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Wilhelm Schlesinger

Geb. am: 06. Juni 1869
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene WissenschafterInnen

Wilhelm SCHLESINGER, geb. am 6. Juni 1869 in Wien, gest. am 18. September 1947 in Grenoble/Frankreich, war 1938 Privatdozent für Interne Medizin mit dem Titel eines außerordentlichen Professors (Pd. tit.ao.Prof.) an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien.

Er wurde im Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen verfolgt, obwohl er bereits 1896 vom Judentum zur evang. Kirche AB übergetreten war und wurde am 22. April 1938 seines Amtes enthoben und von der Universität Wien vertrieben.

Er war der Sohn von Julius Schlesinger (1837–1927) und Therese Schlesinger, geb. Spitzer (1846–1934) und studierte ab 1884 an den Universitäten Graz (1889/1890) und Wien Medizin, und promovierte am 26. Juli 1892 in Wien zum "Dr. med.univ." (auch sein Bruder, Medizinalrat Dr. Alfred Schlesinger, wurde Mediziner).

Er arbeitete 1892–1894 als Aspirant/Hilfsarzt bei Prof. Hermann Nothnagel (1841–1905) an der I. Medizinischen Univ.-Klinik in Wien, 1894–1897 als Assistent bei Prof. Bernhard Naunyn (1839–1925) an der Medizinischen Klinik der Kaiser-Wilhelms-Universität in Straßburg und kehrte 1897 nach Wien zurück, wo er als praktischer Arzt ordinierte. Er habilitierte sich 1904 für innere Medizin an der Universität Wien.
Ab 1907 hielt er Vorlesungen und Kurse mit praktischen Übungen zu Diätik und Krankenkost, bald darauf leitete er 1908–1911 das Ambulatorium für Magen-, Darm- und Stoffwechselkrankheiten an der III. Medizinischen Univ.-Klinik, und wechselte 1911 für mehrere Jahre an das Kaiser-Franz-Joseph-Spital als Abteilungsvorstand. Während des Ersten Weltkriegs war er Regiments- und später Stabsarzt in Wien (Leiter der Internen Abteilung des Garnisonsspitals Nr. 2 in Wien) und Przemyśl/Polen, danach kehrte er bis 1919 hauptamtlich an das Kaiser-Franz-Joseph-Spital zurück. Er erhielt 1921 den Titel - aber nicht die Position - eines außerordentlichen Professors ("tit. ao. Prof.") verliehen an der Universität Wien.
Als Internist war er als Spezialist für Stoffwechselkrankheiten, besonders Diabetes, bekannt und hatte bereits ab 1907 an der Universität Wien erstmals mit prakt. Übungen verbundene Vorlesungen über Diät und Küche abgehalten, die er in einem Lehrbuch zusammenfasste, in dem er die Bedeutung von Ernährung bzw. Diät für den Stoffwechsel nachvollziehbar machte.

Er war Mitglied der Gesellschaft der Ärzte in Wien, der Gesellschaft für Innere Medizin und Kinderheilkunde in Wien, der Gesellschaft für Neurologie in Wien und des Deutschen Congress für innere Medizin.

Er war der Arzt berühmter internationaler Patienten wie des indischen Ministerpräsidenten Vithalbhai Patel (1873-1933) oder des österreichischen Finanzministers Redlich. Ende 1934 besichtigte er auf Einladung König Achmed Zogus von Albanien, der damals das albanische Gesundheitswesen grundlegend reformierte und in Tirana zwei neue Spitäler baute, die bereits bestehenden Institutionen und entwickelte einen Gesamtplan für das albanische Gesundheitssystem, für dessen Umsetzung er im März 1935 als Chef des Obersten Sanitätsrates und Spitalsleiter nach Tirana/Albanien berufen wurde. In Albanien war er u. a. auch mit der Eindämmung der Malaria befasst und konnte dafür auf seine Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg zurückgreifen, wo er ein großes Infektionsspital in Przemysl geleitet hatte und danach Abteilungschef eines Malariaspitals war. Nach der erfolgreichen Umsetzung kehrte er im Juni 1936 wieder nach Wien zurück. In Österreich wurde ihm im Sommer 1935 das Ritterkreuz 1. Klasse des Österreichischen Verdienstordens verliehen.

Er war verheiratet mit Helene Laqueur (1874–1953), Tochter des Straßburger Ophthalmologen Ludwig/Louis Laqueur (1839–1909) und ihrer beider Tochter Dr. Annemarie Schlesinger (1903-?) wurde ebenfalls Ärztin (bis 1935 Hilfsärztin an der II. medizinischen Klinik in Wien und folgte ihnen sowohl nach Albanien wie nach Grenoble). Wilhelm Schlesinger wohnte in Wien 1., Hohenstauffengasse 2.

1938 wurde er aus Wien vertrieben und konnte noch rechtzeitig nach Frankreich emigrieren, wo er ab 1939 in Grenoble lebte, wo er auch der Begründer der Grenobler Sektion der Vereinigung „Freunde Österreichs/Amis de l‘Autriche" wurde.

Zu seinen Werken gehören u.a.: Vorlesungen über Diät und Küche. Ein Lehrbuch für Ärzte und Studierende (1917), Krankenkost im Haushalte, in: Hausbuch der Heilkunde 1 (1924); Obst- und Gemüse-Obstkuren, in: Mitteilungen des Volksgesundheitsamtes (1934); usw.

Prof. Dr. Wilhelm Schlesinger starb 78jährig am 18. September 1947 in Grenoble/Frankreich.


Lit.: Archiv der Universität Wien/Personalstand der Universität Wien 1937/38, 31, Personalakt, Rektorat GZ 677 ex 1937/38; FISCHER 1932/1933, 1392f.; MERINSKY 1980, 241-242; ÖBL 1815-1950 Bd. 10 (1992), 200f.; MÜHLBERGER 1993, 32; BLUMESBERGER 2002, 1211f.; UB MedUni Wien/van Swieten Blog (2008); Medizinische Klinik vom 12. Juli 1935, S. 4; Neues Österreich vom 2. 10. 1947.


Herbert Posch


Wilhelm Schlesinger 1934, Grafik: Robert Fuchs für Neue Freie Presse, © Archiv der Universität Wien 106.I.967

Aberkennung der venia legendi von Wilhelm Schlesinger und anderen, 22. April 1938, Vorderseite © Archiv der Universität Wien RA GZ 677 ex 1937/38

Aberkennung der venia legendi von Wilhelm Schlesinger und anderen, 22. April 1938, Rückseite © Archiv der Universität Wien RA GZ 677 ex 1937/38
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