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Ludwig Bieler

Geb. am: 20. Oktober 1906
Fakultät: Philosophische Fakultät
Kategorie: Vertriebene WissenschafterInnen
Ludwig BIELER, geb. am 20. Oktober 1906 in Wien, gest. am 2. Mai 1981 in Dublin, war 1938 Privatdozent für Klassische Philologie an der Philosophischen Fakultät der Universität Wien. Er wurde im Nationalsozialismus aus politischen Gründen verfolgt und am 3. Februar 1939 seines Amtes enthoben und von der Universität Wien vertrieben. Nach Besuch des Landstraßer Gymnasiums in Wien studierte er ab Herbst 1925 an den Universitäten Wien, Tübingen und München klassische Philologie unter Radermacher, Hauler, Weinreich, Kretschmer und Lehmann und promovierte 1929 in Wien zum Doktor der Philosophie (Dissertation: "De vita S. Samsonis questiones tres"). Anschließend konnte er mit Hilfe eines Stipendiums der "Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft" jeweils ein Semester in Tübingen und München klassische Philologie, Archäologie und Religionswissenschaft studieren. Nach seiner Rückkehr nach Wien und Absolvierung der Lehramtsprüfungen für Latein und Griechisch als Hauptfächer arbeitete er im Schuljahr 1931/32 als Lehrer am Privatgymnasium Rainer in Mauer bei Wien. In diesem Zeitraum lehrte er auch als Probekandidat am Jesuitengymnasium in Kalksburg. Seit 1930 (bis 1938) Assistent der Kirchenväter-Kommission der Akademie der Wissenschaften trat er 1932 als Volontär in die Nationalbibliothek Wien ein und war hier bis 1938 in der Handschriftensammlung tätig. Unterdessen hatte er 1935 die biologische Fachprüfung abgelegt und wurde im selben Jahr provisorischer Staatsbibliothekar II. Klasse. Im Jahr darauf habilitierte er sich an der Universität Wien. Einen Monat nach dem "Anschluss" richtete er ein Schreiben an das Dekanat der philosophischen Fakultät, in dem er "um Fakultätsurlaub bis zum Ende dieses Sommersemesters" bat. Bieler hielt sich zu diesem Zeitpunkt – im Rahmen einer Studienreise – in Fribourg in der Schweiz auf.[1] Das Dekanat zeigte sich einverstanden und enthob ihn von der Abhaltung des zweistündigen Kurses "Lateinischer Stil, Unterstufe" wie auch des von ihm gehaltenen "Einführungslehrgang aus Griechisch".[2] Per 22. April 1938 hatte seine Lehrbefugnis "bis auf weiteres zu ruhen".[3] Zwar galt Bieler gemäß der NS-Rassendoktrin als "Arier", wie er am 13. April bekannt gab,[4] allerdings entstammte seine Partnerin Eva Uffenheimer, die römisch-katholischen Glaubens war, einer jüdischen Familie. Eine weitere Lehrtätigkeit an der Universität Wien galt für Bieler demnach als ausgeschlossen. Einem Schreiben des Staatskommissars beim Reichsstatthalter, Otto Wächter, zufolge, hätte gegen Bieler – in seiner Funktion als Staatsbibliothekar II. Klasse – auch ein Verfahren gemäß § 4 der Berufsbeamtenverordnung eingeleitet werden sollen. Durch sein "zwischenzeitiges Ausscheiden" kam dieses aber nicht mehr zustande.[5] Da angeführter Paragraph bei "politischen" bzw. "weltanschaulichen" Gründen zur Anwendung kam, galt Bieler den Nationalsozialisten offenbar auch aus anderen Gründen als nicht tragbar. Über Italien in die Schweiz gelangt emigrierte er jedenfalls gemeinsam mit seiner Partnerin nach Frankreich, wo die beiden heirateten. 1940 folgte die Auswanderung nach Dublin/Irland, wo Bieler eine neue Schule der Latinistik begründen sollte. Diese setzte einerseits, etwa in der Patristik, Wiener Traditionen fort, nahm andererseits aber auch eine "Aufarbeitung der landeseigenen, irischen Latinität in Angriff".[6] Zudem vertiefte er seine in Wien begonnenen Studien zur irisch-lateinischen Hagiographie. Bieler war von 1940 bis 1946 Visiting Lecturer für Paläographie und Mittellatein an der "National University of Ireland", und hielt abwechselnd Vorlesungen in Dublin, Cork und Galway. Ab 1946 fungierte er auch als Archivar an der National Library of Ireland, danach, von 1947 bis 1948, als Assist. Prof. of Classics an der University of Notre Dame in Indiana, USA. Nach seiner Rückkehr war er als Lektor am University College in Dublin tätig, wo er ab Herbst 1948 (bis 1959) als dauerndes Mitglied der Classical Staff Classics und Paläographie lehrte. Unterdessen hielt er sich 1954/55 in der Funktion als Visiting Member des Institute for Advanced Study in Princeton/USA auf. Bieler wurde 1959 Professor für Spätlatein und Paläographie und folgte zehn Jahre später (1969) einem Ruf als Visiting Professor des Pontifical Institute of Medieval Studies, Toronto. Im Zeitraum von 20 Jahren, von 1951 bis 1970, hatte er zudem Reisen an die wichtigsten europäischen Bibliotheken unternommen und eine Vielzahl mittelalterlicher Handschriften katalogisiert, die einen Bezug zu Irland hatten. Von ihm stammt u. a. auch das Buch "Irland, Wegbereiter des Mittelalters" (1961). Eine Rückkehr an die Universität Wien bzw. an eine andere österreichische Hochschule kam indes nicht mehr zustande. Bieler war Mitglied der Royal Dublin Society (life member), der Royal Irish Academy (life member), korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Mitglied der Medieval Academy of America sowie der British Academy.

Lit.: Österreichisches Staatsarchiv/AdR, BKA, BBV; Österreichisches Staatsarchiv/AVA, PA Bieler; Archiv der Universität Wien/PHIL GZ 659 ex 1937/38, RA GZ 677 ex1937/38; MÜHLBERGER 1993, 38; EMÖDI/TEICHL 1937; Rudolf HANSLIK, Ludwig Bieler, in: Österreichische Akademie der Wissenschaften, Almanach für das Jahr 1981 (131), Wien 1982, 369–372; KILLY VIERHAUS Bd. 1 1995; Kürschners deutscher Gelehrtenkalender. Bio-bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Wissenschaftler der Gegenwart. Bd. 7, München 1950; RÖDER Bd. 2 1983; Franz RÖMER in: GRANDNER/HEISS/RATHKOLB 2005, 222–235; TEICHL 1951; Wilfrid WERBECK/Kurt GALLING (Hrsg.), Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. Bd. 1, Tübingen 1965; Who's who, what's what and where in Ireland, London 1973; The academic who's who, 1973-1974, University teachers in the British Isles in arts, education and social sciences, London 1973; Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.


[1] UA, PHIL GZ 659-1937/38, O.-Nr. 10, Bieler an PHIL Dekanat, 12. 4. 1938.

[2] Ebd., PHIL Dekanat an Bieler, 13. 4. 1938.

[3] UA, RA GZ 677-1937/38, O.-Nr. 58, Österreichisches Unterrichtsministerium an PHIL Dekanat, 22. 4. 1938.

[4] UA, PHIL GZ 659-1937/38, O.-Nr. 10, Bieler an PHIL Dekanat, 13. 4. 1938.

[5] ÖStA/AdR, BKA, BBV, Vermerk von Otto Wächter, 31. 3. 1939.

[6] Franz RÖMER, "Cum ira et studio". Beobachtungen zur Entwicklung der Wiener klassischen Philologie nach 1945, in: Margarete Grandner/Gernot Heiss/Oliver Rathkolb (Hrsg.), Zukunft mit Altlasten. Die Universität Wien 1945 bis 1955 (Querschnitte 19), Innsbruck – Wien – Bozen 2005, 222–235, 224.


Andreas Huber

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