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Hedwig Silvia (Vicky) Abranowicz (verh. Leibetseder, Abrams)

Geb. am: 31. März 1900
Fakultät: Philosophische Fakultät
Kategorie: Doktorgradaberkennung

Hedwig Silvia ABRANOWICZ (verh. LEIBETSEDER, später: Vicky ABRAMS), geb. am 31. März 1900 in Wien als Tochter von Hermann Abranowicz (1856–1927) und Marie (Chaje) Abranowicz, geb. Glanz (1867–1945), hatte im Sommer 1919 am Mädchenrealgymnasium Wien 8., Albertgasse 38 die Reifeprüfung ("Matura") erfolgreich abgelegt und anschließend begonnen, ab Wintersemester 1919/20 an der Universität Wien Anglistik und Germanistik zu studieren und erwarb am 22. Juli 1925 an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien den Grad einer Dr. phil. in Germanistik (Dissertation: "John Drinkwaters biografisch-historische Dramen", Betreuer: Prof. Luick und Prof. Brecht).

Am 26. Oktober 1938 wurde ihr der akademische Grad aus sogenannten politischen Gründen aberkannt.

Sie war nach ihrer Promotion ins Deutsche Reich, nach Berlin, übersiedelt, wo sie als Journalistin bzw. 1927–1933 als Verlagslektorin der Zeitschrift Das Magazin arbeitete. Am 7. April 1930 heiratete sie in Berlin-Charlottenburg den Wiener Damenschneider Walter Franz Leibetseder (1901–1983), der in Berlin 1925 die Marxistische Arbeiterschule besucht hatte und ab 1928/29 in einer Berliner Pelzschneiderei arbeitete. Er engagierte sich politisch in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) auch nach deren Verbot durch den Nationalsozialismus 1933. Er wurde 1936 festgenommen und zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Sie selbst war ab 1930/31 in der sozialistischen Widerstandsgruppe um Walter Loewenheim politisch aktiv, die ab 1933 unter dem Namen „Neu Beginnen“ im Untergrund neue Mitglieder rekrutierte. Im Frühjahr 1936 wurde Hedwig Leibetseder wegen ihrer Widerstandstätigkeit verhaftet und versuchte sich der Befragung unter Folter durch einen Selbstmordversuch zu entziehen, indem sie aus dem 4. Stock sprang. Sie überlebte jedoch ohne schwerwiegende bleibende Schäden.

Hedwig Leibetseder wurde am 9. Jänner 1937 vom Kammeramtsgericht Berlin wegen "hochverräterischen Unternehmungen" zu 2 Jahren, 3 Monaten Zuchthaus verurteilt sowie zur Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von drei Jahren. Ihre Strafe verbüßte sie großteils im Frauenzuchthaus Jauer.

Am 24. September 1938 informierte der Generalstaatsanwalt am Kammergericht Berlin den Rektor der Universität Wien über Verurteilung, Aberkennung der Ehrenrechte und die Verbüßung der Haft per 26. Juli 1938 und die anschließende Überstellung in das Frauen-Konzentrationslager Lichtenburg. Daraufhin wurde ohne weiteres Verfahren am 26. Oktober 1938 die Aberkennung des Doktorgrades im Promotionsprotokoll vermerkt und ein Amtsvermerk zur Frage des Verlustes des Doktorgrades wegen Verurteilung wegen Verbrechens nach altreichsdeutschem Strafrecht angelegt:

"Ist im Strafurteil ein Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, egal wie lang, ausgesprochen, verliert man analog zu § 26 StG den Doktorgrad. Die reichsdeutschen Gerichte sind verpflichtet, von jeder Strafsache eines Akademikers die Hochschule zu verständigen, an der die betreffende den Doktorgrad erlangt hat."

Am 22. November 1938 lässt das Rektorat der Universität Wien Hedwig Leibetseder durch die Lagerleitung im KZ Lichtenburg befragen, wo sich ihr Doktordiplom befinde, worauf die KZ-Leitung am 7. Dezember 1938 rückmeldet: "Schutzgefangene Leibetseder" könne sich nicht erinnern, ob es bei ihrem Mann in Berlin oder ihrer Mutter in Wien sei. Das Rektorat fordert daraufhin am 30. Dezember 1938 die Polizei auf, in Wien 3., Neulinggasse 13/12 "in der Wohnung der Frau Maria Abranowitz nach dem Verbleib des Doktordiploms der Tochter [...] und eventuell vorhandener Kopien Nachforschungen anzustellen, [...] Es wolle das Doktordiplom zur Verhütung von Mißbrauch sichergestellt und anher übersendet werden." Am 22. Jänner 1939 teilt die Polizei dem Rektorat mit, dass das Diplom nicht gefunden werden konnte und die Mutter angab, ihre Tochter habe es vor der Verhaftung vor 2 Jahren, mit anderen Personaldokumenten nach England geschickt, wo sie sich damals um eine Stelle als Lehrerin beworben habe.

Nach Intervention ihrer Schwester und nach Scheidung von ihrem Mann (Urteil des Landesgerichtes Berlin vom am 1. April 1939 – ihr Mann war damals im Konzentrationslager Buchenwald interniert) wurde sie nach Wien entlassen am 13. März 1939.

Aus Wien musste sie fliehen, da sie nicht nur aus politischen Gründen, sondern als Jüdin auch aus rassistisch Gründen verfolgt wurde und konnte noch rechtzeitig nach England emigrieren, wo sie bei der Volkszählung im September 1939 mit ihrer Mutter bei ihrer Schwester Stella Margit Hrubesch, geb. Abranowicz (1904–1993) in Essex in Southend-on-Sea lebte, die schon 1934 nach England ausgewandert war.

Ihre Schwester Rosalie Cyprienne Ehrlich, geb. Abranowicz (1896–1985) konnte mit ihrer Familie in die USA emigrieren. Sie war Angestellte der Krankenkasse für Handel, Industrie und öffentlichen Dienst gewesen, aber Anfang Februar 1939 entlassen worden. Sie war verheiratet mit Dr. Otto Ehrlich (1892-–979), und sie lebten in Wien 3, Hegergasse 8, wo ihr Mann ein Büro für Reklamesachen betrieb.

Hedwig Leibetseders Mann Walter war nach seiner Haftentlassung in Berlin im April 1938 nach Wien zurückgekehrt wo er im väterlichen Betrieb arbeitete. Er war aber bei Kriegsausbruch 1939 erneut verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert worden. Nachdem er von dort 1940 entlassen wurde, baute er in Wien eine kleine Widerstandsgruppe auf, die Sabotage leistete. Nach 1945 engagierte er sich in der neu gegründeten SPÖ und wurde 1945 bis 1958 Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Gemeinderates und Bezirksparteiobmann der SPÖ Neubau 1945–1947 und 1949–1956.

Nach dem Ende des Nationalsozialismus meldete sich Hedwig Leibetseder 1947 aus England bei der Universität Wien, wie sie ihr Doktorat wieder erlangen könne. Da ihr geschiedener Mann damals Gemeinderat war, wurde das ersuchen rasch behandelt. In einem Amtsvermerk hielt die Universität Wien fest, was sie tun müsse, um ihr aberkanntes Doktorat wieder zu erlangen:

"Die Eintragung war, unabhängig davon, dass sie jederzeit auf Antrag von Frau Leibetseder gestrichen werden könnte, auf jeden Fall ungesetzlich", da Österreich bei Urteilsverkündung (09.01.1937) ein souveräner Staat war und "gem. § 36,1.3 ausländische Urteile in keinem Fall zu vollziehen waren". Die Eintragung wurde zwar erst nach dem Anschluss eingetragen (26.10.1938) aber im Überleitungsgesetz, GBlf.Ld.Ö Nr. 262/38 [Kundmachung des Reichsstatthalter in Österreich, wodurch allgemeine Bestimmungen für die Anwendung von Strafvorschriften des Deutschen Reiches  im Land Österreich vom 08.07.1938] "ausdrücklich angeordnet wurde, dass Vorschriften, wonach auf Verlust von bürgerlichen Ehrenrechten zu erkennen ist, oder erkannt werden kann, im Lande Österreich bis auf weiteres keine Anwendung zu finden haben."

Es war daher dem Akademischen Senat möglich, auf einfachem Weg durch einen Aufhebungsbeschluss die Anmerkung der Aberkennung des Doktorgrades gem. § 26 StG rückgängig zu machen.

Somit wurde ihr 9 Jahre nach der Aberkennung und nach dem Ende des Nationalsozialismus der Doktorgrad am 2. Juli 1947 wieder zuerkannt, bzw. die Aberkennung für 'von Anfang an nichtig' erklärt.

Sie kehrte nie mehr nach Österreich zurück, wurde im August 1948 britische Staatsbürgerin und änderte 1949 ihren Namen in Vicky Abrams und lebte in 40 Primerose Garden, London NW3 in England.

Dr. Vicky Abrams, geb. Hedwig Silvia Abranowicz, gesch. Leibetseder, starb am 7. November 1989 in London/England.


Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale PHIL 1921-1925, Rigorosenakt und -protokoll PHIL 7070, Promotionsprotokoll PHIL 1922-1931 Nr. 758, Rektorat GZ 1299 ex 1937/38; DÖW 6813; The Wiener Holocaust Library/Vicky Abrams personal papers 1031; POSCH 2009, 385; wikipedia; www.DasRoteWien.at; Amtsblatt der Stadt Wien 12.11.1949, 3; freundliche Hinweise von Oskar Zürnsack, Wien 06/2023.


Herbert Posch


Hedwig Sylvia Abramowicz, verh. Leibetseder, um 1930

Hedwig Silvia Abranowicz, Nationale Philosophische Fakultät, Wintersemester 1919/20, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien

Hedwig Silvia Abranowicz, Nationale Philosophische Fakultät, Sommersemester 1924, Vorderseite, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien

Hedwig Silvia Abranowicz, Nationale Philosophische Fakultät, Sommersemester 1924, Rückseite, (Foto: Herbert Posch), © Archiv der Universität Wien

Hedwig Silvia Abranowicz, PHIL Rigorosenprotokoll, Nr. 7070 © Archiv der Universität Wien

Hedwig Silvia Abranowicz, PHIL Promotionsprotokoll 1922-1931, Nr. 758 © Archiv der Universität Wien
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