Geb. am: | 28. Jänner 1911 |
Fakultät: | Philosophische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Gersch Tsvi (Zvi) SOFER, geb. am 28. Jänner 1911 in Jałtuszków/Russland [Jaltuschkiw|Ялтушків/Ukraine] (heimatberechtigt in Tel-Aviv/Palästina [Israel], Staatsbürgerschaft: Palästina), seit seinem sechsten Lebensjahr Halbwaise, stammte aus bescheidenen Verhältnissen und wuchs bei seiner Großmutter auf, besuchte später das Gymnasium in Brody, Galizien, wo er 1929 die Reifeprüfung (Matura) erfolgreich ablegte. Danach schloss er sich der vierten Alija (1924–1939) an und zog 1929 nach Palästina, wo er in Ziegeleien und Werkstätten arbeitete, da er sehr musikalisch war sehr gut Geige spielte aber auch Konzerte gab und Jugend- und Schulorchester leitete.
1935 übersiedelte er zum Studium nach Wien, wo er in Wien 8, Lederergasse 18/10 wohnte, und ab dem Wintersemester 1936/37 vier Semester Kunstgeschichte und Musikwissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien studierte. Er war zuletzt im Sommersemester 1938 im 4. Studiensemester inskribiert, studierte daneben aber auch Violoncello und Dirigieren am Musik-Konservatorium und Reformpädagogik am Pädagogischen Institut der Gemeinde Wien.
Er wurde im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen Gründen gezwungen, das Studium abzubrechen und die Universität Wien ebenso wie das Konservatorium zu verlassen.
Er musste aus Wien fliehen und konnte 1938 wieder nach Palästina emigrieren und lebte und arbeitete als Kunst- und Gesangspädagoge in Haifa, gab musikpädagogische Schriften heraus und betrieb ein kleines Musikgeschäft. Er engagierte sich aber auch im Bereich Bewahrung jüdischer Geschichte und Folklore (z.B. Archiv jüdischer Volkserzählungen und Objekte am Ethnologischen Museum in Haifa, heute Universität Haifa), sammelte und führte eigene Feldforschungen durch (z.B. "Pessach-Fest der Samaritaner*innen in Nablus") und publizierte über volkskundliche, folkloristische und ethnologische Themen. Im Zuge von internationalen Forschungs- und Vortragsreisen bot sich 1959 in Kiel/Deutschland die Möglichkeit, ein volkskundliches Dissertationsstudium zur Erzählforschung durchzuführen, somit das 1938 in Wien abgebrochene Studium thematisch neu fokussiert aufzunehmen und zog daher von Haifa nach Kiel, später nach Göttingen, wo er 1965 promovierte und arbeitete ab 1966 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institutum Judaicum Delitzschianum (IJD) an der Universität Münster.
Zvi Sofer lehrte, führte Editionsprojekte durch, engagierte sich für den Erhalt bzw. Wiederaufbau der schrumpfenden jüdischen Gemeinden in Nordwestdeutschland. Er fungierte 1976-1980 auch als Kantor der jüdischen Gemeinde Münster, veranstaltet im Zuge des jüdisch-christlichen Dialogs Synagogenführungen, Volkshochschulkurse, Ausstellungen und jiddischen Konzerte, verfasste ein jüdisches Kochbuch und zwei Schallplatten mit Synagogalmusik und populären jiddischen Erzählungen von Leib Peretz.
Im Herbst 1977 erhielt er das Verdienstkreuz am Bande verliehen
Er starb am 25. Jänner 1980 in Münster und hinterließ eine umfangreiche aber ungeordnete Judaica-Sammlung mit Zeremonial- und Alltagsgegenständen, Zeichnungen, Büchern, Manuskripten, Textilien, Tondokumenten, u.a. die 1981 von der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums erworben wurde und den Grundstock für das heutige Jüdische Museum Berlin (eröffnet 2001) bildete (nachdem frühere Pläne in Köln und Essen gescheitert waren).
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale 1936-1938; Nachruf in den Westfälischen Nachrichten am 26./27. Januar 1980; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 477; Anna-Carolin AUGUSTIN, Zvi Sofer. A Collector and His Collection (2019) | www.jmberlin.de/en/node/6035.
Herbert Posch