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Wolfgang Wieser

Geb. am: 13. Juni 1887
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene WissenschafterInnen
Wolfgang WIESER, geb. am 13. Juni 1887 in Prag-Bubna, gest. am 22. Februar 1945 in Wien, war Dozent für Radiologie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien.
Er wurde im Nationalsozialismus aus politischen Gründen verfolgt und am 22. April 1938 seines Amtes enthoben und von der Universität Wien vertrieben.

Wieser, Sohn eines Universitätsprofessors und ehemaligen Handelsministers, besuchte das Gymnasium in Prag und Wien und studierte ab 1905 Medizin an der Universität Wien, wo er 1911 zum Dr. med. promovierte. Noch während seines Studiums trat er als Demonstrator (1908-10) an die I. Anatomische Lehrkanzel ein, um hier von 1910 bis 1913 als Assistent tätig zu sein. [1] Es folgte die Absolvierung des röntgenologischen Praktikums im Zentralröntgeninstitut des k. k. Allgemeinen Krankenhaues Wien unter Holzknecht und eine Tätigkeit als Assistent an der I. Frauenklinik in Berlin. Wieser, der 1909 beim k. k. Landesschützenregiment Nr. II und 1913/14 im k. k. Landwehr-Marodenhaus Nr. 1 in Wien (hier hauptsächlich radiologische Arbeiten) jeweils für ein halbes Jahr Militärdienst leistete, wurde 1914 in den Ersten Weltkrieg eingezogen. [2] Er leistete von 1914 bis 1916 chirurgische und röntgenologische Arbeiten im Felde und war danach stellvertretender chirurgischer Chefarzt und Leiter des Röntgeninstituts des k. k. Erzherzog-Rainer-Militärspitals. Hier avancierte er im Juli 1919 zum Vorstand der Röntgenabteilung, um ab März 1920 eben diese Funktion im Rudolfinerhaus auszuüben. [3] Aufgrund schwerer Schädigungen durch Röntgenstrahlungen war er gezwungen, 1924 in den Ruhestand zu treten. Allerdings konnte er sich noch 1932 für medizinische Radiologie an der Universität Wien habilitieren und ab diesem Zeitpunkt als Privatdozent lehren. Auf politischer Ebene unterstützte Wieser die Heimwehrbewegung, wobei er im Austrofaschismus einige wichtige Funktionen wahrnahm: Er gehörte dem Fachbeirat der Vaterländischen Front, dem Staatsrat (von 1. November 1934 bis 12. März 1938) und dem Innenpolitischen Ausschuss an. Gleichwohl galt er als deutschnational und sympathisierte mit dem Nationalsozialismus, was sich auch in seiner engen Verbindung zu Edmund Glaise-Horstenau widerspiegelte. Von Februar 1934 bis Februar 1935 stellvertretender Reichsführer des österreichischen Kriegsopferverbandes sollte er im autoritären Ständestaat wieder in das Wiener Spitalswesen zurückkehren. 1935 wurde er provisorischer, 1936 definitiver Vorstand des Röntgeninstituts des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH). Eine Berufung nach Istanbul lehnte er ab. [4] Indes sollte seine Tätigkeit am AKH noch vor dem "Anschluss" ein Ende finden, wofür Konflikte mit Leopold Arzt ausschlaggebend waren. Diese drehten sich laut Enderle-Burcel um politische Fragen, ebenso aber um die Wertung der Radiologie als Hilfswissenschaft oder eigenständiges Fach. [5] Wieser drohte im Oktober 1937 seine Kündigung an, die das Sozialministerium kurz darauf aussprach. Wieser kündigte aber nun auch selbst. [6] In der NS-Zeit bezeichnete er diese Kündigung als wichtigen Schritt, "um zu verhindern, dass das Zentral-Röntgeninstitut in unsinniger Weise umgebaut wird und die Neurologie, Othologie, Ophthalmologie und noch ein paar kleinere Kliniken von diesem Institut abgetrennt werden".[7] Auf seine anderweitigen Funktionen im Austrofaschismus – er war u. a. Präsident der österreichischen Gesellschaft für Heilpädagogik (1936-38) und Obmann des Verbandes der Wiener Fachärzte (1934-38) [8] – hatte diese Maßregelung keine Konsequenzen. Seine Kontakte zu führenden Nationalsozialisten brachten es mit sich, dass ihn am Tag des "Anschlusses" sowohl die Direktion des Allgemeinen Krankenhauses als auch die Betriebszellenorganisation der NSDAP zur Rücknahme seiner Kündigung aufforderten. Das Sozialministerium unter Hugo Jury verhinderte diese Wiedereinsetzung allerdings. [9] Auch an der Universität Wien blieb ihm aufgrund seiner Funktionen im Austrofaschismus eine weitere Tätigkeit verwehrt, und seine venia legendi hatte per 22. April 1938 "bis auf weiteres zu ruhen".[10] Wieser wollte sich damit nicht abfinden: Während sich eigenen Angaben zufolge Edmund Glaise-Horstenau für seine Rehabilitierung einsetzte, bat er auch einen Prof. Karl Frick um ein wohlwollendes Gutachten. Trotzdem Wieser im Ständestaat einige maßgebliche Funktionen ausfüllen hatte können, behauptete er, "jetzt die ganzen Jahre in der schauderhaftesten Weise von unseren klerikalen Machthabern unter Führung von Professor Arzt gequält worden" zu sein. Seine Funktion im Staatsrat rechtfertigte er damit, diese "nur im Interesse der nationalen Ärzteschaft angenommen und behalten" zu haben. [11] Frick hielt sich mit überschwänglichem Lob zurück: Er hob v. a. den Einsatz Wiesers zur Gründung der österreichischen Gesellschaft für Röntgenkunde [in der Wieser Geschäftsführender Vizepräsident gewesen war, Anm.] positiv hervor, in welcher "der jüdische Einfluss wesentlich geringer" gewesen sei als in der Wiener Röntgen-Gesellschaft. Er habe eng mit der Deutschen-Röntgen-Gesellschaft zusammengearbeitet und deutsche Röntgenologen eingeladen, wobei "jüdische[n] Röntgenologen" mitunter den Vortrag eines SS-Angehörigen "völlig boykottiert" hätten. [12] Enderle-Burcel zufolge soll Wieser auch auf pronationalsozialistische Tätigkeiten in der Vaterländischen Front und in den Ärzteorganisationen wie auch auf Interventionen zugunsten von Nationalsozialisten im Universitätsbereich verwiesen haben. Für eine Rehabilitierung gereichte dies allerdings nicht. Lediglich seine Praxis konnte er weiterführen. [13] Ein weiteres, für Wieser einschneidendes Erlebnis in der NS-Zeit trug sich 1939 zu: Am 5. Juli 1939 wurde er aufgrund seiner ehemaligen Funktion im österreichischen Kriegsopferverband vorübergehend in Untersuchungshaft genommen, nachdem das Gaupersonalamt Salzburg Anzeige erstattet hatte. [14] Ebenso davon betroffen waren der ehemalige Verwaltungsdirektor Rudolf Leckel und der ehemalige Direktor Franz Fischer. Das Landesgericht Wien leitete eine Voruntersuchung wegen des Verdachts der fahrlässigen Krida ein und teilte mit, dass Wieser dies "zweifellos anzulasten[de]", der Tatbestand aber verjährt sei. Zudem soll der Verdacht bestanden haben, die drei Beschuldigten hätten Versicherungsbeträge zum Nachteil der Mitglieder veruntreut. [15] Inwiefern diese Anschuldigungen den Tatsachen entsprachen und ob die Erhebungen großteils politisch motiviert waren, ist aus heutiger Sicht nur schwer zu beantworten. Wieser verstarb zweieinhalb Monate vor Ende des Zweiten Weltkrieges durch Röntgenschäden an beiden Händen, die maligne entarteten. [16] Wieser beschäftigte sich in seinen Arbeiten v. a. mit der Röntgentherapie bei psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen wie auch der Röntgentherapie des Schwachsinns bei Kindern. Zu seinen bekanntesten Werken zählen "Röntgentherapie des Schwachsinns bei Kindern" und "Grundlagen der Behandlung der Erkrankungen des vegetativen Nervensystems mit Röntgenstrahlen" (1930). [17] Er war u. a. Präsident der österreichischen Gesellschaft für Heilpädagogik (1936-38), geschäftsführender Vizepräsident der österreichischen Gesellschaft für Röntgenkunde und Strahlenforschung, Mitglied der Gesellschaft der Ärzte, der deutschen Röntgengesellschaft und der Wiener Gesellschaft für Röntgenkunde sowie Herausgeber der "Radiologischen Praktika" und Obmann des Verbandes der Wiener Fachärzte (1934-38). [18]


Lit.: Bundesarchiv Berlin/R 3001, Sign. 132811; Österreichisches Staatsarchiv/AVA, PA Wieser; Archiv der Universität Wien, RA GZ 677 ex 1937/38; FISCHER 1932/1933; DEGENER 1935; ENDERLE-BURCEL 1991; MÜHLBERGER 1993, 36; UB MedUni Wien/van Swieten Blog; http://www.radiodiagnostik-akhwien.at.


[1] Gertrude Enderle-Burcel, Mandatare im Ständestaat 1934–1938. Christlich – ständisch – autoritär. Biographisches Handbuch der Mitglieder des Staatsrates, Bundeskulturrates, Bundeswirtschaftsrates und Länderrates sowie des Bundestages. Wien 1991, 263.

[2] ÖStA/AVA, PA, BMU GZ 30.965-32-I/1, Curriculum vitae, 20. 12. 1930.

[3] Hermann A. L. Degener (Hrsg.), Wer ist's? Unsere Zeitgenossen, Berlin 1935.

[4] Enderle-Burcel, Mandatare, 263.

[5] Ebd., 41.

[6] Ebd., 263.

[7] ÖStA/AVA, PA, Min. f. i. u. k. A GZ 21835-1938, Karl Frick, "Äusserung über den Facharzt für Röntgenologie Primarius Dozent Dr. Freiherr von Wieser [im Original gesperrt, Anm.] in Wien", o. D.

[8] Leiter und Vorstände der Universitätsklinik für Radiodiagnostik, online unter: <http: index.aspx?pid="242"> (14. 9. 2011); Mandatare, 263.</http:>

[9] Enderle-Burcel, Mandatare, 263.

[10] UA, RA GZ 677-1937/38, O.-Nr. 62, Österreichisches Unterrichtsministerium an Rektorat, 22. 4. 1938.

[11] ÖStA/AVA, PA, Min. f. i. u. k. A GZ 21835-1938, Wieser an Karl Frick, 6. 5. 1938.

[12] Ebd., Karl Frick, "Äusserung über den Facharzt für Röntgenologie Primarius Dozent Dr. Freiherr von Wieser [im Original gesperrt, Anm.] in Wien", o. D.

[13] Enderle-Burcel, Mandatare, 263-264.

[14] BArch, R 3001, Sign. 132811, Oberstaatsanwalt beim Landesgericht Wien "durch die Hand des Generalstaatsanwaltes an das Reichsministerium der Justiz", 15. 3. 1940.

[15] Ebd., Oberstaatsanwalt beim Landesgericht Wien "durch die Hand des Generalstaatsanwaltes und des Reichsministers für Justiz", 9. 1. 1940.

[16] Leiter und Vorstände der Universitätsklinik für Radiodiagnostik, online unter: <http: index.aspx?pid="242"> (14. 9. 2011).</http:>

[17] Isidor Fischer (Hrsg.), Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte der letzten fünfzig Jahre. Bd. 2, Berlin u. a. 1933.

[18] Leiter und Vorstände der Universitätsklinik für Radiodiagnostik, online unter: <http: index.aspx?pid="242"> (14. 9. 2011); Mandatare, 263.</http:>


Andreas Huber

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