Geb. am: | 17. Mai 1889 |
Fakultät: | Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien |
Kategorie: | Doktorgradaberkennung |
Siegfried BERL, geb. am 17. Mai 1889 in Wiener Neustadt/Niederösterreich als Sohn von Bernhard Berl und Auguste Berl, geb. Deutsch. Er hatte an der Universität Wien Medizin studiert und am 23. Januar 1914 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien den Grad eines Dr. med. erworben und arbeitete als praktischer Arzt in Wien 11., Simmeringer Hauptstraße 113 und war ab 1924 Sprengelarzt der Arbeiter-Versicherungskassa Wien.
Nach dem "Anschluss" wurde er aus rassistischen Gründen als Jude verfolgt, konnte nicht mehr weiter als Arzt arbeiten. Am 10. November 1938 wurde er im Zuge der Reichspogromnacht verhaftet, interniert und für 4 Monate in das Konzentrationslager Dachau deportiert, wo er erst am 4. Februar 1939 wieder entlassen wurde gegen Zusage umgehender Ausreise. Er wurde aus Wohnung und Praxis vertrieben, umgesiedelt in jüdische Sammelwohnungen in Wien 3., Dampfschiffgasse 3, später in Wien 1., Maria-Theresien-Straße 10 und Wien 1., Schottenring 9/9, aller Besitz wurde enteignet und es gelang ihm erst am 24. Oktober 1939 auszureisen, offiziell mit Reiseziel Bolivien, real reiste er illegal in das Britische Mandatsgebiet Palästina [Israel] aus, wo am 12. Februar 1940 eintraf und für zwei Jahre im Lager Athlit interniert wurde und auch nach der Entlassung 1942 konnte er aufgrund der illegalen Einreise auch nicht als Arzt arbeiten. Nach Tätigkeiten in einem Kaffeehaus und als Hilfspolizist konnte er ab Mitte 1944 endlich wieder als Vertragsarzt bei der Krankenkasse sowie als niedergelassener praktischer Arzt arbeiten.
Das Deutsche Reichsinnenministerium Berlin (RIM) eröffnete im August 1941 ein Ausbürgerungsverfahren gegen Siegfried Berl, womit ihm die Deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, sein Vermögen beschlagnahmt und er staatenlos gemacht werden sollte. Im Zuge dieses Verfahrens forderte das RIM über das Reichserziehungsministerium Berlin das Rektorat der Universität Wien am 4. September 1941 auf, Berl als weitere Rechtsfolge auch den 27 Jahre zuvor erworbenen akademischen Grad zu entziehen.
Die Ausbürgerung wurde am 16. Oktober 1941 beschlossen und trat mit der Verlautbarung im Deutschen Reichsanzeiger vom 18. Oktober 1941 in Kraft.
An der Universität Wien wurde ihm daraufhin am 14. Juli 1942 aus rassistischen Gründen der Doktorgrad aberkannt, da er im Nationalsozialismus "als Jude als eines akademischen Grades einer deutschen Hochschule unwürdig" galt.
Erst 13 Jahre nach der Aberkennung und lange nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde ihm der Doktorgrad am 15. Mai 1955 wieder zuerkannt, bzw. die Aberkennung für "von Anfang an nichtig" erklärt, allerdings ohne ihn davon zu informieren.
Er lwar seit Jänner 1945 israelischer Staatsbürger und lebte weiter in Moriahstreet 69, Mt. Carmel, Haifa/Israel, und war ab 1956 auch wieder österreichischer Staatsbürger, kehrte auch kurzfristig nach Wien zurück und beantragte aufgrund seiner ökonomischen Notlage und seiner gesundheitlichen Einschränkungen (zu 80% erwerbsunfähig) Mitte der 1950er Jahre auch eine Entschädigung bzw. Unterstützung durch Österreich.
Er hatte 1955 in Wien Rosa Schönfeld geheiratet (geb. 1902 in Wien).
Da seine Unterstützungsansprüche in Wien nur in einem sehr geringen Ausmaß anerkannt wurden, übersiedelte er nach kurzem Aufenthalt in Wien 1958 nach Grado in Italien, wo ihn Freunde materiell unterstützen konnten und schließlich nach Wien, womit er aber endgültig alle Unterstützungen verlor, die ihm nur im Ausland zugestanden worden waren.
Siegfried Berl lebte zuletzt mit seiner Frau Rosa in Wien 3., Stanislausgasse 16/I/8, starb am 31. Jänner 1961 in Wien und ist am Zentralfriedhof, Neue Jüdische Abteilung, bestattet.
Lit.: Archiv der Universität Wien/Promotionsprotokoll MED 1912–1919 Nr. 481, Rektorat GZ 118 ex 1941/42 ONr. 106, GZ 561 ex 1944/45 ONr. 15; Österreichisches Staatsarchiv OeStA/ AdR/ E-uReang/ VVSt/ VA/ 29672, OeStA/ AdR/ E-uReang/ Hilfsfonds/ Abgeltungsfonds 4864, OeStA/ AdR/ E-uReang/ FLD 4646; Wiener Stadt- und Landesarchiv WStLA/ 1.3.2.119.A41 I-810, Bezirk: 4, WStLA/ 1.3.2.119.A41 83; 190; E-63, Bezirk: 11; United States Holocaust Memorial Museum, RG-68.067M: Illegal immigration to Palestine (RG 17); Deutscher Reichsanzeiger Nr. 244 vom 18. Oktober 1941; POSCH 2009, 393; REITER-ZATLOUKAL/SAUER 2022; www.genteam.at; www.ancestry.de; freundlicher Hinweis Dr.in Barbara Sauer, Wien 07/2022.
Herbert Posch