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Rudolf Bock

Geb. am: 20. April 1915
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene Studierende
Rudolf BOCK, geb. am 20. April 1915 in Wien (heimatberechtigt in Wiener Neustadt/Niederösterreich, Staatsbürgerschaft: Österreich), Sohn von F. v. Bock (Regierungsrat, Direktor einer Handelsschule in Wiener Neustadt, ab 1935 im Ruhestand) und dessen Frau (geb. Patek, verh. 1909), wohnte seit 1920 mit seinen Eltern, seinem älteren Bruder Kurt (geb. 1910) und seiner jüngeren Schwester Lislott in Wiener Neustadt. Nach der Reifeprüfung begann er im Wintersemester 1933/34 ein Studium der Medizin an der Universität Wien: "I started medical school in 1933, the same year that Hitler came to power in Germany. For the first year, in order to save money, I commuted to Vienna by train and street car, which took about 1 3/4 hours each way and this allowed a lot of time for studying on the train. […] I did enjoy the 8:00 a.m. anatomy lecture in the huge amphitheater of the Anatomical Institute on Waehringerstrasse. I never had much trouble with this subject since I was blessed with a very good visual memory and learned most of it by simply looking at pictures in the Atlas. Of course, we had also a great deal of dissecting to do, at least two hours daily. I still remember the feeling of disgust I had when we novices were standing in line to receive our first specimen for dissection. The rickety elevator came up from the basement and the orderly, a huge orangutan-faced man opened the door. He started distributing the pieces: a wrist with a hand, an elbow, a shoulder, an ankle - and so on, slopping the heavily carbolic acid smelling specimen into our hands with the smile of a sadist. It was the initiation rite, so to say, but only a few of us felt like throwing up. The moment we sat down at the dissecting table with our Atlas and started to identify the various structures. we began to feel happily intrigued with what we were doing.
In chemistry we also had lab besides the daily lecture, but biology (zoology) and physics were only lectures and rather boring with about 500-600 students trying to sit still and listen when we preferred to be out in the sun. I took the optional semester end exams (Colloquia) in the various subjects because this was an incentive to keep up with the material (there were no little weekly quizzes to help one, like here). This also entitled one to significantly reduced tuition fees for the next semester if one passed them satisfactorily."
  (BOCK 2002, 25f.) Ab dem 2. Studienjahr wohnte er in einem Studentenheim in Wien 8, Pfeilgasse 4. Obwohl beide Eltern bereits vor seiner Geburt zum römisch-katholischen Glauben konvertiert waren, galt er nach nationalsozialistischen Rassengesetzen als "Juden".
Rudolf Bock war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 10. Studiensemester inskribiert und bezog ein Studienstipendium vom Unterrichtsministerium (Absolutorium ausgestellt am 2. Dezember 1938, im Sommersemester 1938 im Rahmen des Numerus clausus für jüdische Studierende noch zum Weiterstudium bis zum Semesterende zugelassen): "I was also soon informed by the university authorities to do the same in order to be allowed to continue my medical education. I was then in my last semester and I could not imagine that they could throw me out at this point.[…] My classmate Wenger […] had heard that the new authorities of the medical school had requested all non-Aryan students in their last semester (which was my case) to make an application to be allowed to continue and finish their medical education. It was hinted that 2%o out of this group might be permitted to do so. I wrote up this application and went to Vienna to hand it in." (BOCK 2002, 30f.) "Toward the end of April, I was notified that I would be allowed to finish my medical education in Vienna "until further notice." I had hoped for this, but still had prepared myself for rejection. Why was I chosen as being among the 20%? Because I was Catholic? I'll never know. I went back to the university, studying like a fool to be ready for the final exams that started with Pathology and Pharmacology at the end of June." (BOCK 2002, 35) Er bestand die ersten Rigorosen Ende Juni und bereitete sich auf die Prüfungen in Innerer Medizin, Pädiatrie, Psychiatrie, Neurologie, Chirurgie sowie Gynäkologie und Geburtshilfe vor, die er zwischen Ende September und November bestand. Am 18. November 1938 teilte ihm das Dekanat der Medizinischen Fakultät mit, dass er „bis auf weiteres“ keine Prüfungen mehr ablegen dürfe. Die vier letzten fehlenden Rigorosen in Dermatologie, Ophthalmologie, Hygiene und Gerichtsmedizin konnte er nicht mehr absolvieren. Nachdem sein Bruder Kurt bereits Anfang September nach Zagreb/Jugoslawien emigriert war, um dort auf ein Visum für die USA zu warten, entschloss Rudolf Bock nun ihm zu folgen. Am 4. Dezember 1938 reiste er per Flugzeug nach Belgrad und von dort per Zug nach Zagreb. Obwohl katholisch getauft, fanden Rudolf und Kurt Bock während ihrer Flucht Unterstützung bei jüdischen Hilfsorganisationen. Ihr Onkel Paul organisierte für sie Arbeitspapiere, die es ihnen erlaubten, nach Japan einzureisen. Am 4. Jänner 1939 bestiegen sie in Triest das Schiff Conte Rosso, mit dem sie nach Shanghai/China emigrierten. Um sein Medizinstudium zu beenden, bewarb er sich an dem gut ausgestatteten Peiping Union Medical College (PUMC), eine amerikanische Medical School in Peking, die seit 1922 von der Rockefeller Foundation betrieben wurde. Nachdem sein Bruder Kurt die Notlage eingehend beschrieben hatte, wurde Rudolf Bock etwa ein Monat später zum Studium zugelassen. Unterdessen waren Kurt und Rudolf Bock weiter nach Japan gereist, wo sie in Tokio ihren Onkel wieder trafen. Wenig später traf auch ihre Mutter mit ihren Eltern Leopold und Irma Patek in Tokio an, die Schwester Lislott war mit einem Kindertransport nach England emigriert. Der Vater war aus Gesundheitsgründen zunächst in Wien zurückgeblieben und bereitete sich auf die Emigration vor.
Um das Medizinstudium aufzunehmen, reiste Rudolf Bock mit dem Zug rasch nach Peking und wohnte im Studentenwohnheim (Wenham Hall) des PUMC. Obwohl er über ein fast abgeschlossenes Studium verfügte, musste er zunächst alle Prüfungen der ersten drei (von fünf) Studienjahre des amerikanischen Studienplans nachholen, um für das vierte Jahr zugelassen zu werden. Er bestand im September 1939 alle Prüfungen – darunter auch eine mündliche Prüfung in Chinesisch – und begann dann offiziell sein Medizinstudium, das er im Juni 1941 abschließen konnte (M.D.). Er spezialisierte sich in Ophthalmologie und begann seine Facharztausbildung ('residency') als Augenarzt, nach dem Angriff auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 ließ die japanische Armee, die Peking besetzte, aber das PUMC und seine Kliniken schließen.
Um Geld zu verdienen, fand Rudolf Bock bald eine Arbeitsstelle als Assistent in der Privatpraxis von Dr. Pi, einem chinesischen Ophthalmologen, wo er in der Charity Clinic etwa 20 Patienten täglich betreute. 1942 lernte er auch seine spätere Frau Trude kennen, deren Familie vor der NS-Verfolgung aus Deutschland nach Genf/Schweiz emigriert war. Ende 1942 kam auch seine Mutter, die in Japan als vermeintliche Spionin inhaftiert gewesen war, zu ihm nach Peking. Sein Bruder war bereits 1941 in die USA emigriert.
Seine Stelle in der Privatpraxis gab er bald auf, um am Catholic French Hospital zu arbeiten, wo er wiederum für die Betreuung der Charity Clinic zuständig war, und betreute daneben Privatpatienten.
Am 3. September 1944 heiratete er Trude, die dadurch ebenfalls ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlor. Gemeinsam mit ihr, seiner Mutter und seinem Onkel Paul wohnte er in einer neuen Wohnung, in der er auch ein Behandlungszimmer einrichtete um als Augenarzt Privatpatienten betreuen zu können. Die Großeltern Leopold und Irma Patek waren beide in Japan verstorben. Bei Kriegsende 1945 arbeitete Rudolf Bock am Methodist Eye Hospital in Peking.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfuhr die Familie, dass der Vater im Dezember 1941 in Wien verstorben war. Die Mutter verließ Peking im Sommer 1946 und emigrierte zu Kurt nach Berkeley, Kalifornien/USA. Am 27. September 1946 wurde Marianne, die erste Tochter von Rudolf und Trude Bock geboren. Die junge Familie fuhr im Jänner 1947 nach Shanghai, um von dort im Februar mit dem Schiff Champolion nach Europa zu reisen. Sie kamen am 4. März 1947 in Marseille/Frankreich an und reisten nach Genf/Schweiz, wo sie von Trudes Eltern empfangen wurden. Rudolf Bock bekam die Möglichkeit, in Genf an der Universitäts-Augenklinik als Gastmediziner zu arbeiten, während Trude eine Anstellung als Sekretärin fand. Da die Wartezeit auf das Einreisevisum in die USA sehr lang war, kehrte er vorübergehend nach Wien zurück, um im September 1947 zu den fehlenden vier Rigorosen seines Wiener Studiums anzutreten, schaffte jedoch die Prüfung in Hygiene nicht beim ersten Mal. Er kehrte nach Genf zurück, wo seine Frau und seine Tochter Marianne geblieben waren, und arbeitete dort wieder an der Universitäts-Augenklinik.
Trude, die als deutsche Staatsbürgerin früher ein US-Visum erhielt, reiste im März 1948 mit Tochter Marianne in die USA, wo sie bei seinem Bruder Kurt in Berkeley, Kalifornien wohnten und wo die 2. Tochter geboren wurde. Nachdem Rudolf Bock aber nach 1,5 Jahren noch immer kein Visum bekam, kehrten sie wieder zurück. Unterdessen hatte er eine Stelle als Assistent am Kantonsspital in Aarau/Schweiz angenommen. Im Frühling 1950 kehrte er nochmals nach Wien zurück, legte erfolgreich die letzte Prüfung seines unterbrochenen Studiums ab und promoviert zum Dr. med. Ebenfalls absolvierte er erfolgreich die Facharztausbildung und wurde als Augenarzt in Österreich zugelassen. Nachdem er endlich sein Visum für die USA erhalten hatte, reiste die Familie über Paris/Frankreich nach Le Havre, wo ihr Schiff SS America ablegte. Am 6. März 1951 kamen sie in New York an. Während Trude mit den Töchtern weiter zu Kurt nach Kalifornien reiste, lernte Rudolf Bock in New York für die Prüfungen des Medical State Board, zu denen er im Juni 1951 antrat. Danach reiste er zu seiner Familie nach Berkeley, wo er zunächst am 1. Juli 1951 in Stanford als Forschungsmitarbeiter bei Hornhauttransplantation zu abreiten begann. Am 7. Juli 1951 wurde sein Sohn Michael geboren.
Rudolf Bock ließ sich schließlich in Kalifornien nieder, musste hier jedoch nochmals die einjährige Facharztausbildung sowie die Prüfungen des California Board absolvieren, um als Arzt zugelassen zu werden. Im Juli 1952 begann er die Ausbildung am Southern Pacific Hospital in San Francisco, wohin die Familie übersiedelte. Im Juli 1953 absolvierte er alle nötigen Prüfungen und eröffnete anschließend eine Privatpraxis als Augenarzt in Palo Alto, Kalifornien. Rudolf Bock starb 2006 in Kalifornien/USA.

Lit.: POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 222, 366; Brief von Rudolf Bock vom 30. August 2002 an Herbert Posch; Rudolf BOCK, Gratefully looking back. A doctors special Journey, Riverside 2002; Foundation of the American Academy of Ophthalmology (FAAO):  Rudolf H. Bock, MD (b.1915); Austrian Heritage Collection am Leo Baeck Institute New York: Rudolf Bock Collection 2000KNIEFACZ/POSCH 2017c.


Katharina Kniefacz


Nationale von Rudolf Bock, Sommersemester 1938 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Rudolf Bock, Sommersemester 1938 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Rudolf Bock, Wintersemester 1937/38 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Rudolf Bock, Wintersemester 1937/38 (1. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Rudolf Bock, Wintersemester 1937/38 (2. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Rudolf Bock, Wintersemester 1937/38 (2. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Rudolf Bock, Graduation 1941, (c) Rudolf Bock [Rudolf Bock, Gratefully looking back. A doctors special Journey, Riverside 2002]
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