Geb. am: | 01. März 1882 |
Fakultät: | Juridische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene WissenschafterInnen |
Ferdinand DEGENFELD-SCHONBURG, geb. am 1. März 1882 in Wien, gest. am 11. März 1952 ebendort, war 1938 o. Prof. für Politische Ökonomie an der Juridischen Fakultät der Universität Wien.
Er wurde im Nationalsozialismus aus politischen Gründen verfolgt und am 22. April 1938 seines Amtes enthoben und von der Universität Wien vertrieben.
Degenfeld-Schonburg, Sohn eines k. u. k. Feldmarschall-Leutnants,[1] der Erzieher des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand und dessen Bruders Otto war,[2] besuchte das Jesuitenkolleg in Feldkirch/Vorarlberg und das Gymnasium in Ravensburg, Bayern/Deutschland, maturierte 1902 und studierte dann an den Universitäten Innsbruck/Tirol, Freiburg im Breisgau Baden-Württemberg/Deutschland, Berlin/Deutschland, Straßburg/Deutschland [Frankreich] und Wien die Rechte. 1907 bestand er in Straßburg die Referendarprüfung und wurde zudem in Freiburg bei Alfred Schulze mit einer Dissertation über "Stammeinlage und Geschäftsanteil bei der Ges.m.b.H." zum Dr. iur. promoviert. Da ihn der Zusammenhang der Sozialen Frage mit der politischen Ökonomie besonders interessierte, wandte er sich weiteren Studien der Nationalökonomie, Philosophie und Landwirtschaftslehre zu. 1914 wurde er an der Universität Berlin mit der methodologischen Untersuchung "Die Lohntheorien von Adam Smith, David Ricardo, John Stuart Mill und Karl Marx" zum Dr. phil. promoviert. Degenfeld-Schonburg hatte durch seine Ausbildung in Deutschland vor allem die jüngere Historische Schule der Nationalökonomie kennengelernt, neben Max Sering auch Gustav Schmoller, Werner Sombart und Adolph Wagner gehört. Während zweier Jahre an der Universität Wien war er zudem mit der Österreichischen Schule der Nationalökonomie in Kontakt getreten und hatte das Seminar Eugen Böhm-Bawerks besucht. Bei Friedrich Wieser und Eugen Philippović hatte er mit der Arbeit an seiner Dissertation begonnen, die er in Berlin bei Max Sering, dem bedeutendsten deutschen Agrarökonomen seiner Zeit, beendete.
Im Ersten Weltkrieg meldete er sich als freiwilliger Krankenpfleger und war ab 8. April 1915 als Kriegsfreiwilliger an der belgischen, polnischen und französischen Front stationiert. Am 7. Juli 1916 erlitt er eine schwere Verwundung, in deren Folge sein rechter Oberschenkel amputiert und sein rechtes Auge entfernt werden musste. Nach der Beförderung zum Leutnant der Landwehr a. D. kehrte Degenfeld-Schonburg im Herbst 1917 nach Berlin zurück, wo er als Serings Assistent an seiner Habilitation arbeitete. Überdies gehörte er von Juni 1918 bis zum Frühjahr 1919 der Wissenschaftlichen Kommission des Kriegsamtes an.[3]
1920 habilitierte er mit der Schrift "Die Motive des volkswirtschaftlichen Handelns und der deutsche Marxismus" an der Universität Marburg im Fachbereich Nationalökonomie und lehrte ebendort als Privatdozent, bis er 1923 einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Universität Würzburg annahm. Nachdem Carl Grünbergs Lehrstuhl über Jahre vakant geblieben war, wurde am 20. Oktober 1927 Degenfeld-Schonburg, der gleichzeitig einen Ruf aus Rostock hatte, an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien zum Ordinarius ernannt. Er vertrat ab dem Sommersemester 1928 das Fach Politische Ökonomie und lehrte Sozialpolitik, Volkswirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte und hielt die zugehörigen Übungen. Ab dem Studienjahr 1928/29 war er zudem Direktor des "Seminars für Volkswirtschaftslehre und Gesellschaftslehre" und gehörte ab 1931 auch dem Kuratorium der "Österreichischen Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle" an. Im Austrofaschismus fungierte er als Dekan (1933/34) und – gemeinsam mit Josef Nadler – als Präsident der jährlich stattfindenden Ferien-Hochschulkurse am Schloss Traunsee.
In Ferdinand Degenfeld-Schonburgs Forschungsfokus standen die wirtschaftliche Entwicklung und soziale Ordnung, wobei sein wissenschaftlicher Zugang durch seinen katholischen Glauben geprägt war. Bereits in Dissertation und Habilitationsschrift setzte er sich mit dem Marxismus auseinander, später mit den "Wirtschaftsantrieben des Liberalismus und Sozialismus" (1926) und verfasste zum vierzigjährigen Jubiläum der Enzyklika den Text "Sozialpolitische Forderungen der Enzyklika rerum novarum" (1931). Außerdem befasste sich Degenfeld-Schonburg wie sein Kollege Hans Mayer mit dem Sozialproblem der Akademikerarbeitslosigkeit, wovon sein Buch "Geist und Wirtschaft. Betrachtungen über die Aussichten der deutschen Akademiker" (1927) zeugt. In den "Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik" veröffentlichte er unter anderem eine Untersuchung über die wirtschaftlichen Zusammenhänge von "Wettbewerbsstreben und Ertragsgestaltung" (1941) und die "Grundlinien einer Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" (1949).
Als Vertreter der Historischen Schule der Nationalökonomie und noch dazu in Konkurrenz zur nächsten, außeruniversitär angesiedelten Generation der Österreichischen Schule der Nationalökonomie vermochte Ferdinand Degenfeld-Schonburg jedoch kaum, über die engen Grenzen seines Wirkungskreises an der Universität Wien bleibende Wirkung zu hinterlassen. Außerdem war er durch die Verwundungen aus dem Ersten Weltkrieg in seiner Schaffenskraft eingeschränkt. Studierende bezeichneten ihn zwar als "pleasant and eminently decent", jedoch "not at all brilliant man"[4] (Alexander Gerschenkron), manchmal gar als "complete nonentity"[5] (Fritz Machlup). Machlup gelangte vor allem aufgrund Degenfelds unverhohlenen Antisemitismus zu dieser Aussage, was Einblick in den universitären Alltag der Zwischenkriegszeit gibt: Als Machlup Degenfeld bat, seine Habilitation zu unterstützen, soll dieser geantwortet haben, daß er keinen jungen Juden habilitieren könne. In Machlups Erinnerung lautet die Begründung so: "There’s another reason why I cannot vote for you. The Jews are precocious. With this precociousness they appear much brighter at an earlier age. If we then pick the Jew who shows promise at an early age, we would really be discriminating against the Aryans, the non-Jews. And, hence, I cannot vote for a young Jew."[6]
Trotz seines Antisemitismus wurde Ferdinand Degenfeld-Schonburg per 22. April 1938 "bis auf weiteres beurlaubt"[7] und Ende August 1938 gemäß § 6 der Verordnung zur Neuordnung des Berufsbeamtentums[8] in den Ruhestand versetzt. Ausschlaggebend war sein katholischer Glaube bzw. seine Nähe zum autoritären Ständestaat. Wenzel Gleispach urteilte wie folgt über ihn: "Durchaus legitimistisch eingestellt, dem Nationalsozialismus geradezu feindselig gegenüberstehend. In dieser Richtung kleinlich und mit engem Horizont und pedantisch."[9] Zum Nachfolger Degenfelds avancierte ein im Austrofaschismus Gemaßregelter: Emanuel Hugo Vogel, der 1934 – als Rektor der Hochschule für Bodenkultur – aufgrund seiner Betätigung für die verbotene NSDAP pensioniert worden war.[10] Die Rückkehr an eine Hochschule im "Dritten Reich" blieb Degenfeld verwehrt, wie auch keine anderweitige berufliche Tätigkeit dokumentiert ist.
Nach Kriegsende sollte er umgehend an die Universität Wien zurückkehren und von Mai 1945 bis September 1946 als Dekan dem Akademischen Senat angehören. Seine offizielle Wiederaufnahme in den Dienststand erfolgte per 6. September 1945,[11] wiewohl er seine Lehrtätigkeit bereits im Sommersemester wieder aufgenommen hatte.[12] Weitere wichtige Stationen waren die Verleihung des Dienstpostens eines o. Prof. durch den Bundespräsidenten (1947),[13] die Ernennung zum Senator (1948) [14] und die Leitungsübernahme des Instituts für Wirtschaftswissenschaften nach Hans Mayers Pensionierung (1950). Sein im Februar 1952 gewährtes Ehrenjahr (1952/53) konnte er ob seines Todes kurze Zeit später nicht mehr absolvieren.[15]
Er war korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (1946).[16]
Lit.: Österreichisches Staatsarchiv/AdR, BKA, BBV, PA Degenfeld-Schonburg; Österreichisches Staatsarchiv/AVA, PA Degenfeld-Schonburg; Archiv der Universität Wien/JUR PA 296, RA GZ 677 ex 1937/38, VVZ SS 1945;MÜHLBERGER 1993, 12; AUERBACH 1979; CRAVER 1996; CZEIKE Bd. 2 1993; EHS 2011; KOSCH 1933; PLANER 1929; WER 1951; RATHKOLB 1989.
[2] Wilhelm Kosch, Das katholische Deutschland. Bd. 1, Augsburg 1933.
[3] Catalogus professorum academiae Marburgensis. Die Akademischen Lehrer der Philipps-Universität in Marburg von 1911 bis 1971 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen; 15,2), Marburg 1979.
[4] Alexander Gerschenkron, zit. nach: Earlene Craver, The Emigration of the Austrian Economists, in: History of Political Economy 18 (1996) 1, 1-32, 2.
[5] Fritz Machlup, zit. nach: ebd.
[6] zit. nach: ebd., 24.
[7] UA, RA GZ 677-1937/38, O.-Nr. 64, Österreichisches Unterrichtsministerium an Rektorat, 22. 4. 1938.
[8] Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938, RGBI. I, S. 607.
[9] RATHKOLB 1989, 197.
[10] Ebd., 223.
[11] UA, PA, fol. 21, Staatsamt für Volksaufklärung an Degenfeld-Schonburg, 6. 9. 1945.
[12] Vgl. UA, VVZ SS 1945.
[13] ÖStA/AdR, PA, BMU an Degenfeld-Schonburg, 30.
[14] Wer ist wer in Österreich. Wien 1951.
[15] ÖStA/AdR, PA, BMU GZ 60.857/Präs. III-B/1950, BMU an Degenfeld-Schonburg, 27. 2. 1952.
Tamara Ehs und Andreas Huber