Geb. am: | 28. Mai 1911 |
Fakultät: | Philosophische Fakultät |
Kategorie: | Vertriebene Studierende |
Gertrud FISCHER, geb. am 28. Mai 1911 in Wien/Österreich-Ungarn (heimatberechtigt in: Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), war die Tochter von Miksa/Max Fischer (Kaufmann) und Blanka Fischer, geb. Weiss (1885–1942); sie lebte mit ihrer Mutter in Wien 3., Erdbergstraße 10. Sie besuchte 7 Jahre das Mädchen-Reformrealgymnasium II (Wien 2., Hollandstraße 4), bereitete sich dann privat auf die Matura vor und legte ihre Reifeprüfung (Matura) 1933 am Bundesrealgymnasium XXI (Wien 21., Franklinstraße 21) ab. Sie begann im Wintersemester 1933/34 an der Universität Wien Geschichte, Französisch und Philosophie zu studieren und war zuletzt im Sommersemester 1937 an der Philosophischen Fakultät inskribiert. Sie arbeitete seit April 1936 an ihrer Dissertation. Gertrud Fischer hatte am 21. Juni 1937 das Absolutorium erhalten und befand sich 1938 bereits im Stadium der Abschlussprüfungen.
Sie hatte sich am 23. Juli 1937 zu den Abschlussprüfungen ("Rigorosen") in Geschichte in Verbindung mit Altertumskunde angemeldet und das einstündige Rigorosum am 29. Oktober 1937 beim Pädagogen Prof. Richard Meister (1881–1964) und dem Psychologen Prof. Karl Bühler (1879–1963) bestanden. Ihre Dissertation "Die Zeitungsannonce der Wiener Presse vor und nach dem Börsenkrach von 1873" war am 7. Oktober 1937 von den Gutachtern Prof. Wilhelm Bauer (1877–1953) und Prof. Hans Hirsch (1878–1940) approbiert worden.
Nach dem "Anschluss" 1938 wurde aus rassistischen Gründen das Prüfungsverfahren abgebrochen und sie war gezwungen, die Universität Wien zu verlassen, konnte aber nach längerer Unsicherheit, am 7. Juli 1938 auch noch erfolgreich zum abschließenden zweistündigen Rigorosum antreten und noch am 21. Juli 1938 unter zahlreichen symbolischen Diskriminierungen im Rahmen einer "Nichtarierpromotion" promovieren, bei gleichzeitig ausgesprochenem Berufsverbot im gesamten Deutschen Reich.
Sie musste aus Wien fliehen und konnte 1939 mit einem domestic-permit ("Dienstmädchenvisum") nach England/Großbritannien emigrieren wo sie 1939–1941 als domestic worker (Dienstmädchen) in Devonshire und in Sussex lebte und arbeitete, 1941–1950 als Fabriksarbeiterin und Verkäuferin in London. Mit Hilfe der International Refugee Organization IRO (Office London) konnte sie im Juni 1950 von Southampton, Hampshire, England auf der SS Washington in die USA emigrieren, wo sie am 17. Juni 1950 in New York City, NY/USA, ankam. Den Doktortitel führte sie nicht, als Berufsbezeichnung gab sie cafe worker an, als Kontaktperson in den USA den Bruder ihrer Mutter, Erwin Weiss (1892–1966) und dessen Frau Grete, geb. Goldhammer (1895–1983) in Baltimore, MD/USA.
Ihre Schwester Hedwig (geb. 1912) war verheiratet und lebte in Ankara/Türkei.
Ihre Mutter, Blanka Fischer, geb. Weiss, konnte nicht mehr rechtzeitig aus Österreich fliehen und war am 15. Oktober 1941 von Wien in das Ghetto Litzmannstadt|Łódź nach Polen deportiert worden, von dort am 10. Mai 1942 nach "unbekannt" und überlebte nicht.
Über das weitere Leben von Dr. Gertrud Fischer ist derzeit wenig bekannt.
An sie wird an der Universität Wien im "Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938" (2009) erinnert und auch auf dem "Denkmal für die im Nationalsozialismus vertriebenen Geschichte-Studierenden und -Lehrenden der Universität Wien | Wenn Namen leuchten" (2022).
Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale PHIL 1933–1937, Rigorosenakt und -protokoll PHIL 13708, Promotionsprotokoll PHIL VI (1931–1941) Nr. 2823; Archiv Bad Arolsen/3. Registrierungen & Akten von Displaced Persons, Kindern und Vermissten/3.2 Unterstützungsprogramme unterschiedlicher Organisationen/ 3.2.1 IRO Care and Maintenance Programm/CM/1 Akte von Gertrud Fischer 28.05.1911 Signatur 3216001757; POSCH 2009, 366; POSCH/FUCHS 2022, 83–84; www.ancestry.de; www.collections.arolsen-archives.org.
Herbert Posch