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Lothar Ellbogen (Elbogen)

Geb. am: 19. Juni 1900
Fakultät: Juridische Fakultät
Kategorie: Doktorgradaberkennung
Lothar ELLBOGEN (ELBOGEN), geb. am 19. Juni 1900 in der Hinterbrühl in Mödling/Niederösterreich als Sohn von Eduard Elbogen (1857-1931) und Jenny Melanie Elbogen, geb. Kadelburg (1864-1942), gest. am 12. Oktober 1941 im Lager Zasavica/Jugoslawien [Засавица/Serbien], hatte am 11. Dezember 1924 an der Juridischen Fakultät der Universität Wien den Grad eines Dr. iur. erworben.
Nach seinem Studium war Elbogen als Industrieller tätig, er besaß mehrere Bergwerke und handelte weltweit mit Talkum. Er wohnte in Wien 3, Neulinggasse. Nach dem "Anschluss" 1938 wurde Lothar Elbogen als Jude verfolgt. Am 20. Dezember 1938 wurde ihm der Doktorgrad formal aus strafrechtlichen Gründen aberkannt, da er die rassistische Enteignung seines Besitzes nicht ohne Gegenwehr hinnehmen wollte. Er war nach § 81 StG wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit gegen Amtspersonen angeklagt worden und wurde mit rechtskräftigem Urteil vom Landesgericht für Strafsachen Wien (6 c Vr 4256/38 Hv 57 E/38) am 1. September 1938 zu 3 Monaten schweren verschärften Kerkers verurteilt, worauf die Doktorgradaberkennung an der Universität Wien eingeleitet wurde. Der Versuch das Doktordiplom über die Polizei in seiner Wohnung sicherzustellen scheiterte, da seine Mutter Melanie Elbogen in der Wohnung angeblich nicht über die Schlüssel zum entsprechenden Kasten verfüge und Lothar Elbogen in Haft sei. Er wird daraufhin im Polizeigefangenenhaus Wien 9., Rossauerlände, wo er "zur Verfügung des Devisenfahndungsamte, Zweigstelle Wien zu Nr. E 1376/38-Hf" gefangen gehalten wird, befragt  bzw. zur Ablieferung des Diploms aufgefordert. Das Gefangenenhaus meldet zurück, das das Diplom trotz "Befragung" nicht feststellbar sei, "es wahrscheinlich von der Braut des Elbogen, die bereits ausgewandert ist, mit in das Ausland genommen wurde.".
Hintergrund der Verhaftung und Verurteilung war sein - erfolgloser - Versuch, seine florierende Firma noch zu einem angemessenen Preis zu verkaufen, woran er als Jude von der NS-Bürokratie behindert wurde, die das Unternehmen stattdessen "arisierte": Als Kaufinteressent trat u.a. der Welfenherzog Ernst August von Braunschweig und Lüneburg auf, der in Österreich über Verbindungen zu NSDAP-Mitgliedern verfügte, die bei der "Arisierung" als Mittelsmänner auftraten. Lothar Elbogen wurde festgenommen und in Untersuchungshaft gehalten, während der er körperlich misshandelt und massiv unter Druck gesetzt bzw. erpresst wurde, seinen Betrieb weit unter Wert zu verkaufen. Erst nach einem Jahr in Untersuchungshaft gab Elbogen schließlich den Drohungen nach und unterschrieb unter Zwang den Arisierungsvertrag. Der neue Eigentümer Herzog von Braunschweig-Lüneburg bezahlte dafür letztendlich nur die Hälfte des Verkehrswertes. Entlassen wurde Elbogen jedoch erst, als ihm auch seine Auslandsguthaben abgepresst worden waren. Durch den verlustreichen Verkauf mittellos geworden, konnte Lothar Elbogen nach seiner Freilassung die vom NS-Regime geforderte "Vermögensabgabe" für Juden und Jüdinnen nicht bezahlen und erhielt daher keinen Reisepass.
Dennoch gelang ihm zunächst die Flucht nach Jugoslawien worauf hin ihm vom Deutschen Reich die Staatszugehörigkeit entzogen wurde - seine Ausbürgerung wurde im Preussischen Staatsanzeiger Nr. 244 vom 18. Oktober 1941 verlautbart. 
Nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Jugoslawien wurde Elbogen erneut festgenommen und wenig später, am 12. Oktober 1941, im Lager Zasavica|Засавица bei Sabac/Jugoslawien [Šabac|Шабац/Serbia] ermordet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die "Arisierung" des Unternehmens gerichtlich untersucht. Aufgrund mehrerer ZeugInnenaussagen, erhaltenen Briefen Lothar Elbogen, in denen er betonte, dem nur zwangsweise zugestimmt zu haben, sowie weiterer Untersuchungen stellte das Gericht 1950 fest, dass der Betrieb unter Zwang nur um Hälfte des Wertes verkauft wurde. Ernst August von Braunschweig-Lüneburg wurde zu Entschädigungen verpflichtet, den Erben mehr als die Hälfte des Unternehmens zu überlassen und sie rückwirkend an den Unternehmensgewinnen zu beteiligen. Erst 17 Jahre nach der Aberkennung und lange nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde von der Universität Wien festgestellt, dass Lothar Elbogen "vermutlich wiederverleihungswürdig [sei], doch müßte ein besonderer Antrag gestellt werden" (sein Tod 1941 war damals nicht bekannt) und der Doktorgrad im Mai 1955 vorerst nicht wiederverliehen. Dann wurde aber in der Senatssitzung vom 30. Juni 1955 doch die Wiederverleihung beschlossen und der Doktorgrad am 4. Juli 1955 (posthum) wieder zuerkannt, bzw. die Aberkennung für 'von Anfang an nichtig' erklärt.


Lit.: Archiv der Universität Wien Rektorat GZ 202 ex 1938/39 (=S 127.1), GZ 561 ex 1944/45, IUR Promotionsprotokoll (1924-1939) Nr. 109; POSCH 2009, 406; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW): Datenbank Shoah-Opfer; Michael WECH/Thomas SCHUHBAUER, "Adel ohne Skrupel. Die dunklen Geschäfte der Welfen", TV-Dokumentation, ARD/NDR 2014; vgl. dazu auch: Kurt SAGATZ, Profiteure von Arisierung und Weltkrieg? ARD-Dokumentation wirft Welfen dunkle Geschäfte vor, in: Der Tagesspiegel, 18.08.2014; Gustav SEIBT, Doku "Adel ohne Skrupel" im Ersten. Wie die Welfen von der Arisierung profitierten, in: Süddeutsche Zeitung 18.08.2014; freundlicher Hinweis von Manfred Lüdtke, 07/2015.


Katharina Kniefacz, Herbert Posch


Promotionsprotokoll IUS 1924-1939, Anmerkungen, Aberkennung und Wiederverleihung Doktorat Lothar Ellbogen © Archiv der Universität Wien

Wiederverleihung Doktorat Lothar Ellbogen, 1955 © Archiv der Universität Wien

Wiederverleihung Doktorat Lothar Ellbogen, 1955 © Archiv der Universität Wien

Wiederverleihung Doktorat Lothar Ellbogen, 1955 © Archiv der Universität Wien
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