Geb. am: | 25. Mai 1916 |
Fakultät: | Juridische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Margarete Charlotte TANZER (geb. EISENSTÄDTER, später verh. HAIMBERGER), geb. am 25. Mai 1916 in Wien/Österreich (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), war die Tochter des Rechtsanwaltes Dr. Gustav Eisenstädter (1868–1939) und dessen Ehefrau Margarete. Sie wohnte mit ihrem Ehemann Kurt Tanzer (1912–1955) bei ihren Eltern in Wien 18, Abt-Karl-Gasse 25.
1939 brachte sie in Ägypten ihren ersten Sohn, den späteren Dolmetscher und Brigadier des österreichischen Bundesheeres Hardy Eisenstädter, zur Welt. Dort wuchs er bis zu seinem 16. Lebensjahr auf.
Margarete Tanzer galt nach den nationalsozialistischen Rassengesetzen als „Mischling 1. Grades“ und konnte ihr Studium nach dem „Anschluss“ – bei jederzeitigem Widerruf – vorläufig noch fortsetzen. Sie war zuletzt im 1. Trimester 1940 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät im 7. Studiensemester inskribiert.
Als „Mischlinge“ ab dem 1. Trimester 1940 ein Gesuch an das Reichserziehungsministerium Berlin um Studienzulassung stellen mussten, reichte Margarete Tanzer im April 1940 ein Ansuchen zur Fortsetzung ihres Studiums ein. Das Reichserziehungsministerium entschied jedoch am 9. Mai 1940 Tanzer nicht zur Fortsetzung ihres Studiums zuzulassen.
Margarete Tanzer konnte ihr rechtswissenschaftliches Studium erst nach dem Ende des Nationalsozialismus wieder aufnehmen, ihre Dissertation aus 1940 („Belings Fahrlässigkeitsformen und der Fahrlässigkeitsbegriff nach Beling“, Gutachter: Prof. Roland Graßberger jun., Prof. Alexander Hold-Ferneck) wurde am 3. Dezember 1945 approbiert, die mündliche Abschlussprüfung bestand sie am 13. Dezember und am 20. Dezember 1945 graduierte sie in einer Einzelpromotion mit Gesamtbeurteilung „sehr gut“ zur „Dr.jur.“. Im folgenden Sommersemester 1946 inskribierte sie als Doktorin nochmals um neu angebotene juristische Lehrveranstaltungen zu belegen.
Margarete Haimberger-Tanzer spezialisierte sich auf das Strafrecht:
„Ich habe diese Vorliebe für das Strafrecht schon von der Universität mitgebracht. Ich habe auch aus Strafrecht dissertiert und ich glaube, daß es ein Gebiet ist, das einer Frau wirklich liegen kann.“ (Margarete HAIMBERGER, Die Juristin in der Strafrechtspflege, in: Bundesministerium für Justiz (Hg.), Beiträge zum Thema „Die Juristin in der Justiz“. Tagung des Bundesministeriums für Justiz am 29. und 30. Oktober 1968 in der Justizschule Schwechat, Wien 1968, 43)
Nach dem Studienabschluss begann Margarete Tanzer als Rechtsanwaltsanwärterin 1946 bei der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien zu arbeiten. Nachdem im selben Jahr die ersten beiden Frauen als Richteramtsanwärterinnen zugelassen wurden, schlug wenig später auch Margarete Tanzer diesen Karriereweg ein. 1947 wurde sie in den richterlichen Vorbereitungsdienst übernommen und begann am Landesgericht für Strafsachen Wien zu arbeiten. Welche Hürden ihr als weibliche Pionierin bei den ersten Karriereschritten in diesem Berufsfeld im Wege standen, beschrieb sie Jahrzehnte später rückblickend:
„Bei meinem Dienstantritt als Rechtsanwaltsanwärter im Jahre 1946 hat man meinen Wunsch auch sofort berücksichtigt und mich dem Untersuchungsrichter beim Landesgericht für Strafsachen Wien zugeteilt. Ich glaube, man hat diesem Wunsch sogar gern entsprochen, denn damals herrschte ein sehr fühlbarer Mangel an Arbeitskräften auf dem Strafrechtssektor. […] [I]ch wurde von Anfang an zu allen untersuchungsrichterlichen Tätigkeiten herangezogen, mit Ausnahme des Votierens, das ja nur ernannten Richtern vorbehalten ist. Und niemand hat daran etwas Bedenkliches gefunden, denn mein Einsatz erfolgte ja nicht in der Öffentlichkeit […]. Im Herbst 1946 wurde ich dann der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien zugeteilt und da begannen schon die Schwierigkeiten. Die Rechtsanwaltsanwärter wurden nämlich damals, eben mit Hinblick auf den erwähnten Arbeitskräftemangel, auch als Sitzungsvertreter eingeteilt und hatten während der Verhandlung alle Funktionen eines Staatsanwaltes auszuüben. Im Gegensatz zu meinen Kollegen erhielt ich keine Sitzungseinteilungen und glaubte zuerst, daß dies ein Zufall wäre. Als es sich dann aber herausstellte, daß es kein Zufall, sondern Absicht war, wollte ich die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Auf meine diesbezüglichen Fragen an maßgebliche Stellen antwortete man mir nun nicht, daß man eine Frau vielleicht deshalb nicht zu Sitzungen einteilen könne, weil man annehme, daß dafür besondere männliche Begabungen nötig seien, die eine Frau nicht mitbringen könne, etwa Geistesgegenwart, Autorität und Rednergabe. Die Antwort, die man mir gab, war viel typischer. Sie lautete: ‚Bei den Sitzungen müßten Sie doch einen Talar tragen und das kann eine Frau nicht.‘ Also scheinbar eine Äußerlichkeit – der Talar! Aber genauer besehen, ging es gar nicht um eine Äußerlichkeit, sondern viel, viel tiefer, nämlich um die […] traditionelle Vorstellungsbildung, das Image des Strafrichters beziehungsweise des Staatsanwaltes.
Ich habe dann einen sehr zähen, intensiven und erfolgreichen Kampf geführt, der überdies nicht länger als vierzehn Tage dauerte. Die maßgeblichen Herren, Minister Dr. Gerö, Oberstaatsanwalt Dr. Reitinger und der Leitende Staatsanwalt Dr. Nagel, waren glücklicherweise durchaus aufgeschlossene, modern denkende Menschen, die keine Befriedigung darin gefunden hätten, eine natürliche Entwicklung gewaltsam zu verzögern. [...] So kam es dann, daß ab September 1946 eine Frau als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien in aller Öffentlichkeit auftrat. Und ich habe mit Genugtuung festgestellt, daß dieses Auftreten für niemanden eine Sensation, weder im positiven noch im negativen Sinn, bedeutete, sondern allgemein ganz selbstverständlich hingenommen wurde. Mit der Selbstverständlichkeit war es dann allerdings wieder vorbei, als ich 1947 zur Staatsanwaltschaft Wien versetzt wurde. Da ließ man mich nämlich wieder nicht zu den Verhandlungen zu, sondern es kam zu einem grotesken Zustand: Ich führte ein Referat bei der Staatsanwaltschaft Wien, wurde aber zum Jugendgerichtshof Wien zu den Verhandlungen geschickt. Ich habe mich nun sehr bemüht, diesen merkwürdigen Zustand aus der Welt zu schaffen, und es ist mir das wiederum in relativ kurzer Zeit gelungen. Seit Frühjahr 1947 - ich war inzwischen zum Richteramtsanwärter ernannt worden - wurde ich dann beim Landesgericht für Strafsachen Wien als Sitzungsvertreter eingeteilt.“ (HAIMBERGER 1968, 44f.)
1949 wurde ihr zweiter Sohn, der spätere außerordentliche Universitätsprofessor für Finanzrecht Dr. jur. Michael Tanzer, geboren. Nach dem Tod ihres ersten Ehemannes 1955 heiratete sie in zweiter Ehe Dr. Georg Haimberger (geb. 1918).
Margarete Tanzer wurde zur Richterin ernannt und arbeitete anschließend in den Jahren 1950/51 auch beim Bezirksgericht Bad Ischl, wo sie wieder mit Vorurteilen konfrontiert war – ebenso wie als Untersuchungsrichter beim Landesgericht für Strafsachen Wien, wo sie 1956 als erste Frau den Vorsitz in Schöffenverhandlungen führte (Foto):
„Man hat es beim Oberlandesgericht Linz anfänglich gar nicht gern gesehen, daß ich die Strafabteilung haben wollte. Man hätte mir lieber eine Pflegschaftsabteilung gegeben und der Einwand war, daß sich eine Frau als Strafrichter bei der ländlichen Bevölkerung nicht werde durchsetzen können. In der Folge ist mir das aber gar nicht schwer gefallen und ich habe niemals die geringsten Widerstände seitens der ländlichen Bevölkerung zu spüren bekommen. Die größten Widerstände aber gab es dann, als ich als Untersuchungsrichter beim Landesgericht für Strafsachen Wien einen Vorsitz anstrebte. Die Einwände, die dagegen erhoben wurden, waren Legion. […] So ereignete sich dann im April 1956 das, was man wirklich ein ‚Wunder‘ nennen muß, nämlich daß eine Frau in Schöffenverhandlungen den Vorsitz führte. Allerdings war ich in den folgenden Jahren praktisch mit zwei Abteilungen belastet, da man mir nebenbei auch die Untersuchungsabteilung beließ, mit der sehr schmeichelhaften Begründung, daß man auf einen so hervorragenden Untersuchungsrichter einfach nicht verzichten könne. Ich habe diese Begründung zwar nicht ernst genommen, aber ich habe nicht aufgegeben. Vielmehr fand ich mich mit dieser Doppellast durch fünf Jahre sehr gut ab, weil ich der Meinung bin, daß ein Pionier nicht wehleidig sein darf und etwas aushalten muß. Von 1961 bis 1963 war ich dann Vorsitzende beim Jugendgerichtshof Wien und habe es durchaus angenehm empfunden, daß ich nicht zwei Abteilungen bewältigen mußte, sondern, wie die anderen Kollegen, mit nur einer auskommen konnte.“ (HAIMBERGER 1968, 46f.)
Im Frühjahr 1963 kehrte sie zur Staatsanwaltschaft Wien zurück und wurde dort zum Ersten Staatsanwalt ernannt.
In dieser Eigenschaft und als Pionierin der Strafrechtlerinnen nahm sie 1968 an der Tagung „Die Juristin in der Justiz“ teil, die von den Bundesministerien für Justiz und für soziale Verwaltung veranstaltet wurde. Die TagungsteilnehmerInnen – zum großen Teil Frauen, die in Österreich als Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Notare oder im Bereich der Verwaltung, der Rechtslehre und Rechtsforschung arbeiteten – diskutierten dort über ihre berufliche Tätigkeit sowie Möglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Unter dem Titel „Die Juristin in der Strafrechtspflege“ gab Margarete Haimberger als Erster Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Wien zunächst einen Überblick über die aktuell an den österreichischen Gerichten tätigen Straf- und Untersuchungsrichterinnen, Staatsanwältinnen sowie als Rechtsanwältinnen und Beamtinnen der Kriminalpolizei. Obwohl seit der ersten Rechtsanwältin in der Strafjustiz – 1933 führte Dr. Adrienne Schnitzer als erste Frau vor dem Schwurgericht eine Verteidigung – nur langsame Fortschritte zu verzeichnen waren, meinte Haimberger:
„was sind schon 35 Jahre bei einer Entwicklung, die evolutionistisch vor sich geht, also nicht von oben diktiert oder gefördert wird, wie etwa in der Sowjetunion oder in den Ostblockstaaten, wo die Frauen in allen Rechtsberufen überaus stark vertreten sind! […] Bei uns geht die Evolution schön langsam vor sich […].“ (HAIMBERGER 1968, 41)
Obwohl die Frau in der nationalsozialistischen Ideologie vor allem im Bereich der Familie wirken hätte sollen, habe der Zweite Weltkrieg und der mit den Einberufungen verbundene Arbeitskräftemangel bewirkt, dass Frauen seit etwa 1942 zu pflegschaftsrichterlichen und staatsanwaltschaftlichen Funktionen herangezogen wurden:
„Allerdings mußten diese Frauen streng hinter den Kulissen bleiben […], weil damals an das öffentliche Auftreten einer Frau im Gerichtssaal nicht einmal zu denken war. Das Jahr 1945 bringt dann eine fortschrittliche Entwicklung. Die Verfassung von 1920 wird reaktiviert, die man die 'Magna Charta der Gleichberechtigung' nennen könnte, weil sie alle Vorrechte bestimmter Kategorien ausschließt.“ (HAIMBERGER 1968, 42)
Als eine Schwierigkeit sah Margarete Haimberger den Mangel an historischen Vorläuferinnen und Vorbildern für Frauen im Strafrecht, aber auch die allgemein verbreitete Assoziation („Image“) des Strafrichters und Staatsanwalts mit dem Amt des Priester („Gedanke der Entsühnung“), der traditionell männlich besetzt ist. Nachdrücklich forderte sie abschließend insbesondere den Einsatz weiblicher Juristen in Jugendstrafjustiz.
In der Diskussion ging Margarete Haimberger nochmals auf die Hürden bei der Richterkarriere ein:
„Ich glaube, daß die Wurzel dafür, daß alles irgendwie schleppend ist, doch schon in der Übernahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst zu suchen ist. Ich sehe wirklich nicht ein, warum Männer und Frauen anders beurteilt werden, warum die Frau mehr leisten soll als ein Mann. Beide kommen von der Universität, beide haben das gleiche Studium abgeschlossen, beide sind verfassungsmäßig vollkommen gleichgestellt. Woher kommt dann der Gedanke, bei einer Frau müsse man genauer schauen? Was sind da die Gedankengänge der Männer? Dadurch, daß man weniger Frauen aufnimmt, kommt es natürlich dazu daß keine Wahl von Frauen in die Personalsenate möglich ist, denn das ist ja doch eine reine Mehrheitsfrage. Wenn heute bei einem Gericht mehr Frauen sind, so wird zwangsläufig auch eine Frau hineingewählt werden.“ (Diskussionsbeitrag Margarete HAIMBERGER, in: Bundesministerium für Justiz (Hg.), Beiträge zum Thema „Die Juristin in der Justiz“. Tagung des Bundesministeriums für Justiz am 29. und 30. Oktober 1968 in der Justizschule Schwechat, Wien 1968, 112f.).
Sie erhielt 1974 den Berufstitel Hofrat und wurde 1976 Vizepräsidentin des Landesgerichts für Strafsachen Wien. Sie engagierte sich auch für die gesetzliche Verankerung des Tierschutzes, der Frauenfragen und der Fristenlösung bei Schwangerschaftsabbrüchen.
Hofrätin Dr.in Margarete Charlotte Tanzer-Haimberger, geb. Eisenstädter, starb am 22. April 1987 in Perchtoldsdorf, Niederösterreich.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale IUR 1937–1938, 1946, Rigorosenprotokoll IUR 48 (1940–1946) Nr. 121, Promotionsprotokoll IUR XI (1939–1959) Nr. 676; Bundesministerium für Justiz, Hg., Beiträge zum Thema „Die Juristin in der Justiz“. Tagung des Bundesministeriums für Justiz am 29. und 30. Oktober 1968 in der Justizschule Schwechat, Wien 1968, insb. Margarete HAIMBERGER, Die Juristin in der Strafrechtspflege, 39-47, sowie Diskussionsbeiträge 112f, 118; Foto von Margarete Tanzer als erste vorsitzende Richterin einer Schöffenverhandlung, April 1956; KNIEFACZ/POSCH 2016; KOROTIN 2016, 1156; Ilse KOROTIN u. Nastasja STUPNICKI, Hg., Biografien bedeutender österreichischer Wissenschafterinnen, Wien, Köln u. Weimar 2018, 315; Gabriele SCHNEIDER, Margarethe Haimberger, in: Evangelisches Museum Österreichs; Petra TEMPFER, Das Recht ist weiblich, in: Wiener Zeitung, 04.11.2013; www.juristinnen.de; wikipedia.
Katharina Kniefacz