Marc Schimsky); freundliche Hinweise von Dr. Gabriele Bergner, Teltow bei Berlin, 2015; Staatsarchiv Basel, Dossier PD Reg. 3a 30164 A Jüdische Flüchtlinge; Wilhelm Vilem Krumholz in prabook.org; ancientfaces.com; Realgymnasium Stubenbastei, Maturajahrgang 1934; Kurt SELIGER [Cousin], Basel-Badischer Bahnhof. In der Schweizer Emigration 1938-1945, Wien 1987; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW): Datenbank Shoah-Opfer (Josef und Fani Mutter Krumholz); KNIEFACZ/POSCH 2017a.
Katharina Kniefacz