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Otto Wolken

Geb. am: 27. April 1903
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Doktorgradaberkennung

Otto WOLKEN, geb. am 27. April 1903 in Wien, war der Sohn jüdischer Einwanderer aus Lemberg. Er hatte am 6. Februar 1931 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien den Grad eines Dr. med. erworben. Nach seinem Studium arbeitete er als Arzt in Wien und Niederösterreich (St. Pölten und Traisen) und engagierte sich für die Sozialdemokratische Partei Österreichs, u.a. im Rahmen des Schutzbundes.

Otto Wolken wurde im März 1938 – kurz nach dem "Anschluss" Österreichs – festgenommen und in den Folgejahren in verschiedenen Gefängnissen und Lagern inhaftiert, darunter zwei Jahre in Zweibrücken, einem Außenlager des SS-Sonderlagers KZ Hinzert. 1940 wurde ihm der an der Universität Wien erworbene Doktorgrad aus sogenannten politischen Gründen aberkannt.
Am 9. Juli 1943 wurde Wolken in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert (Häftlingsnummer 128828). Bei der Selektion der Zugänge rettete ihn ein aus Linz stammender SS-Mann vor der sofortigen Vergasung:
"Ich war bei der Selektion (der Zugänge), ich war schon durch die Daumenbewegung des SS-Arztes auf die Seite gestellt worden, wo die standen, die sofort vergast werden sollten. Da trat ein SS-Mann auf mich zu, er hatte mich sprechen gehört. 'Woher bist du?' – 'Aus Wien', sagte ich. 'Also ein Landsmann, ich bin nämlich aus Linz. Was bist du von Beruf?' – 'Arzt.' Der Mann versprach, mich herauszuholen, und holte mich heraus." (Aussage Otto Wolkens, zit. nach: LANGBEIN 1980, 614).
Als im selben Monat eine Fleckfieberepidemie im Lager ausbrach, meldete sich Otto Wolken und wurde als Häftlingsarzt und Schreiber der Ambulanz im Männer-Quarantänelager Birkenau (Lagerabschnitt BIIa) eingesetzt. Während seiner Arbeit als Häftlingsarzt führte er Aufzeichnungen über seine Beobachtungen sowie eine systematische Statistik über die Krankheiten und Todesursachen der etwa 6000 Häftlinge im Quarantänelager zwischen September 1943 und November 1944. Diese einzigartige heimlich geführte Dokumentation "Chronik des Quarantänelagers Birkenau" konnte Wolken vor der Vernichtung durch die SS bewahren. Sie diente nach Kriegsende als wichtiger Beweis für die Verbrechen der SS.

Die Bedingungen seiner Arbeit als Häftlingsarzt fasste Otto Wolken wie folgt zusammen:
"Was an einem Tag möglich war, war am anderen unmöglich. Kranke wurden gesund gepflegt, erhielten Schonkost und wurden dann nach ihrer Genesung vergast. Ein Häftling wurde vom SS-Arzt schwer mißhandelt, weil er als Pfleger die Krankengeschichte eines Leidensgenossen unvollständig geführt hatte; dann wurde der Kranke ins Gas geschickt. Man konnte nichts voraussehen." (Aussage Otto Wolkens, zit. nach: LANGBEIN 1980, 313)
Im Jänner 1945 konnte er sich im Lager verstecken und somit den Evakuierungsmärschen entgehen. Nach dem Abzug der SS blieb er bei den zurückgelassenen kranken Häftlingen zurück, die er versorgte, bis das Lager am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde.

Nach der Befreiung verfasste Otto Wolken mehrere Berichte für die polnische Hauptkommission zur Untersuchung der deutschen Verbrechen (Krakau), die die Verbrechen in Auschwitz untersuchte, und sagte in mehreren Prozessen gegen SS-Bewacher des KZ Auschwitz aus.
Er kehrte nach Österreich zurück und arbeitete als praktischer Arzt in Wien. Daneben fungierte er später als Bundesvorstandsmitglied der SPÖ-Opferorganisation "Bund sozialistischer Freiheitskämpfer und Opfer des Faschismus" sowie in der Israelitischen Kultusgemeinde.

Im Rahmen der Strafprozesse gegen Mitglieder der Lagermannschaft des KZ Auschwitz in Frankfurt am Main ("Auschwitzprozess") sagte Otto Wolken im Februar 1964 als erster von 357 Zeugen aus. Aufgrund seiner Aufzeichnungen konnten zahlreiche Morde einzelnen Angeklagten nachgewiesen werden.

Otto Wolken starb am 1. Februar 1975 in Wien.

Erst 68 Jahre nach der Aberkennung und sehr lange nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde ihm der Doktorgrad 2008 (posthum) wieder zuerkannt, bzw. die Aberkennung für 'von Anfang an nichtig' erklärt.


Lit.: Archiv der Universität Wien, Nationale MED 1925–1931, Promotionsprotokoll MED 1929–1941 Nr. 464, Rektorat GZ 974 ex 1948/49; Wiener Stadt- und Landesarchiv/Ärztekammer Wien/Personalakt; BLUMESBERGER 2002, 1501f.; Edith KRISCH, Dr. Otto Wolken – selbstloser Helfer in Auschwitz; in: Der Sozialdemokratische Kämpfer 1-3 (2005), 12; Hermann LANGBEIN, Menschen in Auschwitz; Frankfurt am Main, Berlin, Wien 1980, 185, 304-313, 327, 352, 614; Ernst KLEE, Auschwitz. Täter, Gehilfen und Opfer und was aus ihnen wurde. Ein Personenlexikon, Frankfurt am Main 2013, 443; POSCH 2009, 275, 496; Otto WOLKEN, Die Befreiung von Auschwitz-Birkenau; in: Hamburger Institut für Sozialforschung, Hg., Die Auschwitz-Hefte, Band 2, Hamburg 1994, 261-265 (sowie Biografie S. 284); Nachruf, in: Arbeiter-Zeitung, 9.2.1975; Fritz Bauer Institut, Tonbandmitschnitt Auschwitz-Prozess (1963-1965): Zeugenaussage Otto Wolken (Audio-Aufnahme seiner Aussage am 27.2.1964); WIKIPEDIA; freundlicher Hinweis Dr.in Barbara Sauer Wien 12/2024.


Katharina Kniefacz

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