Johannes Sauter
Geb. am: |
24. Mai 1891 |
Fakultät: |
Juridische Fakultät |
Kategorie: |
Vertriebene WissenschafterInnen |
Johann(es) SAUTER wurde am 24. Mai 1891 in Kleeberg/Bayern in eine katholische Familie geboren und war Privatdozent (ao. Prof.) für Gesellschaftslehre, Allgem. Staatslehre, Rechtsphilosophie an der Juridischen Fakultät der Universität Wien.
Johann(es) SAUTER studierte am Passauer Lyzeum erst zwei Semester Philosophie, dann acht Semester Theologie. Nach Empfang der Priesterweihe war er von 1916 bis 1923 als Seelsorger tätig (eine Funktion, die er später in Wien stets verschwiegen hat und stattdessen angab, von 1916 bis 1922 eine "berufswirtschaftliche Ausbildung in einer Bank" absolviert zu haben). Per Sommersemester 1923 hatte sich Sauter vom Bistum Passau beurlauben lassen, um fortan in München das Studium der Philosophie zu betreiben, das er im März 1926 mit einer Dissertation über Die Sozialphilosophie Franz von Baaders und seine Beziehung zur deutschen Romantik abschloss. Zeitgleich mit seiner Immatrikulation in München inskribierte Sauter 1923 auch an der Universität Wien für das Doktorat der Staatswissenschaften und promovierte schon am 17. Juni 1925, also noch vor Abschluss seines Münchner Studiums, in Wien zum Dr. rer. pol. Hier gehörte er alsbald dem Kreis um Othmar Spann an – was er aber später, während der NS-Herrschaft, stets vehement bestreiten wird.
Nach seiner Promotion war Sauter im Brotberuf Lehrer an der Wiener Handelsakademie (heute Vienna Business School), verfasste nebenher aber zahlreiche Schriften und konnte daher im August 1927 aufgrund seiner Habilitationsschrift Franz von Baaders Schriften zur Gesellschaftsphilosophie an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät für das Fach "Gesellschaftslehre" habilitiert werden. Franz von Baader (1765–1841), der im Fokus von Sauters Forschung stand, gilt als zentrale Gestalt der Münchner Romantik. Sauter erhöhte ihn gar zum "Begründer der deutschen Nationalökonomie".
Ab dem Studienjahr 1927/28 war Sauter Privatdozent für Gesellschaftslehre; im Juni 1933 wurde ihm zudem der Titel eines außerordentlichen Universitätsprofessors verliehen. Wenig später suchte er unter Vorlage der Habilitationsschrift Entwicklung der abendländischen Staatsidee um Erweiterung seiner Venia auf "Allgemeine Staatslehre und Rechtsphilosophie" an, die ihm im März 1934 zuteil wurde. Mit der NS-Machtergreifung in Österreich im März 1938 stellten o. Prof. Alexander Hold-Ferneck und o. Prof. Alfred Verdroß-Drossberg den Antrag, Sauter zum Ordinarius der Rechtsphilosophie zu ernennen. Doch am 23. April 1938 erreichte den Dekan der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät, o. Prof. Ernst Schönbauer, eine Weisung, die diese Pläne vereitelte und in der Rückschau zugleich die erschreckende Rasanz und Effektivität des Gleichschaltungsprozesses vor Augen führt: Neben o. Univ.-Prof. Ludwig Adamovich sen. und Privatdozent (o. Prof.) Robert Bartsch wurde in jener Weisung auch Johann Sauter nahe gelegt, ein Gesuch einzubringen, in welchem er um sofortige Beurlaubung bitte. Doch Sauter kam dieser Aufforderung nach "freiwilligem" Lehrverzicht nicht nach, weswegen ihm seine Lehrbefähigung schlichtweg entzogen wurde.
Sauter ist somit ein Beispiel dafür, dass nach NS-Recht neben Wissenschaftern jüdischer Abstammung auch "politisch Unzuverlässige" entlassen wurden. Mit Bescheid vom 22. März 1939 wurde er aufgrund des § 4 Abs 1 der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums vom 31. Mai 1938 mit der Hälfte des Ruhegenusses (Pension) in den Ruhestand versetzt. Allerdings war diese Entscheidung von der irrigen Voraussetzung ausgegangen, dass er in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gestanden sei. Auf Privatdozenten fand die Bestimmung aber keine Anwendung, sodass Sauter letztendlich schlicht jede weitere Lehrtätigkeit ohne Anspruch auf Abfertigung untersagt wurde, was ihn arbeits- und mittellos machte. Die "politische Unzuverlässigkeit", die man ihm vorwarf, gründete in seiner Bekanntschaft mit Othmar Spann sowie in seinen (als [ehemaliger] Geistlicher) engen Verbindungen zum Klerus und zu christlichsozialen Kreisen.
Sauter nahm diese Behandlung nicht hin, sprach unzählige Male bei Dekan und Rektor vor, wandte sich schließlich gar direkt an Reichserziehungsminister Rust: "Ich stehe demnach heute, als einer der verdientesten Kämpfer der nationalen Bewegung, völlig mittellos da" (Brief vom 4. Juni 1940) und richtete im Juli 1940 eine umfangreiche Rechtfertigungsschrift an das Ministerium. Aufgrund dieses Berichts über seine politische Einstellung und Tätigkeit könnte man schließen, dass Sauter Nationalsozialist der ersten Stunde war: Denn eigenen Angaben zufolge wirkte er beim Hitler-Putsch 1923 in München mit, floh wegen diesbezüglicher fortgesetzter polizeilicher Ermittlungen nach Wien, wo er ab 1925 im "Deutschen Kulturamt" der Universität tätig gewesen sei und mit Robert Körber zusammengearbeitet habe. Er sei außerdem gründendes Mitglied der "Deutschen Philosophischen Gesellschaft" gewesen, laut Sauter "Tarnungsvereine", die Beziehungen zu illegalen nationalsozialistischen Stellen in Österreich unterhalten hätten. Weiters habe er 1937 die Leitung der "Deutschen Kunstgemeinschaft" übernommen und dabei die "Verjudung unseres Kulturlebens aufgezeigt". Nicht zuletzt habe er 1937 "den großen Prozess gegen den Führer der Juden und Freimaurer, nämlich Prof. Schlick geführt" (der Philosoph Prof. Moritz Schlick war 1936 aus (wissenschafts-)politischen und antismitischen Gründen auf den Stiegen der Universität ermordet worden) und "den nationalen Täter in der Haft oft besucht". Schließlich sei er durch seine nationale Tätigkeit auch wiederholt von der vaterländischen Presse angegriffen worden. Aber nach der Machtergreifung habe man ihn dafür seitens des Landeskulturamtes der NSDAP mit einem Sonderauftrag gegen die Freimaurerlogen betraut und ihn noch im März 1938 zum Mitarbeiter der Wochenschrift Der Stürmer bestellt. Überdies hätte er auch noch einen Vertrauensposten gegen die Feinde der Nationalsozialisten erhalten.
Jene Angaben Sauters zeichnen ein den Nazis gefälliges Bild seiner politischen Einstellung und Tätigkeit. Nachgewiesen werden konnte insbesonders,
• dass Sauter im Frühjahr 1935 gemeinsam mit dem "Nationalkatholiken" Hans Eibl den Verein "Deutsche Philosophische Gesellschaft in Wien" aufgezogen hat. Dieser Verein versuchte, die Ideen Othmar Spanns zu verbreiten;
• dass Sauter spätestens im Juni 1937 für die "Deutsche Kunstgemeinschaft. Verein zur Förderung künstlerischer und kultureller Bestrebungen", die junge arische Künstler förderte, tätig war und dort hauptsächlich Bittgesuche um Spendengelder und Pamphlete verfasste, wie z.B.: "Die heutige Kunstrichtung ist so von volksfremden Elementen durchdrungen, … daß unsere echte, deutsche bodenständige Kunst ganz in den Hintergrund gedrängt scheint";
• dass Leopold Schneider vom Landeskulturamt der NSDAP Sauter im März 1938 zu seinem wissenschaftlichen Mitarbeiter bestellte;
• dass Sauter "insbesondere bei den Vorbereitungen für die Volksabstimmung eifrig tätig" war (vgl. Ermittlungsakt der Gauleitung Wien vom 31. 3. 1939).
Bezüglich Sauters Involvierung in den Prozess gegen den Mörder Moritz Schlicks, kann sein bekanntestes antisemitisches Pamphlet angeführt werden, das er im Sommer 1936 unter dem Pseudonym "Prof. Dr. Austriacus" in der katholischen Wochenschrift Schönere Zukunft publizierte. Darin schrieb er: "Wir möchten aber doch daran erinnern, daß wir Christen in einem christlich-deutschen Staate leben, und daß wir zu bestimmen haben, welche Philosophie gut und passend ist. Die Juden sollen in ihrem Kulturinstitut ihren jüdischen Philosophen haben! Aber auf die philosophischen Lehrstühle der Wiener Universität im christlich-deutschen Österreich gehören christliche Philosophen! Man hat in letzter Zeit wiederholt erklärt, daß die friedliche Regelung der Judenfrage in Österreich im Interesse der Juden selbst gelegen sei, da sonst eine gewaltsame Lösung derselben unvermeidlich sei. Hoffentlich beschleunigt der schreckliche Mordfall an der Wiener Universität eine wirklich befriedigende Lösung der Judenfrage!"
Derlei antisemitische Äußerungen sprachen im Nationalsozialismus – abgesehen von der besonderen Hervorhebung des Christentums – durchaus für Sauters rechte Gesinnung; ebenso wie zahlreiche Empfehlungsschreiben, die er seiner Rechtfertigungsschrift beilegte, um ihn als "begeisterten, mutigen und einsatzbereiten Vorkämpfer des Nationalsozialismus" (Brief von Franz Brandl) zu bestätigen, der "ohne jedes Eigeninteresse unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen dem nationalen Gedanken zu dienen bemüht war" (Brief von Carl von Bardolff), "als Vorkämpfer für die richtige deutsche Rechtswissenschaft … tätig war … und insbesondere auch für die deutsche Kunst unter grossen Mühen auch in der illegalen Zeit gearbeitet (hat)" (Brief von Erwin Heller).
Weiters führte Sauter in einem Fragebogen, den er im September 1938 auszufüllen hatte, an, dass er Mitglied der NSDAP wäre. Tatsächlich aber belegen die Akten, dass er zwar am 1. Mai 1938 einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt hatte, dieser vom Gaugericht Wien jedoch im September 1941 abgelehnt wurde. Doch auch als Nicht-Mitglied scheint Sauter enge Kontakte zur NSDAP und dort Freunde gehabt zu haben, die seine Bemühungen um Wiedererlangung der Lehrbefugnis weiter betrieben. Da er nicht mehr lehren durfte, lebte er von Almosen und erhielt beispielsweise vom Berliner Reichsministerium eine monatliche Unterstützung von 180 Reichsmark. Im Mai 1942 einigte man sich schließlich, Sauter aufgrund seiner "politischen Unzuverlässigkeit" zwar nicht mehr im öffentlichen Dienst zu verwenden, allerdings erlaubte man ihm, sich zur Sicherung seiner Lebensgrundlage in der Privatwirtschaft zu betätigen, wozu man ihm ein "Unbedenklichkeitszeugnis zwecks Verleihung der Konzession für Realitätenvermittlung" ausstellte
Ob Sauter seitdem als Realitätenvermittler tätig war, ist genauso unklar wie sein Schicksal nach dem März 1943: Am 18. März 1943 war Sauter von der Gestapo festgenommen worden, weil er unter dringendem Verdacht stand, "einer reaktionären und gegnerisch eingestellten Personengruppe angehört und durch bewusst defaitistische Äusserungen die Widerstandskraft der inneren Front geschwächt zu haben." Die "Personengruppe", von der der Eintrag spricht, umfasste das katholisch-konservative Lager und benannte ua das Ehepaar Franz und Margarete Meuren sowie Josef Wenzl, die gemeinsam mit Sauter festgenommen wurden. Danach verliert sich Sauters Spur.
Johann(es) Sauter verstarb am 12. Dezember 1945 in Winhöring (Landkreis Altötting, Bayern).
Johann(es) Sauter war wohl ebenso (verhinderter) Vertreibender wie auch Vertriebener der Universität Wien. Er war zweifelsfrei antisemitisch, katholisch-national und großdeutsch gesinnt, allerdings nicht abstrichslos nationalsozialistisch. Ideologische Nähe zu NS-Gedankengut ist ihm jedoch dahingehend nachzuweisen, als seine politischen Betätigungen darauf abzielten, die behaupteten Übereinstimmungen zwischen Nationalsozialismus und Katholizismus aufzuzeigen. Unter anderem daraus erklärt sich seine Beziehung zu Othmar Spann, der sich gemeinsam mit dem NS-Ideologen Alfred Rosenberg vor deren Zerwürfnis bemüht hatte, die sich dem Faschismus zugewandten Teile der katholischen Priesterschaft anzusprechen. Auch Sauters Kontakte zu Hans Eibl weisen in diese Richtung, bemühte sich der Philosoph doch eigenen Angaben zufolge unter Berufung auf das "positive Christentum" in Adolf Hitlers "Mein Kampf" um ein Bündnis zwischen Christentum und Nationalsozialismus. Gerade Eibls und Sauters gemeinsame Unternehmung, die "Deutsche Philosophie Gesellschaft", bot ihnen zahlreiche Anknüpfungspunkte an bestimmte Aspekte der NS-Ideologie
Sauter scheint damit jener Gruppe österreichischer Staats(rechts)lehrer in der NS-Zeit zuzurechnen zu sein, deren Ideen und Vorstellungen im Nationalsozialismus Resonanz und Heimat finden, deren Einstellung aber keine rein nationalsozialistische ist. Eher waren sie "Verfechter des deutschnationalen Reichsgedankens in seiner romantischen Prägung" (Bernd-Christian Funk). Nicht zuletzt aus Sauters Beschäftigung mit Franz von Baader geht die Orientierung an frühromantischen und idealistischen Ideen hervor, die in der Vorstellung des Nationalsozialismus als Bastion deutscher Kultur respektive gar als Verwirklichung der mittelalterlichen Reichsidee eine geistige Entsprechung fand.
Lit.: Tamara EHS, Die Vertreibung des/der ersten Staatswissenschafter/in: Helene Lieser und Johann Sauter, in: Franz Stefan Meissel, Thomas Olechowski Ilse Reiter-Zatloukal u. Stefan Schima, Hg., Vertriebenes Recht - vertreibendes Recht. Die Wiener Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät 1938-1945, Wien 2010.
Tamara Ehs