Marlene Ratzersdorfer (verh. Jantsch)
Geb. am: |
26. September 1917 |
Fakultät: |
Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: |
Vertriebene Studierende |
Marlene RATZERSDORFER (später verh. JANTSCH), geb. am 26. September 1917 in Osterwieck, Harz (Sachsen-Anhalt)/Deutsches Reich (heimatberechtigt in Preßburg/Tschechoslowakei [Bratislava]/Slowakei], Staatsbürgerschaft 1938: Tschechoslowakei), Tochter von Dipl.Ing. Hugo Ratzersdorfer (Ingenieur, 1881-1944) und Helene Ratzersdorfer, geb. Zickfeldt (1877-1935), übersiedelte 1933 mit ihrem Vater von Berlin nach Wien, wohnte in Wien 7, Westbahnstraße 33 und legte 1936 am Döblinger Mädchenrealgymnasium die Matura/Reifeprüfung ab. Anschließend nahm sie im Wintersemester 1936/37 ihr Medizinstudium an der Universität Wien auf und war im Sommersemester 1938 an der Medizinischen Fakultät im 4. Studiensemester inskribiert.
Nach dem "Anschluss" 1938 wurde sie aus rassistischen Gründen als sogenannte "Mischling 2. Grades" im Studium behindert, konnte aber vorläufig – bei jederzeitigem Widerruf – ihr Studium als tschechoslowakische Staatsbürgerin noch fortsetzen. Die Inskriptionen erfolgten aber ab dem Wintersemester 1938/39 nur noch "unter Vorbehalt des Widerrufs".
Sie konnte am 26. April 1941 auch noch das Studium abschließen und wurde zur "Dr. med. univ." promoviert (ohne dem "Sperrvermerk" für "Mischlinge", der mit einem Berufsverbot verbunden gewesen wäre). Sie konnte zunächst kurz offiziell als Assistentin an der I. Chirurgischen Klinik des Allgemeinen Krankenhauses arbeiten, unter der Leitung des Nationalsozialisten Prof. Leopold Schönbauer (1888-1963), schied aber bald aus dem Personalstand aus und wurde 1942 seine Privatassistentin. Sie recherchierte und verfasste zahlreiche, teils sehr umfangreichen medizinhistorische Studien, die aber alle unter dem Namen Schönbauers publiziert wurden. Sie heiratet Anfang 1942 den Mediziner Dr. Hans Jantsch (1918-1994), später Univ.-Prof. und Leiter der Klinik für Physikalische Medizin, und sie bekamen 1943, 1946 und 1950 vier Kinder. Sie erzählte, dass ihre Großmutter väterlicherseits, Dr. Eugenie Jenny Ratzersdorfer (1859-1941), die mit ihnen nach Wien gekommen war, 1941 in Wien starb, kurz vor ihrer geplanten Deportation. Ihr Vater starb 1944 in Wien.
1945 endete die rassistische Bedrohung. Ihr Protektor Prof. Leopold Schönbauer wurde, obwohl Nationalsozialist, 1945 nicht entlassen, sondern vielmehr zusätzlich zum Ordinariat und Leitung der Klinik auch noch Direktor des gesamten Allgemeinen Krankenhauses Wien und Vorstand des Instituts für Geschichte der Medizin, das in seinem Namen ab 1945 von Marlene Jantsch betreut, informell geleitet und wieder aufgebaut wurde. Sie publizierte weiter, erst als Co-Autorin aber zunehmend erschienen ihre Arbeiten ab 1948 auch unter ihrem eigenen Namen. Sie arbeitete daneben weiterhin auch als Internistin an der Ersten Chirurgischen Klinik von Schönbauer. 1957 konnte sie sich für das Fach "Geschichte der Medizin" an der Medizinischen Fakultät habilitieren und war ab 1958 auch Fachärztin für innere Medizin. Am selben Tag wie sie wurde in Wien auch Dr. Erna Lesky für Geschichte der Medizin habilitiert, ihre direkte Konkurrentin, ehemalige Nationalsozialistin, gut vernetzte Historikerin und Medizinerin, die binnen fünf Jahren die Institutsleitung übernahm womit Marlene Jantsch ab 1963 dort nicht mehr arbeiten konnte und als Konsilarärztin an die gynäkologische und urologische Abteilung ins Krankenhaus Lainz wechselte und später als Internistin an die neue Universitätsklinik für Urologie wieder an das Allgemeine Krankenhaus. Daneben betrieb sie in den letzten Jahren auch noch eine eigene Arztpraxis.
Sie starb am 17. Juli 1994 in Wien und ist am Neustifter Friedhof in Wien begraben.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1937-1941; Promotionsprotokoll MED XII (1929-1941), Nr. 5675; Interview mit Marlene Jantsch 1991; Michael HUBENSTORF, Kontinuität und Bruch in der Medizingeschichte. Medizin in Österreich 1938–1955, in: Friedrich Stadler (Hg.), Kontinuität und Bruch. 1938 – 1945 – 1955, Münster 1988/2004, 299–332; Sonia HORN, in: KEINTZEL/KOROTIN 2002, 333f.; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 454; Felicitas SEEBACHER, Erna Lesky, general and diplomat. Networking as a powertool for the history of medicine, in: The Circulation of Science and Technology. Proceedings of the 4th International Conference of the European Society for the History of Science, Barcelona, 18-20 November 2010, 2010, 208–216; Ilse KOROTIN, in: dies. Hg., BiografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Bd. 2: I-O, Wien, Köln u. Weimar 2016, 1477f.; Wikipedia; VanSwietenBlog MUW.
Herbert Posch