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Franziska Weiss (Racker)

Geb. am: 26. April 1913
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene Studierende
Franziska WEISS (verh. RACKER), geb. am 26. April 1913 in Wien/Österreich (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), war die Tochter des erfolgreichen Arztes Dr. Arthur Weiss (1875-1936, Medizinalrat) und dessen Ehefrau Martha, geb. Schrecker (1885-1968). Sie wohnte bis 1938 mit ihren Eltern, ihrer älteren Schwester Gertrud (Trude) Weiss (später verh. Szilard, 1909-1981) und ihrem jüngeren Bruder Egon Arthur Weiss (1919-2003) in Wien 9, Alserstraße 18/15.[1] Sie folgte ihrer Schwester Trude, die seit 1930 an der Universität Wien Medizin studierte und 1936 zum Dr. med. promovierte, nach:[2] Franziska „Franzi“ Weiss war nach der Reifeprüfung am Mädchenrealgymnasium in Wien 8 im Jahr 1932 von Wintersemester 1932/33 bis Sommersemester 1937 an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien inskribiert.[3] Während ihres Studiums lernte sie ihren späteren Ehemann Ephraim Racker (1913-1991) kennen. Sie hatten enge gemeinsame Freunde und lernten gemeinsam für Prüfungen, trafen sich jedoch auch bei privaten Kammermusikkonzerten, bei denen sein Bruder, der Pianist und Psychologie-Student Heinrich Racker, mitwirkte.[4] Zur Zeit des „Anschlusses” im März 1938 befanden sich beide bereits im Stadium der Abschlussprüfungen (Rigorosen). Da jüdische Studierende von der Universität Wien umgehend ausgeschlossen wurden, schien es zunächst, als wäre das fünfjährige Studium umsonst gewesen. Bis zur Entscheidung, ob sie doch noch zu den Abschlussprüfungen zugelassen würde, überbrückte sie die Wartezeit indem sie gemeinsam mit Efraim Racker Kurse über mikrochemische Methoden sowie über therapeutische Übungen und Massagen besuchte.[5] Beide konnten nach längerer Unsicherheit doch noch ihr Studium abschließen: am 18. Juli 1938 wurde ihr das „Absolutorium“ ausgestellt und am 21. Juli 1938 konnten sie beide unter zahlreichen symbolischen Diskriminierungen im Rahmen einer „Nichtarierpromotion“ promovieren, bei gleichzeitig ausgesprochenem Berufsverbot im gesamten Deutschen Reich:[6]
"When Hitler invaded Austria on 11 March 1938, we were in the middle of our final examinations. Jews were immediately barred from the university and it appeared that our. five years of medical training were wasted. Many of us started to learn new skills. Ef and I attended a course on microchemical methods and another course on therapeutic exercises and massage. In some way or another we have made use of these experiences in later life. For reasons which none of us understood (they could not have been based on humane considerations), we were allowed to finish our final examinations between 20 June and 11 July of 1938. I still had five major examinations and I will never cease to be grateful for the encouragement and help of my friends, especially Ef, in the completion of my degree. He left Vienna soon thereafter and I left abruptly during the Munich crisis, believing that immediate war was inevitable."[7] Ihre Schwester Trude Weiss war bereits 1936 gemeinsam mit ihrem späteren Ehemann Leo Szilard nach London und 1937 weiter nach New York emigriert,[8] ihr Bruder Egon Arthur Weiss im Juli 1938 in die USA[9] und auch Efraim Racker reiste kurz nach der Promotion nach Großbritannien ab. Um der drohenden Verfolgung und dem bevorstehenden Krieg zu entkommen, entschloss sich auch Franziska Weiss zur Flucht,[10] meldete sich am 1. Oktober 1938 in Wien ab und emigrierte nach London,[11] wo sie mit einer ehemaligen Studienkollegin aus Wien, Gerda Sgalitzer, zusammenwohnte.[12] Bereits 1939 setzte Franziska Weiss ihre Emigration nach New York weiter fort, wo auch ihre Schwester wohnte. Diese arbeitete am Bellevue Hospital in Manhattan und spezialisierte sich im Laufe ihrer weiteren Karriere auf Public Health (Immunology) und Pädiatrie, während ihr späterer Ehemann Leo Szilard ab 1942 am „Manhattan-Projekt“ zur Entwicklung der Atombombe beteiligt war.[13] Gemeinsam mit Gerda Sgalitzer absolvierte Franziska (auch: Frances) Weiss 1940/41 ihr ärztliches Praktikum am New England Hospital for Women and Children in Boston.[14] Möglicherweise von ihrer Schwester beeinflusst, studierte Franziska Weiss 1943 an der Harvard School of Public Health in Boston, Massachusetts. Die Ausbildung schloss sie 1950 mit dem Master of Public Health (M.P.H.) ab.[15]
1943 sah sie erstmals ihren Freund Efraim Racker wieder, der zu dieser Zeit Assistenzarzt am Harlem Hospital in New York war. Nach Ende eines Stipendiums in öffentlicher Gesundheitsverwaltung („Public Health Administration“) in Paw Paw, Michigan, heiratete sie am 24. August 1945 in New York Efraim Racker, der nun als Biochemiker an der New York University arbeitete. Sie unterstützte seine Karriere durch die Übernahme von Schreibarbeiten und las seine wissenschaftlichen Papers, die sie dank ihrer Kenntnisse in organischer Chemie verstand, kritisch. Am 11. Oktober 1950 wurde ihre gemeinsame Tochter Ann Myra Racker geboren.[16] Noch 1945 trat Franziska W. Racker der American Public Health Association (APHA) bei, wo sie als Personalberaterin im Berufsberatungs- und Stellenvermittlungsservice im New Yorker Büro tätig war und regelmäßig Berichte über Angebot und Nachfrage im Arbeitsmarkt dieses Berufssegments lieferte. 1949 war sie bereits Leiterin dieser Servicestelle und stellvertretende Sekretärin des Committee on Professional Education der APHA[17] Für das „American Journal of Public Health“ (AJPH), verfasste sie zwischen 1946 und 1949 außerdem vier Buchrezensionen. Um 1950 arbeitete Franziska W. Racker gemeinsam mit Samuel W. Wishik und Reginald M. Atwater an der Studie „Codification of national standards and principles related to child health work“, die im Auftrag des Committee on Child Health der APHA durchgeführt wurde. Ziel war die Zusammenstellung von Standards, empfohlenen Praktiken und leitenden Prinzipien für öffentliche Gesundheitsprogramme.[18] Ihr Bruder Egon Weiss schlug in der Emigration eine akademische Karriere ein: Er studierte nach seinem Dienst in der US Army und US Air Force ab 1946 an der Harvard University und an der Boston University Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft und wurde später Bibliothekar, zunächst in Massachussetts, ab 1958 in der US Military Academic Library in West Point, New York.[19] Als ehemalige Beraterin des Committee on Child Health der APHA wirkte Franziska W. Racker an der Publikation eines Handbuches über „Health supervision of young children“ mit, das 1955 erstmals erschien (1960 bereits in dritter Auflage).[20] 1956 war sie an einem weiteren Handbuch über Services für schwerhörige Kinder beteiligt, das von demselben Komitee herausgegeben wurde.[21] Nach der Beendigung ihrer Tätigkeit bei der APHA 1957 kehrte sie in die klinische Praxis zurück und arbeitete im Bereich der Physikalischen und Rehabilitativen Medizin.[22]
Noch im selben Jahr erhielt sie von der National Foundation for Infantile Poliomyelitis (NFIP) ein zweijähriges Stipendium in Rehabilitationsmedizin, mit dem sie ans Department of Physical Medicine and Rehabilitation am Bronx Municipal Hospital Center ging (in Zusammenarbeit mit dem Albert Einstein College of Medicine).[23]
1958 zog die Familie Racker nach Mount Vernon in der Nähe von New York City, wo beide weiterhin arbeiteten.[24] Franziska W. Racker war am Albert Einstein College of Medicine sowie am St. Joseph’s Hospital in Yonkers, New York, tätig.
Am 22. Juni 1963 erhielt sie ein Zertifikat in physikalischer Medizin und Rehabilitation des American Board of Physical Medicine and Rehabilitation.[25]
Gemeinsam mit Edward F. Delagi und Arthur S. Abramson veröffentlichte Franziska W. Racker 1963 einen Beitrag über die therapeutische Gemeinschaft als Ansatz für die Rehabilitationsmedizin im Fachjournal „Archives of Physical Medicine and Rehabilitation“[26] – ein Ansatz den sie in dem Werk „From hospital to community“, das sie 1971 gemeinsam mit mehreren KollegInnen publizierte, nochmals unterstrich.[27] Im Herbst 1966 verließen Franziska und Efraim Racker ihre Arbeitsstellen in New York City, als er die Albert Einstein Professor of Biochemistry and Molecular Biology an der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York übernahm.[28] Auch Franziska W. Rackers Mutter, Martha Weiss, wohnte bei ihnen, bis sie 1968 verstarb – in dem Familiengrab wurde 1981 auch die in La Jolla/Kalifornien verstorbene Schwester Gertrude Szilard beerdigt.[29]
Franziska W. Racker übernahm nach dem Umzug – bis 1985 – die Leitung der Abteilung für Psychische Rehabilitation im Tompkins County Hospital in Ithaca,[30] wo sie etwa für eine Studie über Gesundheitsprobleme bei Sozialhilfeempfängern die Auswertung der motorischen Behinderungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates übernahm und die notwendigen Behandlungen beaufsichtigte.[31] Ab 1971 bis zu ihrem Tod 1999 war Franziska W. Racker außerdem medizinische Leiterin des 1948 gegründeten „Special Children‘s Center“ im Bundesstaat New York,[32] ein freiwilliges „not-for-profit“-Projekt, um Möglichkeiten für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu schaffen. Sie setzte sich auch intensiv für Weiterbildung (lebenslanges Lernen) ein und gründete einen Fonds, um dies auch für MitarbeiterInnen und KlientInnen zu ermöglichen. Unter ihrer Leitung entwickelte sich das Zentrum bedeutend weiter: Es besteht heute aus über 30 lokalen Stellen im Bundesstaat New York und trägt seit 1999 den Namen „Franziska Racker Centers“.[33]
Unter ihrer Leitung wurden am Special Children‘s Center verschiedenste physiotherapeutische Diagnose-und Behandlungsmethoden entwickelt, die etwa 1987 in eine Studie über orthopädische Hilfsmittel zur Korrektur von Knöchel-Fuß-Fehlstellungen einflossen, an der zwei ihrer Mitarbeiterinnen beteiligt waren.[34] Ihre Tochter Ann Costello nahm die Tradition der Eltern auf, wurde Ärztin und arbeitete – ebenso wie ihr Ehemann John Costello – an der Vanderbilt University. 1982 kehrte sie nach Ithaca zurück, wo das Paar eine Praxis für innere Medizin eröffnete.[35] Ab 1985 arbeitete Franziska W. Racker in der gemeinsamen Privatpraxis mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn und fungierte außerdem als Beraterin am Cayuga Medical Center in Ithaca.[36] Efraim Racker starb am 9. September 1991 im Universitätskrankenhaus in Syracuse an einem Herzinfarkt.[37] Franziska W. Racker starb am 27. Februar 1999.[38]

Lit.: Archiv der Universität Wien (AUW)/Nationale MED 1932-1937, MED Promotionsprotokoll (PP) Nr. 4125; Auskunft von Nitra Hillyer, USA, 1. 9. 2014; Medicine Online; Privatarchiv Ann Racker Costello, USA, Nachlass v. Franziska Racker; Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Historische Meldeunterlagen, Auskunft vom 26. 3. 2014;
POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 125f., 453; POSCH 2009, 239, 370f.; American Journal of Public Health (AJPH) 36/7 (July 1946), 819, 39/2 (Feb. 1949), 229, 39/9 (Sep 1949), 1238, 39/12 (Dez. 1949), 1604, 47 (Nov. 1957), 1486, 75/12 (Dez. 1985), 1454; Lee ASH (Hg.), Biographical dictionary of librarians in the United States. 5th edition, Chicago 1970. [Egon Weiss]; Clearinghouse for Research in Child Life: Research relating to Children. An Inventory of Studies in Progress, Supplement No. 1, reported July 1, 1949 – March 31, 1950. Washington 1950, No. 616D; Cornell University Library: Efraim Racker – Biographical timeline; Franziska Racker Centers: Dr. Franziska Racker u. About us; Katharina KNIEFACZ, Franziska Weiss Racker, in: KOROTIN 2016; William LANOUETTE, Genius in the Shadows: A Biography of Leo Szilard, the Man Behind the Bomb. New York u.a. 1992; Obituary. In: The Journal of the American Medical Association 282/1 (7. 7. 1999), 98; Franziska RACKER u. Efraim RACKER: Resolution and Reconstitution. A Dual Autobiographical Scetch. In: Semenza, G. (Hg.), Of Oxygen, Fuels and Living Matter, Part 1. Chichester u.a. 1981, 265-287; RÖDER 1983 (Efraim Racker, Egon Weiss); Gottfried SCHATZ, Efraim Racker 1913-1991. A Biographical Memoir, in: National Academy of Sciences, Biographical Memoirs 70 (1996), 321-346 [= Gottfried SCHATZ, Efraim Racker:, 28 June 1913 to 9 September 1991. In: Jaenicke, Rainer / Semenza, Giorgio (Hg.): Selected Topics in the History of Biochemistry: Personal Recollections V (Comprehensive Biochemistry 40), Elsevier Science B. V. 1997, 253-276].


[1] Archiv der Universität Wien (AUW), Medizinische Fakultät, Nationale; Meldeanfrage, 26.3.2014.

[2] William LANOUETTE, Genius in the Shadows: A Biography of Leo Szilard, the Man Behind the Bomb. New York u.a. 1992, 73-74, 117.

[3] AUW, Nationale.

[4] Franziska RACKER u. Efraim RACKER: Resolution and Reconstitution. A Dual Autobiographical Scetch. In: Semenza, G. (Hg.), Of Oxygen, Fuels and Living Matter, Part 1. Chichester u.a. 1981, 265-287, hier 266.

[5] RACKER/RACKER 1981, 266.

[6] AUW, Nationale 1937; Promotionsprotokoll.

[7] RACKER/RACKER 1981, 266.

[8] LANOUETTE 1992, 159-168.

[10] RACKER/ RACKER 1981, 266.

[11] Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA), Historische Meldeunterlagen, Auskunft vom 26. 3. 2014.

[12] Auskunft von Nitra Hillyer, 2014.

[13] LANOUETTE 1992, 161-168, 230-234; 321.

[14] Auskunft von Nitra Hillyer, 2014.

[15] Auskunft von Ann Racker Costello.

[17] vgl. Association News, in: American Journal of Public Health (AJPH), 36/7,39/2, 39/9, 39/12, 75/12.

[18] Clearinghouse for Research in Child Life: Research relating to Children. An Inventory of Studies in Progress, Supplement No. 1, reported July 1, 1949 – March 31, 1950. Washington 1950, No. 616D.

[19] RÖDER 1983; Lee ASH (Hg.), Biographical dictionary of librarians in the United States. 5th edition, Chicago 1970.

[20] Committee on Child Health of the American Public Health Association (Hg.): Health supervision of young children: A guide for practicing physicians and child health conference personnel. New York, 1. und 2. Auflage 1955, 3., überarbeitete Auflage 1960, 3.

[21] Committee on Child Health of the American Public Health Association (Hg.): Services for Children with Hearing Impairment: A Guide for Public Health Personnel, New York 1956, 3.

[22] RACKER/RACKER 1981, 266.

[23] News from the Field/AJPH 47, 1486.

[25] Auskunft von Ann Racker Costello.

[26] Arthur S. ABRAMSON, Edward F. DELAGI, Franziska RACKER, The therapeutic community: An approach to medical rehabilitation. In: Archives of Physical Medicine and Rehabilitation 44 (1963), 257-261.

[27] Bernard KUTNER, Franziska RACKER, Ruth ROSEN, Phyllis R SCHWARTZ, Rae Grant WEISSMANN, From hospital to community. A self-help program to promote the transition. Bronx, NY 1971.

[29] LANOUETTE 1992, 481.

[31] Daphne A. ROE, Physical Rehabilitation and Employment of AFDC Recipients. Report of the Division of Nutritional Sciences, Cornell University, Ithaca/NY, 30. 4. 1978, xxii, 120.

[34] Brown, Robert N., Sr. / Byers-Hinkley, Kathleen / Logan, Lynne: The Talus Control Ankle Foot Orthosis. In: Orthotics and Prosthetics 41/3 (1987), 22.

[36] Auskunft Ann Racker Costello; Medicine Online.

[38] Obituary. In: The Journal of the American Medical Association 282/1 (7. 7. 1999), 98.


Katharina Kniefacz


Franziska Weiss, Eintrag 4125 'Nichtarierpromotion' 21. Juli 1938, Promotionsprotokoll Medizinische Fakultät 1929-1942, Foto: Herbert Posch, (c) Archiv Universität Wien

Nationale von Franziska Weiss, Sommersemester 1936 (Vorderseite), Foto: Katharina Kniefacz (c) Archiv der Universität Wien

Nationale von Franziska Weiss, Sommersemester 1936 (Rückseite), Foto: Katharina Kniefacz (c) Archiv der Universität Wien

Franziska W. Racker mit Kindern (c) Franziska Racker Centers [http://www.rackercenters.org/images/etc/DrRackerAndKids.jpg]

Franziska Weiss bei ihrer Graduierung zum Master of Public Health, Harvard University (c) Ann Racker Costello

Franziska Weiss Racker mit ihrer Tochter Ann (c) Ann Racker Costello

Franziska Weiss Racker (c) Ann Racker Costello
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