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Herbert Günzburg

Geb. am: 17. August 1914
Fakultät: Philosophische Fakultät
Kategorie: Vertriebene Studierende
Herbert Karl GÜNZBURG, geb. am 17. August 1914 in Wiener Neustadt, Niederösterreich/Österreich-Ungarn (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Sohn von Dr. Adolf Günzburg (Mittelschulprofessor), wohnte in Wien 7., Mariahilfer Straße 8/38. Er hatte am 21. Juni 1934 das Reifezeugnis (Matura) am Bundesrealgymnasium Wien 14 abgelegt und begann im Wintersemester 1934/35 an der Universität Wien zu studieren mit einem Schwerpunkt in Germanistik. Er war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Philosophischen Fakultät im 8. und letzten Studiensemester inskribiert und belegte Vorlesungen in Geschichte, Germanistik und Anglistik. Er war neben seinem Studium seit Februar 1934 beim Verein der Wiener Arbeiterbüchereien tätig und leitete seit 1935 die Arbeiterbücherei Nr. 18 in Wien 11., Geiselbergstrasse, wo er aber im Zuge der Kommunalisierung 1936 entlassen wurde, u. a. weil ihm vorgeworfen wurde, 13 Bücher, die von der austrofaschistischen Bücherzensur für Leser*innen gesperrt waren, trotzdem ausgegeben zu haben. Daneben arbeitete er aber auch je mehrere Monate in den Arbeiterbüchereien der Wiener Bezirke Margareten, Landstraße, Hernals und Floridsdorf (Strebersdorf) um empirische Studien in Vorbereitung seiner Dissertation durchzuführen. Er hatte sich am 10. November 1937 zu den Abschlussprüfungen (Rigorosen) angemeldet und das erste Rigorosum am 18. Dezember 1937 bereits mit Erfolg bestanden. Nach dem "Anschluss" bricht das begonnene Prüfungsverfahren ab, obwohl er bereits seine Dissertation "Die literarische Arbeit der Wiener Volksbüchereien mit besonderer Bezugnahme auf den Wiener Arbeiterleser" unter Betreuung von Prof. Josef Nadler (1884–1963) abgeschlossen hatte. Er wurde nach dem "Anschluss" gezwungen, das fast fertige Studium und das Prüfungsverfahren abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen. In einer einleitenden Bemerkung zu seiner Dissertation vom November 1947 hält er fest:
"Die Ereignisse des Jahres 1938 zwangen mich, Österreich zu verlassen. Ich nahm das vollendete Manuskript der Dissertation und einen kleinen Teil der Reinschrift mit mir. Die Reinschrift wurde in England vollendet, wobei einzelne kleine Unterlassungen und Ungenauigkeiten im Manuskripte leider nicht mehr gutgemacht werden konnten, da mir natürlich die Originale nicht zur Verfügung standen. […] Die folgenden Jahre der Unsicherheit und fortwährenden Wohnortverlegung haben nicht nur eine befriedigende Redigierung der Arbeit verhindert, sondern auch arg die äussere Form des Manuskriptes beeinträchtigt."
Er konnte nach England/Großbritannien emigrieren, wo er noch 1938 in Pancras, Middlesex, Anna Woitsch heiratete. Von Juni 1940 bis März 1941 war er als enemy alien interniert worden. Später wurde er Tutorial Assistant am German Department der School of Modern Languages der Cardiff University in Wales und konnte auch seine Germanistik Studien fortsetzen und 1945 an der University of London den akademischen Grad B. A. in Germanistik erwerben. Er ersuchte aus Birmingham im Oktober 1947 die Universität Wien, seinen englischen B. A.-Grad als österreichischen Dr. phil. zu nostrifizieren und dafür seine 1938 fertiggestellte Dissertation anzuerkennen, zu der er zwei englischsprachige Gutachten aus 1940 vorlegte, eines von Prof. John Duncan Cowley (1897–1944), Direktor der School of Librarianship des University College London sowie eines von Douglas Waples (1893–1978), Professor of researches in reading an der Graduate Library School der University of Chicago, IL/USA. Letzterer war von der Dissertation so angetan, dass er damals für eine englische Übersetzung des Manuskriptes sorgte, um das Buch im Verlag University of Chicago Press herauszubringen. Der Druck wurde aber durch den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg 1941 kurzfristig verunmöglicht. Herbert Günzburg führte bei seinem Ansuchen 1947 an:
"Ich möchte sehr gerne nach Österreich zurückkehren, aber die Tatsache eines unabgeschlossenen akademischen Studienganges ist ein großes Hindernis. Ich hoffe sehr, dass die Universität Wien berücksichtigen wird, dass meine Studien ohne mein Verschulden zu einem vorzeitigen Ende gekommen sind, dass ich in England einen akademischen Grad erworben habe, dass es mir nur sehr schwer möglich ist wieder genau dort fortzusetzen, wo ich im Jahre 1938 abbrechen musste. Für jede Erleichterung würde ich sehr dankbar sein, da sie es mir ermöglichen würde den österreichischen Universitätsgrad bald zu erwerben und mir damit die Rückkehr nach Österreich zu erleichtern."
Der damalige Dekan der Philosophischen Fakultät, der Orientalist Herbert Duda (1900–1975), unterstützte das Ansuchen ebenso wie der für solche Fragen entscheidende Pädagogikprofessor und Universitätspolitiker Richard Meister (1881–1964). So wurde die englische B. A.-Prüfung als Ersatz für das germanistische Hauptrigorosum anerkannt, das Nebenrigorosum "wird ihm als rassisch Geschädigten ausnahmsweise erlassen" und nach Zahlung der Promotionsgebühren wurde ihm die Möglichkeit der "promotio in absentia" eingeräumt, also ermöglicht, dass er nicht persönlich nach Wien reisen musste, um den Doktorgrad zu erhalten – bei der Promotionszeremonie durfte ein Stellvertreter, der aber Dr. phil. der Universität Wien sein musste, den Promotionseid für ihn auf das Szepter der Fakultät schwören (in diesem Fall sein in Wien lebender Vater). Lediglich eine positive Begutachtung der Dissertation durch zwei Wiener Germanistikprofessoren wurde zur Auflage gemacht. Diese erfolgte im April 1948 durch Prof. Oskar Benda (1886–1954), selbst 1938 aus "politischen" Gründen verfolgt und erst nach dem Ende des Nationalsozialismus als Germanistik-Professor an die Universität Wien berufen. Allerdings kritisiert er, der Autor sähe "durch die Parteibrille und vermag den klassenkämpferisch eingestellten Marxisten nirgends zu leugnen. Nicht zu loben ist die Breitspurigkeit und das unerfreuliche Zeitungsdeutsch der Darstellung. Bei entsprechender Konzentration und Prägnanz des Ausdrucks hätte die Hälfte des Umfangs ausgereicht", kommt aber trotzdem zum Schluss, dass die Arbeit den gesetzlichen Anforderungen entspricht. Nachdem auch Prof. Eduard Castle (1875–1959) dieser Einschätzung zustimmte wurde die Arbeit approbiert und konnte Günzburg am 12. Mai 1948 – mit zehn Jahren Verspätung – "in absentia" zum Dr. phil. der Universität Wien promovieren. Eine Woche später bedankt er sich schriftlich bei Dekan Duda:
"Es erfüllt mich mit ausserordentlicher Genugtuung, daß ich nunmehr in der Fremde die heimatliche Doktorwürde erlangt habe und werde stets bemüht sein, so weit es in meinen Kräften steht auch im Auslande den hohen Ruf der Wiener Universität ehrenvoll zu vertreten, bis es mir wieder vergönnt ist, meine Arbeit in den Dienst meiner Vaterstadt zu stellen."
Eine Rückkehr nach Österreich erfolgte aber nicht. Er lebte und arbeitete weiter in England und auch sein Sohn Walter Henry (Molekularvirologe) wurde 1959 in Birmingham, Warwickshire, England geboren. Dr. Herbert Karl (Charles) Günzburg starb am 25. April 1994 in Stratford-upon-Avon/England.


Lit.: Archiv der Universität Wien / Nationale PHIL 1937–1938, Rigorosenakt und -protokoll PHIL 13879, Promotionsprotokoll PHIL VII (1941–1956) 910, PHIL GZ 171 ex 1947/48; Principal Probate Registries of the High Court of Justice in England (London); POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 398; Herbert Karl GÜNZBURG, Die literarische Arbeit der Wiener Volksbüchereien mit besonderer Bezugnahme auf den Wiener Arbeiterleser, ungedr. phil. Diss. Univ. Wien, Wien 1938/1947; Gisela KOLAR, Ein »Vorspiel«: Die Wiener Arbeiterbüchereien im Austrofaschismus, ungedr. phil. Dipl. Univ. Wien, Wien 2008, 123; www.ancestry.de.


Herbert Posch


Nationale von Herbert Günzburg, Wintersemester 1937/38 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Herbert Günzburg, Wintersemester 1937/38 (1. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Archiv der Universität Wien

Nationale von Herbert Günzburg, Sommersemester 1938 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Archiv der Universität Wien

Nationale von Herbert Günzburg, Sommersemester 1938 (1. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Archiv der Universität Wien

Dissertation von Herbert Günzburg (Deckblatt), 1947, © Universitätsbibliothek Wien

Dissertation von Herbert Günzburg (Deckblatt), 1947, © Universitätsbibliothek Wien

Rigorosenprotokoll Herbert Günzburg, 1937-1948, © Archiv der Universität Wien

Promotionsprotokoll PHIL 1948, Herbert Günzburg Nr 910, © Archiv der Universität Wien
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