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Hermine Allgayer

Geb. am: 20. Dezember 1917
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene Studierende

Hermine ALLGAYER, geb. 20. Dezember 1917 in Wien (zuständig nach Wien/Österreich, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich) als Tochter von Dr. Raoul Allgayer (1879–1954, Jurist, Sektionschef in der Generaldirektion für öffentl. Sicherheit) und Hermine, geb. Ressel (1891–1917, starb bei ihrer Geburt). Hermine Allgayer maturierte am Mädchenrealgymnasium des Schulvereins für Beamtentöchter in Wien 8., Langegasse 47 am 15. Juni 1937.
Sie begann daraufhin im Wintersemester 1937/38 an der Tierärztlichen Hochschule ein Veterinärmedizinisches Studium.

Sie galt im Nationalsozialismus als "Mischling 2. Grades" und konnte ihr Studium – bei jederzeitigem Widerruf – vorläufig bedingt fortsetzen. Im Wintersemester 1939/40 wurde sie aber aus rassistischen Gründen an der Tierärztlichen Hochschule nicht mehr zu Prüfungen und zur weiteren Inskription zugelassen.

Sie inskribierte daraufhin sofort an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien ein Medizinstudium, da dies nach den damaligen Regelungen noch möglich war. Es wurden ihr auch 2 Semester und einige Prüfungen angerechnet. Wie alle "Mischlinge" ab dem 1. Trimester 1940 stellte sie ein Gesuch an das Reichserziehungsministerium Berlin um Studienzulassung (2. April 1940, sie wohnte damals in Wien 8., Wickenburggasse 10). Gemäß Vorschrift legte der Dekan der zuständigen Medizinischen Fakultät, Eduard Pernkopf, dem Antrag ein mit 27. April 1940 datiertes Gutachten, das "insbesondere auf den persönlichen Eindruck über die Persönlichkeit und das Aussehen des Gesuchstellers einzugehen [hatte]. Dabei ist zu erwähnen, ob und inwieweit Merkmale der jüdischen Rasse beim Gesuchsteller äußerlich erkennbar sind." [Erlass des Reicherziehungsministeriums, 5. Jänner 1940]. Er stellte fest: "Allgayer Hermine, Mischling II. Grades. Kaum etwas Jüdisches zu entdecken."

Das Reichserziehungsministerium leitete den Antrag ans Reichsinnenministerium - zuständig für ÄrztInnen - weiter, und am 19. Juni 1940 wird Hermine Allgayer über das Rektorat informiert, dass sie zum weiteren Studium zugelassen wird. Sie wird aber nicht mehr zur ärztlichen Prüfung nach alter österreichischer Studienordnung zugelassen, sondern nach der neuen Reichsstudienordnung, die auch die Verfassung einer Dissertation vorschreibt. Das Ministerium erteilt die Zulassung aber nur "unter dem Vorbehalt, daß sie hierdurch einen Anspruch auf die Erteilung der Bestallung [Anm. HP: Berufszulassung] als Arzt nicht erwerben. Sie erhalten die Bestallung als Arzt, sofern die späteren kurz vor der Entscheidung über die Bestallung vorzunehmenden Feststellungen ergeben, daß gegen die politische und sittliche Zuverlässigkeit der Kandidaten und ihrer Familie keine Einwendungen zu erheben sind. Hiernach könne […] sie als Mischling 2. Grades, insoweit sie tatsächlich nur von einem jüdischen Großelternteil abstamme, ihre medizinische Ausbildung beenden."

Nach Absolvierung der vorgeschriebenen Lehrveranstaltungen (Abschlussprüfung am 15. Februar 1944 und Vorlage einer Dissertation mit dem Titel "Der atypische Myocardinfarkt", Betreuer: Prof. Eppinger, I. Med.Univ.-Klinik, und Nachweis, dass sie tatsachlich nur "Mischling 2. Grades" sei, konnte sie am 12. Juli 1944 im Rahmen eines Einzeltermins promovieren und den akademischen Grad einer "Dr.med.univ." erwerben. Die fehlende Unterschrift im Promotionsprotokoll verweist darauf, dass keine Promotion im eigentlichen Sinne mit persönlicher Anwesenheit durchgeführt wurde, aber zumindest ein Diplom in deutscher Sprache ausgestellt wurde. Ihr Gelöbnis, sich "stets der Würde eines Doktors der Medizin einer deutschen Universität würdig zu erweisen" unterzeichnete sie erst ein halbes Monat später. Ein Berufsverbot, wie bei vielen anderen "Mischlingen" die noch promovieren können, ist bei ihr nicht im Promotionsprotokoll vermerkt. Vielmehr würde ihr per 12. Juli 1944 die "Bestallung" (Berufsberechtigung) als Ärztin erteilt wobei sie bereits am 18. April 1944, noch vor ihrer Promotion, "notdienstverpflichtet" worden war: Ohne Gehalt und anfangs auch noch ohne Promotion musste sie ein Jahr lang an unterschiedlichste Orten im Deutschen Reich, teilweise nah der Front, als Ärztin bzw. "Pflichtassistentin" arbeiten (z.B. in Dessau, Barby/Elbe, Calbe/Saale und Genthin).

Unmittelbar nach Kriegsende arbeitete sie in einem amerikanischen Krankenhaus in Uchtspringe bei Gardelegen, reiste dann durchs kriegszerstörte Mitteleuropa nach Graz, wo sie aber nicht als Ärztin arbeiten durfte und kam nach Wien zurück und arbeitete anfangs als Turnusärztin mit einem kleinen Stipendium an der I. Internen Universitätsklinik (Leitung: Prof. Lauda).

Sie lebte und arbeitete als Ärztin in Wien nachdem sie am 1. November 1948 die Niederlassung als Allgemeinmedizinerin erhalten hatte und arbeitete nebenamtlich auch als Schulärztin und in der Mütterberatung.

Dr. Hermine Allgayer starb nur 35jährig am 26. Jänner 1952 in Wien durch Suizid und ist am Friedhof Hadersdorf-Weidlingau bestattet.


Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1939–1944, MED GZ 1115 ex 1939/40, Rektorat GZ 944 ex 1939/40/41, MED S 51.1 ONr. 16, MED Promotionsprotokoll M 33.14, Nr. 870; Historisches Archiv der Veterinärmedizinischen Universität in Wien/Fotoalbum Tierärztliche Hochschule in Wien, Matr. Nr. 4541–5140, Band 9; Verstorbenensuche Friedhöfe Wien; Lisa RETTL, Jüdische Studierende und Absolventen der Wiener Tierärztlichen Hochschule 1930–1947: Wege – Spuren – Schicksale, Göttingen 2018, 121–153, 181f.; REITER-ZATLOUKAL/SAUER 2024.


Herbert Posch


Hermine Allgayer, Promotion 12. Juli 1944, Promotionsprotokoll Medizinische Fakultät 1941-1949, Nr. 870, © Archiv der Universität Wien

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