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Hilda Krampflitschek, Kramer, geb. Zimmermann

Geb. am: 25. Juni 1888
Fakultät: Philosophische Fakultät
Kategorie: Vertriebene Studierende

Dr. med Hilda KRAMPFLITSCHEK (geb. ZIMMERMANN, ab 1940: KRAMER), geb. am 25. Juni 1888 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), Tochter von Sigmund Samuel Zimmermann (1853–1935, Kaufmann) und Cezilie Zimmermann, geb. Bachrich (1863–1922). Sie hatte ursprünglich nur 2 Klassen eines Mädchenlyzeums besucht und am 19. März 1907 in der Synagoge Tempelgasse den Arzt Dr. Max Krampflitschek (1878–1919) geheiratet und am 13. Februar 1908 wurde ihr Sohn Robert geboren. Ihr Mann starb aber überraschend erst 41-jährig am 6. September 1919 und sie war somit bereits mit 31 Jahren Witwe ohne Berufsausbildung und Mutter eines 11jährigen Sohnes. Sie absolvierte 1919–1920 die Sozialakademie der Gemeinde Wien und wurde Fürsorgerin. Sie und ihr Sohn traten am 25. Mai 1923 aus der Israelitischen Kultusgemeinde aus, sie wurde konfessionslos und bereitete sich nebenberuflich auf die Ablegung der Reifeprüfung (Matura) vor, die sie als Externistin am 13. Oktober 1925 am Reform-Real-Gymnasium Wien 8 Albertgasse erfolgreich ablegte. Sie begann anschließend im Sommersemester 1926 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien Medizin zu studieren und hatte am 22. Juli 1932 zur "Dr.med.univ." promoviert, eröffnete eine eigene Praxis und arbeitete daneben ein Jahr im Allgemeinen Krankenhaus in Wien und ein Jahr am Mautner-Markhof-Kinderspital. Sie wohnte bis 1934 in Wien 20, Untere Augartenstraße 36/8, kaufte 1934 das Haus Wien 20, Brigittenauer Lände 46 und wohnte dann dort in TOP 8 und eröffnete eine Praxis als Allgemeinmedizinerin in TOP 4. 1936 bis 1938 leitete sie die psychotherapeutische Ambulanz in der Abteilung von Dr. Hans Hoff an der Poliklinik und begann parallel im Sommersemester 1936 an der Philosophischen Fakultät Anthropologie zu studieren und war zuletzt im Wintersemester 1937/38 an der Philosophischen Fakultät im 4. und letzten Studiensemester inskribiert und belegte Vorlesungen in Anthropologie, Völkerkunde und Urgeschichte.

Das Absolutorium wurde am 23. Februar 1938 ausgestellt und sie meldete sich am 25. Februar 1938 zu den Abschlussprüfungen ("Rigorosen") in Völkerkunde, Anthropologie, Urgeschichte an, nachdem ihr im Jänner vier Semester ihres Medizinstudiums in die Mindeststudiendauer angerechnet worden waren. Sie bestand das "einstündige Rigorosum" bzw. "Philosophicum" kurz nach dem "Anschluss" am Tag von Hitlers Einzug in Wien und seiner Heldenplatz-Rede am 15. März 1938 (Prüfer: Meister, Reininger). Ihre Dissertation: "I. Rassenkundliche Untersuchungen an Montenegrinern, II. Die Heiligenstädter Schädel" (Betreuer: ursprünglich Weninger und Menghin, dann Christian und Geyer) – sie wertete dabei die rassenkundlichen Aufnahmen von 115 Montenegrinischen Kriegsgefangenen des Ersten Weltkriegs auf, die ihr Dissertationsbetreuer Weninger 1915–1917 in Kriegsgefangenenlagern aufgenommen hatte – war am 1. Juli 1938 approbiert worden. Am 12. Oktober 1938 hatte sie auch das zweite Rigorosum bestanden, wenn auch bei ganz anderen Prüfern als vorgesehen, da diese in der Zwischenzeit entweder aus rassistischen Gründen vertrieben worden waren (Josef Weninger) oder aus politischen Gründen (Wilhelm Koppers) oder im NS-Staat zu höheren Ämtern aufgestiegen waren (Oswald Menghin) (Prüfer: statt Weninger: Victor Christian, statt Menghin: Eberhard Geyer, statt Koppers: Kurt Ehrenberg).
Sie konnte somit, nach längerer Unsicherheit, doch noch ihr Studium abschließen und am 18. Oktober 1938 unter zahlreichen symbolischen Diskriminierungen im Rahmen einer "Nichtarierpromotion" promovieren, bei gleichzeitig ausgesprochenem Berufsverbot im gesamten Deutschen Reich.

In der Zwischenkriegszeit engagierte sich Hilde Krampflitschek im Verein für Individualpsychologie, war Mitglied in der Wiener "Arbeitsgemeinschaft der Erzieherinnen, Fürsorgerinnen und Kindergärtnerinnen", die die damaligen Erziehungsmethoden in der Familie als auch in öffentlichen Einrichtungen wie Hort und Kindergarten auf ihre Anwendbarkeit und Sinnhaftigkeit entwicklungspsychologisch evaluierten.
Sie war Mitarbeiterin von Alfred Adler, aktiv im Kreis der sozialistischen Individualpsycholog*innen Wiens, publizierte u.a. in der Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie, hielt Vorträge und Kurse an zahlreichen Institutionen der Stadt Wien und arbeitete auch in mehreren Erziehungsberatungsstellen als ärztliche Beraterin mit.
1937 half sie, den "Klub der Freunde der Individualpsychologie" noch weiterzubetreiben und Eltern und Lehrer*innen bei Erziehungsproblemen individualpsychologisch zu beraten bevor dieser im Nationalsozialismus aufgelöst wurde.

Hilda Krampflitschek musste aus Wien flüchten und konnte 1938 noch rechtzeitig nach London in England/Großbritannien emigrieren, wo sie 1939 nach Edinburgh, Schottland weiterzog und zuletzt in Auchenfroe House in Cardross, Dunbartonshire, Schottland, lebte und als Psychotherapeutin arbeitete. Ihr Sohn Robert Krampflitschek, Kaufmann, hatte sich am 4. September 1938 in Wien wieder röm.-kathol. taufen lassen und heiratete am selben Tag in der Wiener Schottenpfarre Leopoldine Hildegard Novotny (1901–1995), die er bereits am 22. Juli 1932 standesamtlich geheiratet hatte, und emigrierte am 25. Februar mit der SS Veendam von Rotterdam/Niederlande in die USA, wo er am 9. März 1939 in New York ankam. Nachdem Hilda Krampflitschek am 13. November in der Botschaft in Glasgow, Schottland, ein US-Visum erhalten hatte, emigrierte sie am 19. Dezember 1939 mit der SS Volendam von Southampton, England, ebenfalls in die USA, wo sie am 30. Dezember 1939 in New York City, NY ankam und plante, nach Bridgewater, Connecticut, weiterzureisen, wo ihr Sohn, mittlerweile Robert Kramer, als Verkäufer und Farmer lebte und arbeitete (er zog später mit seiner Frau nach Sheridan, Wyoming wo er auch am 4. Mai 1963 starb). In den USA änderte auch Hilde Krampflitschek ihren Nachnamen in "Kramer" und arbeitete als Lehrerin für Psychohygiene am Moravia College for Women in Bethlehem in Pennsylvania, später am Pilgrim State Hospital in New York.

Zu ihren Publikationen gehören u.a. Das phantastische Kind (Dresden 1927) und zahlreiche Artikel in den 1940er Jahren im Individual Psychology Bulletin.

Die Ärztin, Fürsorgerin, Individualpsychologin und Anthropologin DDr. Hilde Kramer, geb. Zimmermann, verh. Krampflitschek, starb 1958 in New York.


Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED Nationale MED 1925–1931, PHIL 1936–1938, Rigorosenprotokoll PHIL Nr. 14249, Promotionsprotokoll PHIL 1931–1941 Nr. 2857, PHIL GZ 8 ex 1937/38 ONr. 36; IKG-Wien Geburtsbuch 1887-1888 Nr. 3241, IKG-Wien Geburtsbuch 1908/I-VI fol. 62 Nr. 496, IKG-Wien 02 Heiratsbuch 1907 fol. 14 Nr. 55, r.k.Pf. Wien 1-Unsere Liebe Frau zu den Schotten Trauungsbuch 1937-1938 fol. 60; FEIKES 1999; Bernhard HANDLBAUER, Die Entstehungsgeschichte der Individualpsychologie. Wien, 1984; Bernhard HANDLBAUER, "Lernt fleißig Englisch": Die Emigration Alfred Adlers und der Wiener Individualpsychologen, in: STADLER II 2004 [1988]; Clara KENNER, Hilda Krampflitschek, in: KEINTZEL/KOROTIN 2002, 405–407; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 422; POSCH 2009, 267, 367; KOROTIN 2016, 1783f.; REITER-ZATLOUKAL/SAUER 2023; www.genteam.at; www.ancestry.de; www.myheritage.at; freundlicher Hinweis von Peter Nosber, Wien 04/2024.


Herbert Posch


Nationale von Hilda Krampflitschek (geb. Zimmermann), Wintersemester 1937/38 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Hilda Krampflitschek (geb. Zimmermann), Wintersemester 1937/38 (1. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Archiv der Universität Wien

Nationale von Hilda Krampflitschek (geb. Zimmermann), Wintersemester 1937/38 (2. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Hilda Krampflitschek (geb. Zimmermann), Wintersemester 1937/38 (2. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Archiv der Universität Wien

Hilda Krampflitschek (geb. Zimmermann), Eintrag 2857 'Nichtarierpromotion' 18. Oktober 1938, Promotionsprotokoll Philosophische Fakultät 1931-1941, Foto: Herbert Posch, (c) Archiv Universität Wien
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