Geb. am: | 26. Jänner 1917 |
Fakultät: | Juridische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Kurt Erich Maria BAIER, geb. am 26. Januar 1917 in Wien (heimatberechtigt in Mödling/Niederösterreich, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Stiefsohn von Emil Baier (Zahnarzt in Karlsbad, Tschechoslowakei) und Maria Hunna, geb. Csala (1894–1988), wohnte in Mödling/Niederösterreich, Fürstenstraße 12, und studierte ab 1935 Rechtswissenschaften und war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Juridischen Fakultät im 6. Studiensemester inskribiert.
Er wuchs in einer kleinbürgerlich-konservativen, streng katholischen Familie mit seinem Stiefvater auf und erfuhr erst kurz vor dem "Anschluss", dass sein leiblicher Vater nach den NS-Rassekriterien als "Voll- oder HalbJude" galt, weshalb er im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen Gründen gezwungen wurde, das Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen.
Er musste aus Österreich flüchten und beschreibt die Situation damals aus der Erinnerung von 1988 folgendermassen:
"Wer das miterlebt hat und wer die rücksichtslose Brutalität und die ungezügelte Grausamkeit gesehen hat, mit der sofort oder sehr bald nach dem "Anschluß" die Eliminierung aller politischen Gegner und die Verfolgung, Mißhandlung und Erniedrigung der Juden durchgeführt wurde, der wird sein Leben lang am goldenen Wiener Herzen Zweifel hegen. Und wer die große und sicher berechtigte Angst sah, die viele von denen verspürten, die nicht illegale Nazis gewesen waren, oder die es nicht, wie manche unserer Bekannten, glaubwürdig vortäuschen konnten, der mußte bald erkennen. daß viele aus dieser verständlichen Angst ihre politisch belasteten oder jüdischen Freunde verleugnen oder verraten würden und daß diese letzteren also nicht viel Hoffnung auf das sogenannte „andere Österreich" setzen sollten. Für den, der nicht sein Leben aus politischer Überzeugung im Kampf gegen diese unaufhaltsam rollende Lawine opfern wollte, war es ratsam, so bald wie möglich zu verschwinden." (Baier in: Stadler II 1988)
Und es gelang ihm 1938 nach Überwindung vieler Schwierigkeiten im August die Ausreisegenehmigung und das Visum für England zu erhalten, wo er kurz auf eine Einreiseerlaubnis nach Brasilien warten wollte, da er dort Bekannte hatte, die ihn unterstützen konnten. Doch die Einreiseerlaubnis wurde abgelehnt, und er musste mühsam in England eine Existenzmöglichkeit aufbauen, was einigermassen gelang. Im Juni 1930 wurde er aber als "enemy alien" interniert und mit der berüchtigten Gefangenenschiff "Dunera" nach Australien deportiert. Nach der Landung in Sydney wurden sie zwei Tage mit dem Zug in ein längliches Internierungslager gebracht Nach mehreren Verlegungen landete er in einem Lager in Victoria, wo er an dem staatlichen distant learning programm teilnehmen konnte. Mit Unterstützung einer lokalen Helferin vom australischen Christlichen Studentenverband (Australian Student Christian Movement), konnte er als auswärtige Studenten an der Universität inskribieren, erhielt Bücher und Skripten, sowie eine Stundung der Studiengebühren und konnte vor Ort die mündlichen und schriftlichen Prüfungen im Lager ablegen. So konnte er das erste Studienjahr - er hatte zu Philosophie gewechselt - noch in der Internierung ablegen. Nach einer Unterbrechung durch die Einrückung in die britische Armee konnte er nach Kriegsende sein Philosophiestudium an der Universität Melbourne 1947 mit einem M. A. (Master of Arts) abschließen, wurde Assistent am dortigen Philosophieinstitut und erhielt Studienurlaub um in Oxford/England für sein Doktorat zu studieren, das er 1952 erreichte. Nach einem Jahr an der Cornell Universität/New York kehrte wieder nach Melboume zurück. 1956 wurde er Ordinarius für Philosophie am Canberra University College (später Australian National University) wo er 1958 Annette Stoop, eine bekannte Philosophieprofessorin und Hume-Forscherin, kennen lernte und heiratete. 1962 wurde er an die Universität von Pittsburgh/USA berufen, wo er die nächsten drei Jahrzehnte bis zu seiner Emeritierung 1995 lehrte.
Er arbeitete in verschiedenen Bereichen der praktischen Philosophie wie Ethik, politische Philosophie, Rechtsphilosophie und zu seinen Werke gehören u.a. The Moral Point of View: A Rational Basis of Ethics (1958), Values and the Future: Impact of Technological Change on American Values (1969 hgg. gem. m. Nicholas Rescher), The Rational and the Moral Order: The Social Roots of Reason and Morality (1995) und Problems of Life and Death: A Humanist Perspective (1997). Nach seiner Emeritierung setze er sich in Neuseeland, dem Heimatland seiner Frau Annette, zur Ruhe.
Er war 1977 Präsident der Eastern Division der APA|American Philosophical Association und 1983-86 Vorsitzender des APA-Vorstaned. Er hielt die Paul-Carus-Vorlesungen in Philosophie und wurde in die American Academy of Arts and Sciences als Fellow aufgenommen. 2001 wurde erhielt er die Ehrendoktorwürde der Karl-Franzens-Universität Graz verliehen.
Prof. Dr. Kurt Baier starb am 23. Oktober 2010 im Alter von 93 Jahren in Dunedin, Neuseeland.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale IUS 1937–1938; Zeitzeugenbericht von Kurt E. Baier in: STADLER II 2004 [1988], 125–131; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 357; Interview von Christian Fleck mit Kurt E. Baier vom 26. August 1986 ("Archiv für die Geschichte der Soziologie in Österreich" in Graz); J. B. Schneewind, Proceedings and Addresses of the American Philosophical Association, Vol. 84, No.2 (November 2010), pp. 185-187; obituary; Porträt von Erwin Fabian, 1942 (Australian National Portrait Gallery); wikipedia.
Herbert Posch