Geb. am: | 16. Juni 1916 |
Fakultät: | Juridische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Albert HITSCHMANN, geb. am 16. Juni 1916 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Sohn von Karl Hitschmann (1871-1925, Verwaltungsrat der Brünner Schuhfabrik AG und der Lederwerke Plunder & Pollak AG Leitmeritz [Litoměřice]) und Irma Hitschmann, geb. Reich (1887-?), wohnte in Wien 2, Kleine Sperlgasse 1/33. Er hatte das Bundesrealgymnasium Wien 2., Kleine Sperlgasse 2c, besucht und dort im Sommer 1934 die Reifeprüfung (Matura) abgelegt und begann anschließend, an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien Chemie zu studieren. Aber bereits im darauffolgenden Sommersemester 1934 wechselte er einerseits innerhalb der Universität Wien an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät und studierte Rechtswissenschaften, gleichzeitig inskribierte er aber auch an der Hochschule für Welthandel (heute: Wirtschaftsuniversität) Wien und absolvierte dort parallel das Wirtschafts-Diplomstudium (Sommersemester 1935 bis Wintersemester 1937/38). Er war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Juridischen Fakultät im 7. Studiensemester inskribiert.
Er wurde im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen Gründen gezwungen, das Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen.
An der Hochschule für Welthandel konnte er zwar noch zwei Tage nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Österreich den zweiten Teil der Diplomprüfung ablegen, die dritte Prüfung konnte er als jüdischer Student aber nicht mehr absolvieren und musste auch dies Hochschule ohne Abgangs- und Diplomzeugnis verlassen.
Er war in gutbürgerlichen Verhältnissen in Wien aufgewachsen. Seine Eltern, Karl und Irma Hitschmann, stammten beide aus Böhmen, hatten 1908 in Iglau geheiratet und waren Anfang des 20. Jahrhunderts in die Metropole Wien gezogen und als Leder-Exporteure wohlhabend geworden. Sie hielten die Aktienmehrheit an der 1912 in eine AG transformierte Plunder & Pollack GmbH Leitmeritz [Litoměřice], dem damals zweitgrößten Hersteller von Kalbsleder in Europa mit rd. 300 Mitarbeiter*innen. Sie blieben nach Auflösung der österreich-ungarischen Monarchie in Wien, optierten für die österreichische Staatsbürgerschaft und wurden in Wien heimatberechtigt, wie auch Albert und seine beiden älteren Brüder Fritz (1909-1963) und Paul Hans (1910). Die Familie lebte erst in einer geräumigen Wohnung in Wien 3., Arenbergring 20, später in der Leopoldstädter Kleinen Sperlgasse 1/33 und alle drei Söhne absolvierten ein Realgymnasium und studierten. Nach dem frühen Tod des Vaters 1925 wurde die Firma vom Bruder des Vaters, Richard Hitschmann, geleitet, der im Zentrum von Leitmeritz in der Lippertgasse lebte.
Albert Hitschmann und sein älterer Bruder Fritz machten in den Schulferien immer Praktika bei Plunder & Pollack in Leitmeritz. Ihre Mutter Irma lebte mit ihnen weiter in Wien, hatte aber auch eine luxuriöse Wohnung in der Kartausergasse (Kartouska) in Prag-Smichov.
Im Dezember 1935 zog Alberts Bruder Fritz nach seinem Studienabschluss nach Leitmeritz (Grillparzerstraße 14) und übernahm in der Gerberei der Firma leitende Funktionen. Im September 1937 besuchte er Irland, um dort eine Filiale in Carrick-on-Suir aufzubauen, was dem irischen Bestreben entgegenkam, durch Wiederaufbau einer irischen Lederindustrie von britischen Lederimporten unabhängiger zu werden. Fritz reagierte damit aber auch auf das Erstarken der nationalsozialistischen Henlein-Bewegung im Sudentenland. Produktionsmaschinen wurden aus der Fabrik in Leitmeritz über Italien nach Irland verschifft und wenige Wochen nach dem "Anschluss" Österreichs wurde am 14. April 1938 die Pollack & Plunder Ireland Ltd. gegründet (Grundkapital 100.000 £, aufgeteilt in 400.000 Stammaktien zu je 5 Shilling). Da Onkel Richard und Bruder Fritz selbst erst aus Europa nach Irland gekommen waren, somit als Ausländer galten, war es nicht einfach, die Brüder und die Mutter aus Wien bzw. Prag vor der nationalsozialistischen Verfolgung nach Irland nachzuholen. Die Fabrik in Leitmeritz wurde enteignet ("arisiert").
Albert musste aus Wien fliehen und konnte Ende Juli mit seiner Mutter nach Prag/Tschechoslowakei ausreisen, wo sie noch eine Wohnung hatten, nachdem er zuvor von der Vermögensverkehrsstelle gezwungen worden war, seine Aktien der familieneigenen Lederfabrik Plunder & Pollak Leitmeritz der Wiener Außenstelle der Reichsbank "anzubieten" und auf deren Verlangen hin zu verkaufen. Von Prag aus versuchte er zu seinem Bruder nach Carrick-on-Suir, Irland auszuwandern. Er scheiterte aber an der Erlangung eines working permit für Irland und musste während des laufenden Einreise-Verfahrens vor der endgültigen Annexion der Rest-Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland im Frühjahr 1939 ("Reichsprotektorat Böhmen und Mähren") aus Prag flüchten und es gelang ihm im Juli 1939 nach Bolivien zu emigrieren, nachdem seiner Mutter zuvor am 29. März 1939 noch knapp die Ausreise nach Irland gelungen war.
Er blieb österreichischer Staatsbürger, lebte in den 1940 und 1950 Jahren in Bolivien und in Buenos Aires, Argentinien, war verheiratet und hatte einen Sohn, Carlos Hitschmann, bevor er 1958 ebenfalls zu seiner Mutter und seinen Brüdern Fritz und Hans (er hatte in den Niederlanden überlebt) nach Carrick-on-Suir in Irland zog und in das Familienunternehmen einstieg, das zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor geworden war und in dem er nach dem Tod seines Bruders Fritz 1963 zusammen mit Bruder Hans und Sohn Carlos wichtige Führungspositionen übernahm, bis das Unternehmen 1985 geschlossen wurde.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale JUR 1937–1938; Österreichisches Staatsarchiv OeStA/AdR/Finanzen/VVSt/VA 31876 & VA 13019, OeStA/AdR/E-uReang/Hilfsfonds/Abgeltungsfonds 821, OeStA/AdR/E-uReang/FLD 22570; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 406; Johannes KOLL, Albert Hitschmann, in: Gedenkbuch der Wirtschaftsuniversität Wien; Lili ZÀCH, Irish Perceptions of National Identity in Austria-Hungary and its Small Successor States, 1914-1945, phil. Diss. University Galway, 2015, 220-222; Horst DICKEL u. Gisela HOLFTER, An Irish Sanctuary: German-speaking Refugees in Ireland1933–1945, München/Wien 2016, 69-71, 125, 196-201, 379; www.genteam.at.
Herbert Posch