Ludwig Heinrich (Henry L.) Brill
Geb. am: |
25. August 1917 |
Fakultät: |
Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: |
Vertriebene Studierende |
Ludwig Heinrich (später Henry L.) BRILL, geb. am 25. August 1917 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), Sohn von Dr. Arthur Brill (Rechtsanwalt, 14. Mai 1881 (Wien) - 3. April 1964 (Parishville, New York)) und Martha Brill, geb. Bloch (22. Februar 1882 (Wien) - 6. März 1969 (Parishville, New York)), wohnte in Wien 3, Radetzkystraße 31.
Wie sein Vater besuchte er das Akademische Gymnasium in Wien 1, wo er am 26. Juni 1935 die Reifeprüfung (Matura) bestand. Anschließend begann er im Wintersemester 1935/36 ein Studium an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien.
Im Wintersemester 1937/38 arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter von
Prof. Robert Willheim am medizinisch chemischen Institut der Universität Wien, wo er auch die Demonstratoren-Prüfung bestand. Er war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 6. Studiensemester inskribiert, bestand am 23. Mai 1938 die Prüfungen des ersten Rigorosums und am 13. Juli 1938 die Prüfung in den Laborfächern (Abgangszeugnis vom 28. September 1938).
Er wurde im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen Gründen gezwungen, das Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen.
Ludwig Heinrich Brill füllte am 11. Mai 1938 einen Auswanderungsbogen bei der Fürsorgestelle der Israelitischen Kultusgemeinde aus und versuchte, gemeinsam mit seiner Schwester Angelika Henriette Brill (1913-2002, Schneiderin, Kindergärtnerin, Sprachlehrerin) und deren Verlobten, dem 1935 an der Universität Wien promovierten Arzt Dr. Moses Thaler (1909-1989), nach Australien zu emigrieren, und seine Eltern nachzuholen. In seinen Unterlagen gab er an, neben fünf Semestern Universitätsstudien auch eineinhalb Jahre Praxis im chemischen Institut als Laborant im Labor für pathologische Histologie, Bakteriologie und Serologie in Wien 9, Spitalgasse 31, gesammelt zu haben und beabsichtigte in diesem Beruf auch in Australien zu Fuß fassen.
Von 15. Juli 1938 bis 15. Jänner 1939 arbeitete er als Laborant im histologischen und bakteriologischen Laboratorium des Rothschild-Spitals der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien.
Noch in Wien lernte er seine spätere Frau Toni Reinhold (geb. am 25. Juni 1916) kennen, die er 1939 in London heiratete.
Am 11. April 1939 erhielt Ludwig Heinrich Brill ein Visum für Großbritannien und emigrierte wenige Tage später. Am 18. April 1939 traf er im Flüchtlingslager "Kitchener Camp" in Richborough ein, wo er das folgende Jahr verbrachte. Seine Frau arbeitete als Hausmädchen in Sandwich in Südostengland, während andere Familienmitglieder in die USA, die Schweiz, nach Palästina [Israel] u.a. emigrierten.
Ludwig und Toni Brill emigrierten am 9. März 1940 mit der
SS Lancastria von Liverpool in die USA und kamen am 21. März 1940 in New York/USA an und ließen sich gemeinsam mit seinen ebenfalls emigrierten Eltern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Queens nieder.
Seine Schwester Angelika (Angela Thaler) und deren Ehemann waren in die Schweiz entkommen und kamen mit ihren Kindern erst 1948 nach in die USA und zogen später in den Norden des Staates New York, 400 Meilen nördlich von New York City an die Kanadische Grenze. Ludwig Heinrich Brills Schwager konnte nach Absolvierung einiger Prüfungen seinen medizinischen Doktortitel in den USA nostrifizieren lassen und führte gemeinsam mit seiner Frau (die eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Assistentin absolvierte) die nächsten Jahrzehnte eine umfangreiche Arztpraxis.
Nachdem Ludwig Heinrich Brills Vater, der Rechtsanwalt Dr. Arthur Brill mit seiner Ausbildung in österreichischem Recht in den USA keine Arbeitsmöglichkeiten fand, wohnte er mit seiner Frau Martha später bei ihnen. Den Eltern seiner Frau Toni gelang die Emigration aus Wien trotz unermüdlicher Versuche der Kinder nicht mehr. 1941 brach der rege Briefkontakt ab, der Schwiegervater Oser Reinhold (geb. am 4. August 1887 in Brody) wurde am 14. Juni 1942 von seiner Wohnung in Wien 2, Rotensterngasse 23/2/1/33 in das Vernichtungslager Sobibor [Sobibór/Polen] deportiert, wo er ermordet wurde.
Heinrich Ludwig Brill lernte zunächst Englisch und arbeitete als ungelernter Arbeiter in einer Fabrik, wo er für die Reinigung von Maschinen u.ä. zuständig war. Um beruflich aufzusteigen, begann er eine Ausbildung in Ingenieurswesen an einer Abendschule (Trade School). Nach einem erfolglosen Versuch, gemeinsam mit einem Freund eine Spielzeugfirma aufzubauen, arbeitete er in verschiedenen Positionen im Ingenieursbereich (Planzeichner für Maschinen u.a.).
Am 7. Jänner 1946 erlangten Heinrich Ludwig Brill und seine Frau Toni (Tony) Reinhold Brill die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Er änderte seinen Namen von "Ludwig Heinrich" in "Henry L.". 1946 wurde seine Tochter Margaret Anna ("Peggy") geboren, 1953 sein Sohn David.
Die im Vergleich zu Wien strengen Zugangsbedingungen an den US-amerikanischen Universitäten machten es ihm unmöglich, sein Medizinstudium wieder aufzunehmen. Die moderne Medizin betrachtete er wegen des geringen persönlichen Kontaktes zu den Patient*innen stets kritisch, dennoch fiel es ihm schwer, seinen Traum des Arztberufes aufzugeben. Er studierte später Ingenieurswesen an einer Universität und promovierte 1967 im Alter von 50 Jahren, um beruflich voranzukommen. Er hielt in den USA mehrere Patente für technische Geräte, u.a. eine Apparatur zum Lesen von Strichcodes.
Henry L. Brill starb 2003 in New York im Alter von 86 Jahren.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1935-1938, Rigorosenprotokoll MED; Archiv der Israelitischen Kultusgemeinde; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 370; freundlicher Hinweis seines Sohnes David Reinhold Brill, Ph.D., USA, 2013/14; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW): Datenbank Shoah-Opfer [Oser Reinhold]; KNIEFACZ/POSCH 2017c; freundlicher Hinweis seiner Nichte Joan Dobbie (geb. Thaler), USA, 08/2020; Angela Brill-Thaler's Biography, Max Thaler's biography; Leo Baeck Institute New York, MS 764.
Katharina Kniefacz, Herbert Posch