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Eva Kolmer (Wolloch, Schmidt-Kolmer)

Geb. am: 25. Juni 1913
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene Studierende

Eva Aglaja Irene KOLMER (gesch. WOLLOCH, verh. SCHMIDT-KOLMER), geb. am 25. Juni 1913 in Wien/Österreich-Ungarn (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Tochter von a.o. Univ.-Prof. Dr. Walter Kolmer (1879–1931, Zoologe, Histologe) und Elisabeth Kolmer, geb. Perger/Pereles (1887–1942), wohnte in Wien 19, Hasenauerstraße 16. Sie hatte das Gymnasium in Wien 19 (Döbling) besucht, die Schule aber vorzeitig abgebrochen und begonnen in einer Glühbirnenfabrik zu arbeiten bzw. als wissenschaftliche Hilfskraft im bakteriologischen Labor des Wiener Universitätsinstituts für experimentelle Pathologie, und legte 1931 die Reifeprüfung ("Matura") als Externistinnenmatura ab und begann anschließend ab dem Wintersemester 1931/32 als Werksstudentin an der Universität Wien Medizin zu studieren – mit einigen Unterbrechungen. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten im Bereich Krebsforschungen wurden von der britischen "Pearson Research Foundation" finanziert und Prof. Freund warnte sie vor weiterer illegaler politischer Tätigkeit, da sowohl ihre wissenschaftlichen Leistungen und Studienerfolge darunter litten, als auch ihre Anstellung und damit ihre Studienfinanzierung gefährdeten, aber auch die Finanzierung des Instituts, das grundlegend von Forschungsfinanzierungen durch die Stiftung abhängig war. Sie musste nach Bekanntwerden ihrer fortgesetzten politischen Arbeit ihre Forschungsarbeit vorzeitig beenden, konnte aber noch bis zum Wintersemester 1937/38 an der Medizinischen Fakultät (10. Studiensemester) weiterstudieren.

Sie wurde im Nationalsozialismus nach dem "Anschluss" aus rassistischen und politischen Gründen gezwungen, das fast fertige Studium abzubrechen und die Universität Wien zu verlassen.

Beide Eltern galten in der NS-Zeit als Juden. Ihr 1931 verstorbener Vater hatte schon vor Beginn seiner Universitätsstudien 1896 seinen Nachnamen von "Kohn" in "Kolmer" ändern lassen (ihre Mutter ihren 1891 von "Pereles" in "Perger") und war 1905, also Jahre vor ihrer Geburt, aus der Israelitischen Kultusgemeinde ausgetreten und zum evangelisch-helvetischen Bekenntnis übergetreten (ebenso wie ihre Mutter vor der Heirat 1912). Eva Kolmer wurde, obwohl seit Geburt evangelisch (HB), im Nationalsozialismus aus rassistischen Gründen als Jüdin verfolgt. Sie wurde aber auch aus politischen Gründen verfolgt, da sie seit 1926 in der sozialdemokratischen Jugendbewegung (Rote Falken, VSStÖ, SAJDÖ) aktiv war, bzw. seit 1930 Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ) war und auch nach deren Verbot im Austrofaschismus ab 1933 blieb. Sie wurde im August 1934 verhaftet, konnte aber in Ermangelung konkreter Beweise nicht gerichtlich verurteilt werden, wurde aber ohne Gerichtsverfahren mit sechs Wochen Polizeihaft und drei Monaten Haft in einem Anhaltelager bestraft. Eine im Raum stehende Relegierung von der Universität fand nicht statt und sie konnte im Austrofaschismus ihr Studium weiter fortsetzen bis zum "Anschluss" und war weiter im Untergrund gegen Austrofaschismus und Nationalsozialismus politisch aktiv.

Sie verließ bereits am 16. März 1938 Wien und emigrierte über Zürich/Schweiz und Paris/Frankreich nach Großbritannien, wo sie am 24. März 1938 in London ankam. Sie arbeitete wieder als Laborantin bei der Pearson-Stiftung, wurde aber bald wieder aus politischen Gründen entlassen.
Zwei ihrer Geschwister konnten rechtzeitig nach Australien emigrieren, ihre Mutter Lili Kolmer wurde am 17. August 1942 aus Wien 1, Köllnerhofgasse 7, nach Maly Trostinec [Малы Трасцянец/Weißrussland] bei Minsk deportiert und am 21. August 1942 dort ermordet.
Eva Kolmer bzw. Wolloch – sie hatte in erster Ehe 1939 in Battersea/London den ebenfalls aus Wien emigrierten Jugendfreund Dipl.Ing. Jakob Wolloch (1912–1996) geheiratet – war aktives Mitglied der KPÖ in Großbritannien, ab September 1938 Mitglied und Sekretärin der neugegründeten überparteilichen Hilfsorganisation Council of Austrians in Great Britain, Mitglied und ab 1939 Generalsekretärin der österreichischen Flüchtlingsorganisation "Austrian Centre" und Ende 1941 Mitbegründerin und Generalsekretärin des "Free Austrian Movement". Sie war Mitarbeiterin von Österreichische Nachrichten und Zeitspiegel und war maßgeblich an der Konkretisierung der Volksfrontpolitik der österreichischen Kommunist*innen in Großbritannien beteiligt. 1944 war sie Mitbegründerin und Sekretärin des Free Austrian World Movement als Londoner Dachorganisation für die Freien Österreichischen Bewegungen in aller Welt. Während sie selbst von der Internierung als "enemy alien" ausgenommen wurde, wurde ihr Mann interniert, die Ehe zerbrach nach seiner Entlassung nach eineinhalb Jahren und sie lebte in London seit 1941 mit dem ostdeutschen Schriftsteller und Journalisten Heinz Schmidt (1906–1989) zusammen.

Eva Wolloch bzw. Kolmer kehrte im Dezember 1945 nach Österreich zurück, wo sie als Sekretärin der kommunistischen Nationalratsfraktion vorgesehen war und ihr Medizinstudium beenden und als Ärztin arbeiten sollte. Ihr Lebensgefährte war aber bereits 1946 nach Deutschland in die sowjetische Besatzungszone (spätere DDR) gegangen und über einen mehrmonatigen Umweg über London wechselte sie ebenfalls dorthin wo die beiden 1947 auch heirateten und zwei Kinder bekamen (Renate, 1947, und Walter, 1950). Trotz einiger innerparteilicher Probleme und einer Versetzung nach Schwerin wurde Eva Schmidt-Kolmer in der DDR Leiterin der Mutter-Kind-Gesundheitsschutzabteilung im Gesundheitsministerium von Mecklenburg und konnte ihr Studium an der dortigen Universität am 11. Juli 1952 mit der Promotion zur "Dr.med." abschließen (Dissertation: "Gesundheitsschutz für Mutter und Kind") und als Ärztin arbeiten. Sie spezialisierte sich auf Kinderheilkunde und wurde Fachärztin für Sozialhygiene, 1954–1956 Assistentin am Institut für Sozialhygiene an der Karl-Marx-Universität in Leipzig; wechselte sie 1956 nach Berlin wo sie 1956–1965 am Institut für Sozialhygiene der Humboldt-Universität Berlin arbeitete und sich 1957 auch habilitierte und rasch eine Professur erhielt. Sie war 1966–1974 Direktorin des DDR-Zentralinstituts für Hygiene des Kindes- und Jugendalters in Berlin, dem sie auch nach ihrer Pensionierung bis zur erzwungenen Schließung 1990 eng verbunden blieb.
Sie war Mitglied der SED und Ratsmitglied der Internationalen Demokratischen Frauenföderation und war 1963 mit dem Vaterländischer Verdienstorden in Gold sowie mit dem Großen Stern der Völkerfreundschaft ausgezeichnet worden, 1973 mit dem Banner der Arbeit und 1983 mit dem Vaterländischen Verdienstorden in Gold.

Sie schrieb u.a. unter dem Pseudonym Mitzi Hartmann, Austria still lives (London 1938); Hilfe für die Österreicher im befreiten Europa, in: Bericht von der Konferenz über österreichische Flüchtlingsfragen des Free Austrian Movement vom 17. Sept. 1944 (London 1944) und Das Austrian Centre. 7 Jahre österreichische Gemeinschaftsarbeit (London 1945) bzw. als Eva Schmidt-Kolmer über zahlreiche medizinische und sozialhygienische Themen, u.a. Die Pflege und Erziehung unserer Kinder in Krippen und Heimen. Volk u. Gesundheit (1956), Pädagogische Aufgaben und Arbeitsweise der Krippen. Volk u. Gesundheit VEB (Berlin, 1970), Verhalten und Entwicklung des Kleinkindes, Akademie-Verlag (Berlin 1959), Pädagogik (Krippenpädagogik), VEB Volk und Gesundheit (Berlin 1983), Frühe Kindheit. Beiträge zur Psychologie, Volk und Wissen (Berlin 1984) und Bewegungserziehung, Bildnerische Erziehung, Musikerziehung. Lehrbuch für Fachschulausbildung (Krippenpädagogik) VEB Verlag Volk und Gesundheit (Berlin 1989),

Prof. Dr. Eva Schmidt-Kolmer, geb. Kolmer, gesch. Wolloch, starb am 29. August 1991 in Berlin, Deutschland.


Lit.: Archiv der Universität Wien/Nationale MED 1931–1938; Helene MAIMANN, Politik im Wartesaal. Österreichische Exilpolitik in Großbritannien 1938–1945, Wien/Köln/Graz, 1975, 76; RÖDER 1980, 383; DÖW (Hg.), Österreicher im Exil. 1934–1945. Eine Dokumentation. Großbritannien 1938–1945, Wien, 1992; W MUCHITSCH, Mit Spaten, Waffen und Worten. Die Einbindung österreichischer Flüchtlinge in die britischen Kriegsanstrengungen 1939–1945, Wien/Zürich 1992; Charmian BRINSON, Eva Kolmer and the Austrian emigration in Britain, 1938–1946, in: Antony Grenville (Hg.), German-speaking Exils in Great Britain. The Yearbook of the Research Centre for German and Austrian Exile Studies, Vol. 2. Amsterdam/GA 2000, 143–169; Gabriele ARNDT, Leben und wissenschaftliches Werk Eva Schmidt-Kolmers, ungedr. med.Diss. Univ.Greifswald, Greifswald, 2002; BRANDSTETTER 2007, 141; POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 419, 468; Ilse KOROTIN u. Nastasja STUPNICKI, Hg., Biografien bedeutender österreichischer Wissenschafterinnen, Wien, Köln u. Weimar 2018, 497–499; https://en.wikipedia.org/wiki/Eva_Schmidt-Kolmer.


Herbert Posch


Eva Kolmer enrollment form medical school, fall term 1937/38 (front), photo: Herbert Posch), © Archive of the University of Vienna

Eva Kolmer enrollment form medical school, fall term 1937/38 (back), photo: Herbert Posch), © Archive of the University of Vienna
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