Johann Wilhelm (Jean) Billiter (Billitzer)
Geb. am: |
23. Mai 1877 |
Fakultät: |
Philosophische Fakultät |
Kategorie: |
Vertriebene WissenschafterInnen |
Johann Wilhelm BILLITER (Jean BILLITZER), geb. am 23. Mai 1877 in Paris, gest. am 1. April 1965 in Salzburg, hatte am 13. Juni 1900 an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien den Grad eines Dr. phil. in Chemie erworben (Dissertation:
Über die Affinitätsgröße gesättigter Fettsäuren) und war 1938 Privatdozent (tit. ao. Prof) für Physikalische Chemie an der Universität Wien.
Er wurde am 22. April 1938 aus politischen Gründen entlassen.
Am 14. Juli 1942 wurde ihm auch der akademische Grad aus rassistischen Gründen aberkannt, da er im Nationalsozialismus '
als Jude als eines akademischen Grades einer deutschen Hochschule unwürdig' galt.
Erst 13 Jahre nach der Aberkennung und lange nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde ihm der Doktorgrad am 15. Mai 1955 wieder zuerkannt, bzw. die Aberkennung für 'von Anfang an nichtig' erklärt.
Billiter war Sohn des Generaldirektors der Société Générale in Paris und Mitbegründers der Rio-Tinto-Gesellschaft, Joseph Billiter. Er besuchte anfangs die Elementarschule in Paris, bis seine Familie im Jahr 1884 nach Wien übersiedelte. Nach Absolvierung des Gymnasiums studierte er von 1895 bis 1900 – vorübergehend unterbrochen durch das Freiwilligenjahr – Physik und Chemie an den Universitäten Wien, München und Heidelberg, um im Juni 1900 an der Universität Wien zu promovieren. In der Folge arbeitete Billiter drei Semester in Göttingen bei Walther Nernst, und ging anschließend für ein Semester nach Paris. Im Herbst 1902 wurde er unter Adolf Lieben Assistent am II. Chemischen Universitätslaboratorium in Wien. Bereits im Jahr darauf konnte sich Billiter, der v. a. durch seine Abhandlungen über absolute Potentiale und Kolloide hervorgetreten war, für physikalische Chemie habilitieren. In der Folge beschäftigte er sich insbesondere mit kapillarelektrischen Erscheinungen als Mittel zur Feststellung des absoluten Nullpunkts der elektrischen Potenzialdifferenzen wie auch mit kolloidalen Lösungen.
Nach seiner Habilitation, um 1905, begann er sich verstärkt mit Fragen der technischen Elektrochemie zu beschäftigen und brachte es auf diesem Gebiet zu einigen wichtigen Erfindungen. Resultat dieser Arbeiten waren auch zwei Bücher über technische Anwendungen der Elektrochemie.
[1] Unterdessen ließ er sich 1907 für zwei Jahre von der Universität Wien beurlauben, da ihm mangels entsprechender Ausrüstung die Durchführung "elektrochemische[r] Arbeiten modernern Stils" versagt blieb.
[2] 1917 stand schließlich die Verleihung eines ao. Prof. zur Debatte, nachdem sich Billiter neben der Elektrochemie auch in punkto Farbenfotografie einige Verdienste erworben hatte, seine Patente in Fabriken mehrerer Länder Verwendung fanden. Zwar wurde der Antrag in der Kommission angenommen, in der Sitzung des Professorenkollegiums allerdings abgelehnt. Dabei kamen nicht nur "Bedenken" wegen der Integrität in Zusammenhang mit Billiters Patenten, sondern auch im Hinblick auf seine Nationalität zur Sprache: Rudolf Muchs Zweifel konzentrierten sich etwa auf Billiters – nicht ins Deutsche übersetzten – Vornamen "Jean".
[3] Als vier Jahre später der gleiche Antrag im Professorenkollegium zur Debatte stand, stellte Rudolf Wegscheider auch klar, dass Billiter "sich als Deutscher" bekenne, die Zweifel hinsichtlich der Patente "unbegründet" seien. Am 7. Oktober 1921 folgte die Verleihung des Titels eines ao. Prof. Nächste bedeutende Station Billiters war – von 1932 bis zum Ende des Wintersemesters 1933/34 – ein zweijähriger Forschungs- bzw. Arbeitsaufenthalt in "Nordamerika".
Im NS-Regime fand seine Lehrtätigkeit ein abruptes Ende: Das Unterrichtsministerium widerrief mit Erlass vom 22. April 1938 seine Lehrbefugnis, womit diese erlosch.
[4] Über die genauen Gründe für den Entzug der Lehrbefugnis geben die Akten leider keine Auskunft, wiewohl auch keinerlei Informationen über eine etwaige politische Tätigkeit Billiters aufliegen. Als wahrscheinlich gilt, dass seine Herkunft aus Frankreich ein maßgeblicher Grund dafür war. Billiter fasste jedenfalls den Entschluss, das "Dritte Reich" zu verlassen und emigrierte nach Frankreich (Beaulieu sur mer).
An die Universität Wien kehrte er den Quellen zufolge nicht mehr zurück – so findet er sich weder in den Vorlesungsverzeichnissen der ersten zwei Nachkriegssemester noch im Personalstandsverzeichnis 1950/51.
[5] Allerdings kehrte er nach Österreich zurück und war in St. Gilgen/Wolfgangsee als Chemiker tätig.
Billiter, der 1950 die Auer-Medaille des Vereines Österreichischer Chemiker erhielt, war nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Schriftsteller und Komponist. Zudem war er im Bergbau tätig und fungierte als Präsident der Mühldorfer Graphit-Bergbau-A.-G. wie auch als Obmann der Pittener Eisen-Gewerkschaft. Er war Namensgeber der "Siemens-Billiter-Zelle", die in Österreich, Deutschland und England zur Anwendung kam.
Lit.: Österreichisches Staatsarchiv/AVA, PA Billiter; Archiv der Universität Wien/PH PA 1042, PHIL GZ 659 ex 1937/38, VVZ SS 1945, VVZ WS 1945/46, PSTV 1950/51; PLANER 1929; Poggendorffs Biographisch-literarisches Handwörterbuch für Mathematik, Astronomie, Physik, Chemie und verwandte Wissenschaftsgebiete. Bd. V: 1904–1922. Teil 1, Leipzig – Berlin 1925; Johann Christian POGGENDORFF, Biographisch-literarisches Handwörterbuch der exakten Naturwissenschaften. Bd. VIIa – Teil 1, Berlin 1956; TEICHL 1951; MÜHLBERGER 1993, 38; POSCH 2009, 395.
[1] UA, PA, fol. 32, Kommissionsbericht zur Verleihung des Titels eines ao. Prof. an Billiter, o. D.
[2] Ebd., fol. 27, Billiter an den Akademischen Senat, 16. 10. 1907.
[3] Ebd., fol. 34, Protokoll zur Verleihung des Titels eines ao. Prof. an Billiter, 28. 4. 1917.
[4] UA, PHIL GZ 659-1937/38, fol. 54, PHIL Dekanat an Billiter, 23. 4. 1938.
[5] Vgl. UA, VVZ SS 1945; VVZ WS 1945/46; PSTV 1950/51.
Andreas Huber