Annie Altschul
Geb. am: |
18. Februar 1919 |
Fakultät: |
Philosophische Fakultät |
Kategorie: |
Vertriebene Studierende |
Annie ALTSCHUL, geb. am 18. Februar 1919 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), Tochter von Ludwig Altschul (starb bei einem Eisenbahnunglück als sie erst fünf Jahre alt war) und Marie Altschul (Geschäftsfrau), wohnte in Wien 4, Waaggasse 19. Sie besuchte das Realgymnasium des Wiener Frauen Erwerb Vereins in Wien 4, Wiedner Gürtel 68. Dort lernte sie ihre Klassenkollegin
Lucie Smetana (später verh. Fowler) kennen, die eine ihrer besten Freundinnen wurde und mit der sie bis ins hohe Alter Kontakt hielt.
Nach der Reifeprüfung am 17. Juni 1937 begann Annie Altschul an der Universität Wien Mathematik und Physik zu studieren, während Lucie Smetana ein Studium der Medizin aufnahm. Sie inskribierte im Wintersemester 1937/38 an der Philosophischen Fakultät im 1. Studiensemester und belegte Vorlesungen in Mathematik und Physik. Dies war zugleich ihr letztes Semester an der Universität Wien. Ab dem Sommersemester konnte sie aus "rassischen" Gründen nicht mehr weiter studieren.
Annie Altschul konnte noch 1938 gemeinsam mit Mutter, Schwester und Neffen nach London emigrieren. Auch ihre Schulfreundin Lucie Smetana emigrierte nach Großbritannien. Sie arbeitete vorerst als Kindermädchen und Haushaltshilfe und begann später eine Ausbildung als Krankenschwester und Hebamme am Epsom County Hospital. Aufgrund ihres Interesses für die Pflege psychisch Kranker bildete sie sich an der Mill Hill School, North London weiter. 1946 wurde Annie Altschul sie als Krankenschwester am Maudsley Hospital angestellt, einem weltbekannten psychiatrischen Zentrum. Rasch wurde sie Ausbildnerin und studierte zur Vertiefung ihres Wissens auch Psychologie am Birkbeck College in London. Sie beteiligte sich während eines einjährigen USA-Aufenthaltes 1961/62 auch am Lehrprogramm der Boston University School of Nursing und unternahm weitere Studienreisen nach Kanada und Australien. Sie prägte für eine Dekade die Entwicklungen der Pflege und Pflegewissenschaften am Maudsley Hospital.
Sehr früh und erfolgreich publizierte sie auch - "Psychiatric Nursing" (1957) und "Psychology for Nurses" (1962). 1964 verließ sie Maudsley, um Dozentin an der Abteilung für Pflegewissenschaften der Universität Edinburgh zu werden, wo sie 1976 die Professur für Pflegewissenschaften erhielt, die sie bis zu ihrer Emeritierung 1983 innehatte. Mit den Ergebnissen einer empirischen Studie an einer Universitätsklinik zu den Beziehungen des Patienten zum Pflegenden erhielt sie auch den akademischen Grad M.Sc. Die Studie mit dem grundlegenden Ansatz, dass Beziehungen zwischen Pflegenden und Patienten erst durch nicht routinemäßige Interaktion zustande kommen, gehört heute zu den Klassikern der psychiatrischen Pflegeforschung. Ihre Forschungen beeinflussten nicht nur die Pflege psychisch Kranker, sondern auch in der Altenbetreuung.
Annie Altschul war zeitweise auch Beraterin der WHO - World Health Organization der UNO - und unterrichtete an der Pflegeschule des Roten Kreuzes. 1984 hielt sie auf Einladung der European Nurse Researcher auch einen Vortrag in Wien: "Nursing Research for a better Care". Für viele Jahre war sie Mitglied der Socialist Medical Association, und wurde 1983 zum "Commander of the Order of the British Empire" (CBE) ernannt. Heute erinnert noch der von ihr errichtete Professor Annie Altschul Publication Prize an sie.
Gemeinsam mit
Lucy Fowler besuchte sie 1968 wieder ihre Geburtsstadt Wien.
Nach ihrer Emeritierung begann sie wieder Mathematik zu studieren und in ihren 80ern kombinierte sie ihre Begeisterung für Mathematik aber auch für Kinder und wurde voluntary teacher in einer Grundschule.
Sie starb am 24. Dezember 2001 in London.
Kurz vor ihrem Tod wurde sie mit einer eintägigen Konferenz, bei der ihre Texte, die sie 1960-61 in den USA verfasst hatte, diskutiert wurden, und einer Festschrift geehrt (siehe
TILLEY 2004). Die Veranstaltung wurde auch von dem Dokumentarfilmmacher Jack Shea gefilmt.
Lit.: Marlene NOWOTNY, Vertrieben und dann erfolgreich, in: science.orf.at, 14.08.2015; TILLEY 2004; Stephen TILLEY, Re-Reading Altschul: Notes on Knowledge and Tradition, 2001; WOLFF 2004, 11-13; WINSHIP u.a. 2009; Nachrufe in The Independent und The Guardian; freundlicher Hinweis von Dr. Stephen Tilley, University of Edinburgh, 2012; Susan SOYINKA, A Silence that Speaks. A Family Story through and beyond the Holocaust, Eliora Books 2013, 135, 138f., 155; KNIEFACZ/POSCH 2017a.
Herbert Posch