Viktor (Victor) Kraft
Geb. am: |
04. Juli 1880 |
Fakultät: |
Philosophische Fakultät |
Kategorie: |
Vertriebene WissenschafterInnen |
Viktor (Victor) KRAFT, geb. am 4. Juli 1880 in Wien, gest. am 3. Jänner 1975 in Wien, war 1938 ao. Prof. für Philosophie (Theoretische Philosophie) an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien.
Er wurde im Nationalsozialismus aus politischen Gründen verfolgt und 1939 seines Amtes enthoben.
Kraft war Sohn eines Bürgerschuldirektors und besuchte das Real-Gymnasium in Wien, wo er anschließend an der Universität Philosophie, Geschichte und Geographie studierte und 1903 zum Dr. phil. promovierte. Zur weiteren Ausbildung ging Kraft an die Universität Berlin, wo er allerdings nur für ein Semester verblieb, zumal er im Herbst 1904 zur Absolvierung des Einjährigenjahres nach Österreich zurückkehren musste. Aufgrund eines Herzfehlers schied er allerdings wieder aus dem Militärdienst aus und musste aus diesem Grund auch nicht in den Ersten Weltkrieg einrücken. Die gesundheitlichen Beschwerden waren – eigenen Angaben zufolge – auch seinem wissenschaftlichen Werdegang bzw. der Erlangung der venia hinderlich: Hatte er 1904 "Die Erkenntnis der Aussenwelt" veröffentlicht, erschien sein nächstes Buch "Weltbegriff" erst 1912. Im gleichen Jahr nahm er[1] zur Sicherung seines Lebensunterhalts[2] eine Tätigkeit an der Wiener Universitätsbibliothek auf, woraufhin er sich 1914 für Philosophie an der Universität habilitierte. Nach der Veröffentlichung seines nächsten größeren Werks, "Die Grundformen der wissenschaftlichen Methoden" (1924), erhielt er den Titel eines ao. Prof. verliehen. Kraft fungierte in der Folge als Prüfungskommissär und Vereins-Vorsitzender wie auch Vertreter der Bibliothekare in der Gewerkschaft der wissenschaftlichen Beamten.[3] An der Bibliothek oblag ihm auch die Ausbildung des Nachwuchspersonals.[4] Gemeinsam mit u. a. Otto Neurath, Ludwig Wittgenstein und Moritz Schlick war er in den 1920er und 1930er Jahren auch Teil des Wiener Kreises.[5] Hatten bereits unter dem austrofaschistischen Regime viele Mitglieder Österreich verlassen, musste Kraft 1938, nach dem "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich, seine Lehrtätigkeit an der Universität Wien beenden.
Das Unterrichtsministerium widerrief am 22. April 1938 seine Lehrbefugnis,
[6] während er mit Ende Juni des folgenden Jahres auch als Oberstaatsbibliothekar der Universitätsbibliothek Wien in den Ruhestand versetzt wurde.
[7] In seinem Lebenslauf führte Kraft diese Maßregelungen auf den Umstand zurück, dass seine Frau gemäß NS-Rassendoktrin als Jüdin galt.
[8] Für die Pensionierung als Bibliothekar entspricht das den Tatsachen, wohingegen im Falle des Widerrufs seiner Lehrbefugnis auch die Zugehörigkeit zum Wiener Kreis ausschlaggebend gewesen sein könnte.
Dass beide Gründe zusammenspielten, ist ebenso denkbar bzw. wahrscheinlich.Einem Publikationsverbot war Kraft nicht ausgesetzt – gleichwohl erschienen zwischen 1938 und 1945 nur zwei Artikel in der schwedischen Zeitschrift "Theoria" von ihm, beide 1940. Davon abgesehen arbeitete Kraft während der nationalsozialistischen Herrschaft an seinem Werk "Die Grösse eines Körpers gemäss der Relativitätstheorie".
[9] Im März 1944, knapp fünf Jahre nach seiner Pensionierung, trat er im Rahmen des Kriegs-Arbeitseinsatzes als Bibliothekar am Institut für Denkmalpflege ein und hatte diese Funktion bis zum 1. April 1945 inne.
[10]
Nach der Befreiung konnte Kraft Ende Mai 1945 wieder an der Universitätsbibliothek seinen Dienst antreten und wurde rückwirkend mit 27. April 1945 wieder in den Dienststand aufgenommen.
[11] Ebenso erfolgte seine Rehabilitierung als Privatdozent.
[12] Während im Vorlesungsverzeichnis für das Sommersemester 1945 noch keine Lehrveranstaltungen von ihm dokumentiert sind, las er im darauf folgenden Wintersemester über den "Neopositivismus des 'Wiener Kreises'" und "Grundlagen der Wertlehre".
[13] Zwei Jahre später folgte die Ernennung zum Generalstaatsbibliothekar, wobei Kraft seine bibliothekarischen Tätigkeiten noch im Herbst des gleichen Jahres beendete. Grund war die Ernennung zum ao. Prof.
[14] bzw. die Besetzung der bis 1938 von Dieter Hildebrand ausgeübten Lehrkanzel für Philosophie gewesen. Hildebrand hatte sich dem Ministerium zufolge bis dahin "nicht zum Dienst gemeldet".
[15]
Ab 1950 fungierte Kraft als o. Prof. und Vorstand des Philosophischen Instituts,
[16] nachdem nun ein zweites Ordinariat für Philosophie im Dienstpostenplan vorgesehen war.
[17] Allerdings sollte er diese Funktion nur für rund zwei Jahre ausüben,
[18] da er am Ende des Studienjahres 1950/51 emeritierte und im darauf folgenden noch als Honorarprofessor fungierte.
[19] Kraft blieb wissenschaftlich aber äußerst aktiv,
[20] und konnte mit seiner "Erkenntnislehre" (1960)
[21] und "Grundlagen der Erkenntnis und der Moral" (1968) zwei seiner bedeutendsten Arbeiten veröffentlichen. Ein anderes viel beachtetes Werk stellt "Der Wiener Kreis" (1950) dar, dessen zweite Auflage (1968) auch in viele Sprachen übersetzt wurde.
[22] Kraft thematisierte im angeführten Buch auch den Mord an Moritz Schlick 1936 und schrieb, dass dieser "von einem früheren Schüler, einem verfolgungswahnhaften Psychopathen, in der Universität" erschossen worden sei. Der Täter, Johann Nelböck, 1938 freigelassen und nun als unbescholtener Bürger in Wien lebend, verklagte Kraft daraufhin, zumal er 1936 als zurechnungsfähig begutachtet worden war. Kraft stimmte schließlich einem Vergleich zu, da er sich – seiner Tochter zufolge – bedroht fühlte.
[23]
Die mögliche Anknüpfung an die Philosophie in der Ersten Republik durch die Person Krafts gelang indes nur bedingt. Nach Stadler ist das darauf zurückzuführen, dass er mit seiner positivistischen Auffassung isoliert war, das Ordinariat im fortgeschrittenen Alter erhielt und aus diesen Gründen v. a. außerhalb des Instituts seine Wirkung entfaltete. Ausdruck davon war der "Kraft-Kreis" am Institut für Wissenschaft und Kunst in Wien, der u. a. Paul Feyerabend als Sprungbrett für eine internationale Karriere diente. Außerdem konnte Kraft im Rahmen des "Forum Alpbach" wieder Kontakte zu Emigranten wie Herbert Feigl oder Philipp Frank knüpfen.
[24]
Trotz seiner Zugehörigkeit zum Wiener Kreis betonte Kraft stets seine Eigenständigkeit, die sich v. a. im Erkenntnisproblem wie auch seiner Wertlehre niederschlug. In beiden Disziplinen kritisierte er den neopositivistischen Erfahrungsbegriff. Neurath bezeichnete ihn demgemäß als "Sympathisierenden" des Wiener Kreises, er selbst sich als "Außenseiter". In seinem philosophischen Denken hatten Erkenntnis- und Wertbegriff jeweils normativen Charakter. Seine Erkenntnislehre entwickelte er gewissermaßen in Anlehnung an Galileis Prinzipien der "neuen Wissenschaft", während er im Bereich der Ethik – bzw. in seinem Werk "Grundlagen der Erkenntnis und der Moral" – v. a. für eine Einschränkung individuellen Begehrens plädierte.
[25] Kraft war ab 1949 Ehrenmitglied der Vereinigung der österreichischen Bibliothekare, ab 1950 korrespondierendes und ab 1954 wirkliches Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften,
[26] während er von 1929 bis 1938 Mitglied der Prüfungskommission für Bibliothekswesen gewesen war.
[27]
1966 erhielt er die Ehrenmedaille der Vereinigung der österreichischen Bibliothekare,
[28] und anlässlich seines 90. Geburtstages bzw. der 300-Jahrfeier der Universität Innsbruck 1970 das Ehrendoktorat der Universität Innsbruck verliehen, wobei es im Akt des BMU heißt, er gelte "als grand old man der Österr. Philosophie" und sei "der auch im Ausland bei weitem bekannteste und berühmteste in Österreich lebende Vertreter der Philosophie".
[29] 1971 erhielt er das Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse verliehen.
[30]
Lit.: Österreichisches Staatsarchiv/AdR, BKA, BBV, PA Kraft; Österreichisches Staatsarchiv/AVA, PA Kraft; Archiv der Universität Wien/PH PA 2291, PHIL GZ 659 ex 1937/38, VVZ SS 1945, WS 1945/46; MÜHLBERGER 1993, 44; CZEIKE Bd. 3 1994; KILLY/VIERHAUS Bd. 6 1997; STADLER 2005.
[1] ÖStA/AdR, PA, Curriculum vitae, o. D. (bei Personenstandesblatt vom Juli 1945).
[6] UA, PHIL GZ 659-1937/38, O.-Nr. 58, PHIL Dekanat an Kraft, 23. 4. 1938.
[7] ÖStA/AdR, BKA, BBV, Der Staatskommissar beim Reichsstatthalter/Otto Wächter an Kraft, 3. 6. 1939.
[8] ÖStA/AdR, PA, Personalbogen, o. D.
[10] Ebd., Personalbogen, o. D.
[11] Ebd., Umschlagbogen zur Ernennung zum General-Staatsbibliothekar, o. D.
[13] Vgl. UA, VVZ SS 1945, WS 1945/46 (Philosophische Fakultät, 1).
[14] UA, PA, Blatt Nr. 17, Erich Heintel/I. Philosophisches Institut der Universität Wien an PHIL Dekanat, 27. 1. 1975 (Nachruf).
[15] ÖStA/AdR, PA, BMU GZ 22.741-III/8/47, Ernennung zum ao. Prof. für Philosophie, Vermerk, o. D.
[16] UA, PA, Blatt Nr. 17, Nachruf von Heintel.
[17] ÖStA/AdR, PA, BMU GZ 49487/III-8/49, Antrag auf Ernennung von Kraft zum o. Prof. für Philosophie.
[18] UA, PA, Blatt Nr. 17, Nachruf von Heintel.
[19] Ebd. (ohne Paginierung, D.-Zl. 2046-1949/50), BMU an Kraft, 11. 7. 1951.
[20] UA, PA, Blatt Nr. 17, Nachruf von Heintel.
[22] UA, PA, Blatt Nr. 17, Nachruf von Heintel.
[25] UA, PA, Blatt Nr. 17, Nachruf von Heintel.
[27] ÖStA/AdR, PA, Personenstandesblatt, Juli 1945.
[28] UA, PA, Blatt Nr. 17, Nachruf von Heintel.
[29] ÖStA/AdR, PA, BMU GZ 100.456-I/4/70, Verleihung des Ehrendoktorats der Universität Innsbruck. Vgl. ebd., Rektorat der Universität Innsbruck an das BMU, 30. 12. 1969. Anm.: Das 300jährige Jubiläum der Universität Innsbruck fand 1969 statt, wobei die Bestätigung des Ehrendoktorates durch das Bundesministerium für Unterricht Anfang 1970 erfolgte.
[30] Ebd., BMU GZ 152.412-5/71, Bundesministerium für W., F. u. K., 25. 10. 1971.
Andreas Huber