Geb. am: | 30. März 1919 |
Fakultät: | Juridische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Hanni ZUCKER (verh. KRAUS), geb. am 30. März 1919 in Wien (heimatberechtigt in Strakonice/Tschechoslowakei, Staatsbürgerschaft: Tschechoslowakei), Tochter von Herbert Zucker (1883–1960, Industrieller) und Emma Zucker, geb. Hirsch (1899–1984), wohnte in Wien 1, Johannesgasse 22. Sie hatte 1937 am Privat-Mädchen-Realgymnasium "Luithlen" in Wien 1, Tuchlauben die Reifeprüfung (Matura) abgelegt, begann anschließend im Wintersemester 1937/38 an der Universität Wien Rechtswissenschaften zu studieren und war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Juridischen Fakultät im 2. Studiensemester inskribiert.
Sie wurde im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen Gründen gezwungen, das Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen.
Die gesamte Familie kann rechtzeitig, noch kurz vor dem „Anschluss“, am 3. März 1938 aus Österreich in die Schweiz fliehen, wo sie in Zürich leben. Die Familie Zucker ist in der Fez Erzeugung in Österreich, Ungarn und in der Tschechoslowakei tätig und der Vater kann die Geschäfte vorerst auch aus der Schweiz weiterführen. Anfang 1939 übersiedelt die Familie nach Paris/Frankreich und im November 1939 von Genua/Italien aus mit der SS Saturnia weiter in die USA, wo sie am 17. November 1939 in New York City, NY, mit ihrer Familie gemeinsam ankam. Kurz darauf lernt sie dort den Wiener Buchhändler Hans Peter Kraus (1907–1988) kennen, der nach Deportation in die Konzentrationslager Dachau und Buchenwald im Oktober 1939 über Schweden ebenfalls noch in die USA emigrieren konnte und sie heiraten 1940. Weil der Handel mit seltenen Büchern bald floriert, wird sie seine Geschäftspartnerin und das Ehepaar gründet das Antiquariat H.P.Kraus, Inc. (ihr Mann konnte nach dem Verkauf einer Kopie eines seltenen Briefes von Christoph Columbus aus dem Jahr 1494 bereits kurz nach seiner Ankunft in New York einen kleinen Buchladen eröffnen) und 1945 übersiedeln sie mit dem Geschäft in ein Stadthaus in der 16 East 46th Street und sie haben auch gemeinsam bald fünf Kinder.
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges prozessiert ihr Mann im Dezember 1945 in Wien auch gegen die Enteignung ("Arisierung") seines Wiener Geschäftes 1938 durch seinen ehemaligen Mitarbeiter Alfred Wolf. Der Gesamtbestand des Wiener Geschäftes hat etwa 100.000 Bücher betragen und er erlangt zumindest wieder einen kleinen Teil seiner ursprünglich 2.000 Bände umfassenden Handbibliothek sowie vier gerahmte Landkarten aus seiner ehemaligen Landkartensammlung zurück.
Im Mai 2014 restituiert die Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien im Zuge der Provenienzforschung zwölf der sechzehn Bücher, die sich in ihrem Bestand befinden und aus diesem Antiquariat stammten.
Hanni und Hans Peter Kraus werden zum größten Antiquariat in den USA, kaufen ganze Bibliotheken und Sammlungen auf (z. B. 1949 20.000 Bände der Bibliothek von Prinz Liechtenstein), erfassen und katalogisieren die einzelnen Bücher sorgfältig und veräußern sie wieder, teilweise mit großem Gewinn. 1952 erwerben sie ein Exemplar der äußerst seltenen Inkunabel "Konstanzer Missal", von dem damals weltweit nur zwei Exemplare bekannt waren. Sie spezialisierten sich auf mittelalterliche illuminierte Manuskripte, Inkunabeln und seltene Bücher des 16. und 17. Jahrhunderts. Die regelmäßig herausgegebenen gedruckten Verkaufskataloge mit genauer bibliographischer Beschreibung der Bücher und Manuskripte werden zu wichtigen Nachschlagewerken. 1947 eröffnen sie mit Kraus Periodicals Inc., ein zweites Unternehmen in New York, das auf den Verkauf von wissenschaftlichen Zeitschriften spezialisiert ist, und 1956 mit Kraus Reprint Corporation, ein drittes Unternehmen, spezialisiert auf den Nachdruck wissenschaftlicher Zeitschriften und Nachschlagewerke. Hans Peter Kraus und Hanni Kraus gehören damit zu den erfolgreichsten und wichtigsten Händlern von seltenen Büchern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
1970 schenken sie der Library of Congress 162 Manuskripte zur Geschichte und Kultur Spanisch-Amerikas in der Zeit von 1492–1819 einschließlich eines Briefes von Amerigo Vespucci und 1980 auch die in zwölf Jahren zusammengetragene Drake-Sammlung, die dort seither der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.
Nach dem Tod ihres Mannes richtet Hanni Kraus zu seinem Gedenken an der Beinecke Rare Book and Manuscript Library/Yale University einen Fonds ein. Das Geschäft führt sie mit Tochter Mary Ann und Schwiegersohn Roland Folter bis zu ihrem Tod weiter, danach wird es aufgelöst und die Bestände verkauft.
Hanni Kraus, geb. Zucker, starb 83-jährig am 14. Jänner 2003 in New York, NY/USA.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale IUR 1937–1938; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 504; Hans Peter KRAUS, Die Saga von den kostbaren Büchern (Autobiographie), 1982 [A Rare Book Saga, 1978]; Beatrix MÜLLER-KAMPEL, Interview mit Dorrit Claire Cohn (geb. Zucker Hale), in: dies., Hg., Lebenswege und Lektüre. Österreichische NS-Vertriebene in den USA und Kanada, Tübingen 2000 [2014²], 257–270; The Independent Booksellers' Network, In Memoriam Hanni Kraus (2003); Hanni Kraus, in: The Sunday Times (2003); Hyfler/Rosner, Hanni Kraus, bookseller: Times of London obit (2003); Universitätsbibliothek Medizinische Universität Wien/Provenienzforschung: Antiquariat Hans Peter Kraus (2014); Walter MENTZEL, Hans Peter Kraus, in: Lexikon der österreichischen Provenienzforschung, Wien 2019 (online); www.genteam.at; www.ancestry.de; www.familysearch.com; www.myheritage.com.
Maria Schreitter