Universität Wien - Startseite

Alfred Friedrich

Geb. am: 06. September 1896
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene WissenschafterInnen
Alfred FRIEDRICH, geb. am 6. September 1896 in Knittelfeld, gest. am 22. Jänner 1942 in Briansk/Sowjetunion [Russland], war Privatdozent für Medizinische Chemie (seit 1933) und Assistent am Institut für medizinische Chemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. Er wurde im Nationalsozialismus aus politischen Gründen verfolgt: am 22. April 1938 wurde ihm sein "venia legendi" aberkannt und im Mai 1938 verlor er auch seinen Assistentenposten und wurde von der Universität Wien vertrieben. Alfred Friedrich besuchte die k. u. k. I. Staatsoberrealschule in Graz, studierte anschließend an der Philosophischen Fakultät der Universität Graz im Hauptfach Chemie sowie physiologische Botanik im Nebenfach und promovierte im Oktober 1920 zum Dr. phil. In seiner Dissertation setzte sich Friedrich, der auch als Einjährig-Freiwilliger im Ersten Weltkrieg im Einsatz gewesen war, mit der Chemie von Harzbestandteilen auseinander. Anschließend trat er als Assistent in das Kaiser-Wilhelm-Institut in Mühlheim/Ruhr ein, wo er Leiter der mikroanalytischen Abteilung wurde und für sämtliche mikrochemische und mikroanalytische Arbeiten zuständig war. Insbesondere forschte er in diesem Zeitraum zum Chemismus der Kohlebildung aus pflanzlichem Material. Im Oktober 1922 kehrte er wieder nach Österreich zurück, um sich bis Dezember bei Friedrich Emich in Graz einer Ausbildung in organischer und präparativer Mikrochemie zu unterziehen. Nächste Station Friedrichs war Wien: Am Institut für medizinische Chemie nahm er über zehn Jahre hinweg, bis Dezember 1932, den Posten eines ao. Assistenten ein, wobei er das mikrochemische Laboratorium leitete und für die Ausbildung von Studierenden wie auch Ärztinnen und Ärzten in Mikrochemie zuständig war. U. a. setzte Friedrich hier auch seine am Kaiser-Wilhelm-Institut begonnenen Arbeiten über das Lignin fort und konzentrierte sich später – nach der Übernahme der Lehrkanzel durch Otto von Fürth – auf Mikroanalyse und physiologische Chemie. Im Februar 1933 stellte er sein Habilitationsgesuch an die medizinische Fakultät. Einem späteren Gutachten des NSD-Dozentenbundes gemäß hatte Ernst Späth, damals Referent, die Habilitierung abgelehnt. Diese sei nach dem Einsatz von Friedrichs Kollegen wie auch der persönlichen Intervention Otto von Fürths schließlich aber zustande gekommen. Verifizieren lassen sich diese Angaben anhand Friedrichs Personalakten zwar nicht, als authentisch sind sie dennoch zu werten. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass jener Ordinarius, der sich offenbar für Friedrich eingesetzt hatte, 1938 aus "rassischen" Gründen entlassen wurde. Im Professorenkollegium war allerdings nichts von Widerstand gegen die Habilitation zu verzeichnen: Gegen Friedrichs Antrag war am 14. Juni 1933 weder eine Gegenstimme noch eine Enthaltung zu verzeichnen. Friedrich fungierte nun bzw. ab August 1933 als Privatdozent für medizinische Chemie mit besonderer Berücksichtigung der analytischen Chemie. Noch vor seiner Ernennung hatte ihn die Fakultät im Juli 1933 für die Besetzung "einer unbesoldeten ausserordentlichen Assistentenstelle" vorgeschlagen, in welcher er dann von August 1933 (ab April 1934 mit einem Forschungsstipendium ausgestattet) bis Juli 1935 tätig war. Danach fungierte er am gleichen Institut als besoldeter Assistent III. Klasse, und stieg im Juni 1937 zum Assistenten II. Klasse auf. Friedrich war auch Mitglied des Vereins österreichischer Chemiker. Seine venia sollte Friedrich keine fünf Jahre innehaben, da das NS-Regime in ihm einen Gegner erkannte. Per 22. April 1938 wurde "aus wichtigen Gründen des öffentliches Wohles" die Bestätigung seiner venia legendi widerrufen, während mit Ende Mai 1938 die Enthebung von seinem Assistentenposten erfolgte. Die Gründe für diese Maßnahmen gehen aus einer Stellungnahme des NSD-Dozentenbundes hervor, die auch ein opportunistisches Bild Friedrichs zeichnete: Nach dem Ersten Weltkrieg sei er "kommunistischer Soldatenrat" gewesen, um 1933 – anlässlich der NS-Machtergreifung – "150% Nationalsozialist" zu sein. Laut einem Fragebogen Friedrichs – so berichtete der Staatskommissar Otto Wächter – war er zu diesem Zeitpunkt ("Frühjahr 1933") auch der Betriebszelle der "Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation" (NSBO) am Institut für medizinische Chemie beigetreten, nach dem Verbot der NSDAP aber wieder ausgetreten. Daraufhin schloss er sich im Oktober 1933, d. h. vor der verpflichtenden Mitgliedschaft für Staatsangestellte, der Vaterländischen Front (VF) an und war laut Wächter auch "unterstützendes Mitglied des steirischen Heimatschutzes" gewesen. Ob er in der VF als Funktionär tätig war, wie der Dozentenbund im September 1939 darlegte, ist nicht geklärt. Friedrich selbst bezeichnete sich in einem Fragebogen als "einfaches Mitglied". Jedenfalls soll er kurz vor dem "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich "Propaganda für die Schuschnigg-Wahl" betrieben haben, was ihm von Seiten Pichlers bzw. des NSD-Dozentenbundes die Bezeichnung "Greuelpropagandist gegen das Reich" einbrachte. Abgesehen von Friedrichs Nähe zum Austrofaschismus erhob der Dozentenbund auch den Vorwurf, er habe sich "im Institut fast ausnahmslos mit jüdischen Mitarbeitern umgeben". Aus NS-Perspektive galt er somit als untragbar, die weitere Tätigkeit am Institut als ausgeschlossen. Auch wogen die Vorwürfe so schwer, dass er zu den "wenigen arischen Dozenten der med. Fakultät" zählte, "denen die Ablegung des Diensteides verwehrt wurde". Immerhin bewilligten ihm die Behörden eine finanzielle Beihilfe, um die Friedrich im Dezember 1938 ansuchte – zumindest bis Juni des Folgejahres. Friedrich konnte indes anderweitig im wissenschaftlichen Sektor Fuß fassen und eröffnete im März 1939 ein Mikrochemisches Labor im 2. Wiener Gemeindebezirk. Den Verlust seiner Dozentur wollte er trotzdem nicht hinnehmen, und wandte sich im Februar 1939 an den Reichskommissar Josef Bürckel. Die Rückkehr an das Institut strebte er allerdings nicht an: "[E]ine gedeihliche wissenschaftliche Tätigkeit" sei ihm dort nicht möglich, sei er doch "seit Sommer 1936 in [s]einer Existenz bedroht und angefeindet" worden. Als Grund hierfür nannte er aber nicht etwa seine Betätigung für den austrofaschistischen Ständestaat, vielmehr habe er gewagt, "im Interesse eines deutschösterreichischen Kulturgutes die Juden anzugreifen, bezw. [s]ich deren Willen nicht zu fügen". Überdies erwähnte er den "Diebstahl vorbereiteter Apparaturen und Reagentien bezw. Beschädigungen oder Verunreinigungen derselben". Von Erfolg war dieses Ansuchen nicht gezeichnet, woraufhin Friedrich im Juni einen Antrag auf Ernennung zum "Dozenten neuer Ordnung" einbrachte. An der Einschätzung des NSD-Dozentenbundes hatte sich allerdings nichts geändert. Arthur Marchet wandte sich v. a. gegen den behaupteten Antisemitismus: Friedrich habe sich "fast ausschließlich jüdischer Mitarbeiter bedient und [...] jüdische Demonstratoren gefördert[e]". Wie im damaligen Procedere üblich schloss sich das Dekanat dieser Meinung an Der ablehnende Bescheid des REM datierte offenbar vom 27. Februar 1940. Nach dem ablehnenden Bescheid legte Friedrich nochmals Rekurs ein, und verwies im Zuge dessen – so legt ein Schreiben des Dekanats nahe, das Ansuchen selbst liegt leider nicht in den Akten auf – v. a. auf seine Teilnahme am Zweiten Weltkrieg hin. Wo bzw. in welcher Funktion er tätig war, ist leider ungeklärt. Nun wollte ihm das Universitätsinstitut für Gerichtliche Medizin zwar für den Fall der Ernennung Lehrmittel wie auch einen Hörsaal zur Verfügung stellen – für eine erfolgreiche Erledigung gereichte das allerdings nicht. Zudem traten nun weitere "Belastungszeugen" hervor, die Friedrich antinationalsozialistische Äußerungen in der "Verbotszeit" zum Vorwurf machten. So soll er im Rahmen einer Tagung 1937 die Entlassung der "'unentwegten' Nazis [...] aus allen Stellen, besonders im Staatsdienst" gefordert haben. Der Dozentenbund wartete ebenfalls mit neuen "Fakten" auf: Nach Friedrichs zweimonatigem "Intermezzo" in der NSBO habe er nämlich " jeglichen außerdienstlichen Verkehr mit den nationalsozialistischen Angehörigen des Instituts abgebrochen um, wie er selbst sich äußerte, sich nicht zu kompromittieren". Hervorgebracht wurde auch sein Einsatz für den jüdischen Verleger und Herausgeber der Zeitschrift "Mikrochemie", Emil Haim, womit eine Übergabe der Zeitschrift an einen reichsdeutschen Verlag verunmöglicht worden sei. Nachdem sich Friedrich im neuerlichen Ansuchen offenbar ein weiteres Mal seiner antisemitischen Einstellung gebrüstet hatte, bemerkte Marchet, dass sich in den wissenschaftlichen Publikationen Friedrichs zwischen 1929 und 1938 "unter neun Mitarbeitern sieben Juden" befunden hätten. Das REM sah demnach keine Veranlassung, die Entscheidung aus dem Februar 1940 zu revidieren. Friedrich selbst stand offenbar im Kriegseinsatz, und verstarb schließlich am 22. Februar in Russland an Flecktyphus. Er war zu diesem Zeitpunkt an einer Nebelbatterie im Einsatz gewesen – in welchem Gebiet bzw. in welcher Einheit, ist in den Quellen leider nicht überliefert. Das medizinische Dekanat beantragte nun für den Verstorbenen, der das Eiserne Kreuz II. Klasse erhalten hatte und zwei Kinder und eine Frau hinterließ, die Ernennung zum Reichsdozenten. Schließlich war er auch posthum zum Leutnant befördert worden. Eine "finanzielle Besserstellung" brachte das zwar nicht mit sich, wie das Dekanat erklärte, jedoch erhielten die Hinterbliebenen dadurch "eine moralische Unterstützung in ihrem ferneren Leben". Das Reichserziehungsministerium lehnte ab.


Lit.: MÜHLBERGER 1993, 20; MERINSKY 1980, 65; UB MedUni Wien/van Swieten Blog; Kamila Staudigl-Ciechowicz, Das Dienst-, Habilitations- und Disziplinarrecht der Universität Wien 1848–1938. Eine rechtshistorische Untersuchung zur Stellung des wissenschaftlichen Universitätspersonals, Göttingen 2017, 721-724


Andreas Huber

Für Fragen oder Kommentare zu dieser Person benützen Sie bitte unser: » Feedback-Formular.