Geb. am: | 02. Mai 1918 |
Fakultät: | Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Lucia WEHLE (verh. ZANDL), geb. am 2. Mai 1918 in Marienbad, Böhmen/Österreich-Ungarn [Mariánské Lázně/Tschechoslowakei, heute: Tschechische Republik] (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), Tochter von Dr. Jean Gustav Wehle (Rechtsanwalt), wohnte in Wien 3, Salesianergasse 17. Sie hatte im Sommer 1936 am Mädchen-Realgymnasium Wien 3 die Reifeprüfung/Matura abgelegt und begann im Wintersemester 1936/37 an der Universität Wien Medizin zu studieren. Sie war im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 4. Studiensemester inskribiert.
Nach dem "Anschluss" 1938 wurde sie aus rassistischen Gründen als sogenannter "Mischling 2. Grades" verfolgt, konnte aber vorläufig – bei jederzeitigem Widerruf – ihr Studium noch bis Anfang 1940 fortsetzen.
Ihr Vater, der Rechtsanwalt Dr. Jean Gustav Wehle (1885-1942, Wien 3., Am Heumarkt 9/I/17) musste 1938 seine 1917 eröffnete Rechtsanwaltskanzlei in Wien 1., Krugerstraße 1 schließen, da ihm nach der Dritten Verordnung des Reichsbürgergesetzes als sogenannter "Mischling 1. Grades" (sein Vater Johann Gustav Wehle, 1828-1888, war erst bei der zweite Eheschließung 1875 vom Judentum zum evangelischen Bekenntnis konvertiert) die Berufsberechtigung entzogen wurde (obwohl diese Löschung aus der Rechtsanwaltsliste bereits am 31. Jänner 1939 durch das Berliner Reichsjustizministerium wieder widerrufen wurde).
Ihr Bruder, der berühmte Kabarettist Peter Wehle (1914-1986), der im Sommersemester 1938 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät im 8. und letzten Studiensemester seines Jus-Studiums inskribiert war, konnte noch vor Inkrafttreten der diskriminierenden Regelungen für "Mischlinge 2. Grades" sein Studium im März 1939 mit der Promotion zum "Dr. jur." abschliessen.
Als "Mischlinge" ab dem 1. Trimester 1940 ein Gesuch an das Reichserziehungsministerium Berlin um Studienzulassung stellen mussten, reichte Lucia Wehle am 18. März 1941 ein Ansuchen um Zulassung zu den Abschlussprüfungen und zur Promotion ein.
Gemäß Vorschrift musste der Dekan der zuständigen Medizinischen Fakultät, dem Antrag ein Gutachten beilegen, das "insbesondere auf den persönlichen Eindruck über die Persönlichkeit und das Aussehen des Gesuchstellers einzugehen [hatte]. Dabei ist zu erwähnen, ob und inwieweit Merkmale der jüdischen Rasse beim Gesuchsteller äußerlich erkennbar sind." (Erlass des Reicherziehungsministeriums, 5. Jänner 1940). Dementsprechend stellte Dekan Prof. Eduard Pernkopf am 29. März 1941 nur lapidar fest: Lucia Wehle "war hier am Dekanate vorstellig; macht einen ruhigen Eindruck."
Das Reichserziehungsministerium Berlin entschied am 12. Mai 1941 nach Absprache mit dem Reichsinnenministerium, Wehle noch zu den letzten beiden ärztlichen Rigorosen-Prüfung zuzulassen, sie aber ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass sie als „Mischlinge 2. Grades“ vermutlich keine Chance hatte, die Bestallung (Berufszulassung) als Ärztin im Deutschen Reich zu erhalten - eine entsprechende Entscheidung würde das Reichsinnenministerium zum gegebenen Zeitpunkt ad personam treffen, abhängig vom Ausgang der politischen Überprüfung von ihr selbst, ihren Eltern, Geschwistern und Großeltern.
Nach bestandenem 2. und 3. Rigorosum wäre Lucia Wehle am 29. September 1943 berechtigt gewesen zu promovieren. Aber das REM hatte bereits grundsätzlich entschieden - ohne Nachweis der Bestallung als Arzt durfte keine Promotion stattfinden und kein Doktordiplom ausgehändigt werden: "Um den Genannten jedoch die Erlangung einer geeigneten Anstellung in der Industrie zu erleichtern, ermächtige ich die Fakultät, eine Bescheinigung des Inhalts auszustellen, daß sie, abgesehen von dem Nachweis der deutschblütigen Abstammung, alle Voraussetzungen für die Verleihung des Doktorgrades erfüllt haben. Auf der Bescheinigung ist ausdrücklich zu vermerken, daß sie nicht als Doktordiplom gilt."
Erst nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde sie in der ersten Nachkriegspromotion am 8. Juni 1945 - rückwirkend per 29. September 1943 - nach der alten und nun wieder eingeführten österreichischen Studienordnung zum "Dr.med. univ." der Universität Wien promoviert.
Sie lebte und arbeitete als Ärztin in Wien, über ihr weiteres Leben ist bislang wenig bekannt. Sie heiratete später den Arzt und Medizinalrat Dr. Friedrich Zandl (1916-1988), arbeitete selbst weiter als Ärztin und wurde ebenfalls mit dem Titel Medizinalrat ausgezeichnet.
Dr. Lucia Zandl, geb. Wehle, starb am 17. Oktober 1999 und ist mit ihrem Mann am Friedhof Eggenburg, Bez. Horn/NÖ begraben.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1936-1940, Promotionsprotokoll MED 1941-1949, 1267, Rektorat GZ 944 ex 1939/40/41 ONr. 256, 280, 281, 283, MED GZ 1115 ex 1939/40 ONr 92, 120, 121; freundlicher Hinweis von Dr.in Barbara Sauer, Wien 2020 und und 04/2023; SAUER/REITER-ZATLOUKAL 2010, 355; REITER-ZATLOUKAL/SAUER 2023.
Herbert Posch