Geb. am: | 25. März 1890 |
Fakultät: | Philosophische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Jolán JACOBI (geb. Jolande Sarah Etelka SZÉKÁCS, ehedem SCHWARZ), geb. am 25. März 1890 in Budapest, Ungarn/Österreich-Ungarn (heimatberechtigt in Budapest/Ungarn, Staatsbürgerschaft: Ungarn), Tochter von Senator und Geheimrat Anton/Antal Székács (Industrieller), hatte am 5. Juni 1908 am ungar. kgl. staatl. Mädchengymnasium in Budapest ihre Reifeprüfung (Matura) erfolgreich abgelegt und heiratete im kurz darauf 1909 den Budapester Rechtsanwalt Dr. Andor/Andreas Jacobi. Sie lebten in Budapest, wo auch ihre beiden Söhne geboren wurden. 1919 emigrierte d sie von Ungarn nach Österreich und wohnte in Wien 1, Stadiongasse 4.
In Wien engagierte sie sich im Kultur- und Sozialbereich und lud als stellvertretende Vorsitzende des Österreichischen Kulturbundes viele europäische Schriftsteller:innen, Politiker:innen und Wissenschaftler:innen - darunter auch C. G. Jung - zu Vorträgen nach Wien ein und organisierte Ausstellungen mit Werken berühmter Maler:innen und Bildhauer:innen.
Als ihre Söhne ihre Schulbildung abgeschlossen und maturiert hatten - Sohn Ernst 1934 am Schottengymnasium in Wien -, begann nicht nur er im Wintersemester 1934/35 an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien zu studieren (Chemie) sondern auch seine Mutter Jolan Jacobi, die zahlreiche Vorlesungen aus Psychologie bei Karl und Charlotte Bühler besuchte. Sie war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Philosophischen Fakultät im 8. Studiensemester inskribiert und belegte Vorlesungen in Psychologie, Philosophie, Völkerkunde und Urgeschichte.
Ihre Familie war zwar schon vor langem vom Judentum zum Katholizismus konvertiert, nach den NS-Kriterien galt sie aber als Jüdin, unterlag als ungarische Staatsbürgerin aber vorerst nicht den NS-Rassegesetzen und konnte ihr Studium 1938 noch abschließen.
Sie hatte sich schon am 12. Jänner 1938 zu den Abschlussprüfungen ("Rigorosen") in Psychologie angemeldet und das "einstündige Rigorosum" bzw. "Philosophicum" am 24. Mai 1938 bei dem Ur- und Frühgeschichtler Prof. Oswald Menghin und dem Klassischen Archäologen Prof. Camillo Praschniker abgelegt. Sie legte ihre Dissertation "Das Altern. Versuch einer psychologischen Studie", betreut ursprünglich von den ebenfalls Vertriebenen Karl und Charlotte Bühler, begutachtet vom Psychologen Otto Tumlirz und dem Philosophen Hans Eibl, die am 28. Juni 1938 auch approbiert worden war. Am 6. Juli 1938 hatte sie auch das zweite Rigorosum bei Tumlirz und Eibl absolviert und konnte somit, nach längerer Unsicherheit, doch noch ihr Studium abschließen und am 11. Juli 1938 in einer Einzelpromotion zur "Dr.phil." promovieren. Als Ausländerin unterlag sie auch nicht dem sonst bei "Nichtarierpromotionen" gleichzeitig mit der Graduierung ausgesprochenen Berufsverbot.
Ihr Sohn Ernst, evangelisch und ebenfalls ungarischer Staatsbürger, war 1938 ebenfalls im 8. Studiensemester seines Chemiestudiums, konnte dieses aber nicht mehr in Wien abschließen.
Jolán Jacobi floh mittellos in die Schweiz, um ein neues Leben zu beginnen und begann als Jolande Jacobi in Zürich ihre Studien und Analysen bei C. G. Jung, und innerhalb weniger Jahre wurde sie zu einer der führenden Interpret:innen seiner Schule der analytischen Psychologie. Ihr wird das Verdienst zugeschrieben, die Jung'sche Psychologie in ein organisiertes System gebracht zu haben, insbesondere durch ihr Buch The Psychology of C. G. Jung (Yale), das zahlreiche deutsche und englische Auflagen erlebte und in neun Sprachen übersetzt wurde.
Sie war Mitbegründerin und Leiterin des C. G. Jung-Instituts in Zürich, lehrte dort und am Institut für Angewandte Psychologie, an der Volkshochschule und an der Universität Zürich sowie in anderen europäischen Ländern, in England und in den Vereinigten Staaten. Sie forschte an der Klinik Zürichberg und spezialisierte sich auf Kunsttherapie. Sie betrieb auch eine eigene psychoanalytische Praxis in deutscher, ungarischer und englischer Sprache.
Jolande Jacobi veröffentlichte mehr als einhundert Arbeiten, zu ihren bekanntesten Büchern gehört neben dem schon erwähnten "Die Psychologie von C. G. Jung"
"Psychologische Betrachtungen: eine Auslese aus den Schriften von C. G. Jung" (1945), "Komplex, Archetypus, Symbol in der Psychologie C. G. Jungs" (1957), "Frauenprobleme, Eheprobleme" (1968), "Vom Bilderreich der Seele: Wege und Umwege zu sich selbst" (1969), "Der Weg zur Individuation" (1971), "Die Seelenmaske: Einblicke in die Psychologie des Alltags" (²1972) und "Paracelsus: Lebendiges Erbe - eine Auslese aus seinen sämtlichen Schriften" (1942, 1991, 2004).
Die österreichische Regierung verlieh ihr 1935 das Ritterkreuz des Verdienstordens und 1972 das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst.
Jolande Jacobi starb plötzlich am 1. April 1973 in Zürich/Schweiz, mitten in den Vorbereitungen zu einer Ausstellung zu Ehren von C. G. Jungs hundertstem Geburtstag im Jahre 1975.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale PHIL 1934-1938, Rigorosenakt und -protokoll PHIL Nr. 14105, Promotionsprotokoll PHIL 1931-1941 Nr. 2788; WEITZEL 2000, 97, POSCH 2009 365f.; Jolande JACOBI, Complex/Archetype/Symbol in the Psychology of C.G. Jung, Princeton, NJ 2020, 241f.
Herbert Posch