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Leopold Ungar

Geb. am: 08. August 1912
Fakultät: Katholisch-Theologische Fakultät
Kategorie: Vertriebene Studierende
Dr. jur. Leopold UNGAR, geb. am 8. August 1912 in Wiener Neustadt, Niederösterreich/Österreich-Ungarn (heimatberechtigt 1938 in Eisenstadt, Burgenland/Österreich, Staatsbürgerschaft 1938: Österreich), Sohn des jüdischen Kaufmanns Gustav Ungar (geb. 1874, Weinhändler) und dessen Frau Malvine Blumschein-Boros (gest. um 1970 in São Paulo/Brasilien), wuchs gemeinsam mit seinen Schwestern Magda (geb. 1910) und Vilma (geb. 1915, später verh. Mayer) in Wiener Neustadt auf.
Während seiner Schulzeit lernte er die Schriften von Karl Kraus kennen, der 1899 aus der israelitischen Kultusgemeinde austrat, 1911 getauft wurde und 1923 seinen Austritt aus der katholischen Kirche erklärte. Kraus wurde für viele Jahre Ungars Leitbild. Im Alter von 16 Jahren besuchte er das erste mal eine Lesung von ihm:
"Da war für mich endlich jemand, der entschieden gegen jene spießbürgerliche Moral des 19. Jahrhunderts auftrat, die sich damit begnügte, Anständigkeit im privaten Leben zu üben. Karl Kraus vermittelte uns eine Moral, die sich als Verantwortung verstand für das, wa sin der Welt geschieht, zunächst und vor allem im eigenen Land. In diesem Sinne lasen wir auch damals seine 'Letzten Tage der Menschheit'." (Aussage Ungars, zit. nach HITI 1992, 68) Nach der Reifeprüfung begann Ungar im Wintersemester 1930/31 ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Wien, widmete sich aber daneben weiterhin ausgiebig dem Wiener Kulturleben. Gemeinsam mit Freunden organisierte er am 14. Dezember 1930 eine Karl Kraus-Vorlesung für Wiener Gymnasiasten, bei der er sein Vorbild auch persönlich traf. Später lernte er auch Anton von Webern und Alban Berg kennen. Karl Kraus sowie die Lektüre von Philosophen und Dichtern führten bei Leopold Ungar zu einer Annäherung an die katholische Kirche. Daneben begann er auch, sich intensiv mit Thomas von Aquin zu beschäftigen.
Am 8. April 1935 ließ sich Leopold Ungar taufen  und absolvierte im Juli 1935 Exerzitien in Seckau. Im September des gleichen Jahres trat er in das Wiener Priesterseminar ein. Kurz nach Beginn des Priesterseminars beendete er sein Jusstudium und promovierte noch 1935 an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien zum 'Dr.jur.'.
Da er seine Zukunft weniger in der Arbeit als Pfarrer und Seelsorger, sondern als Theologe an einer Hochschule oder in einem Orden sah, begann er neben dem Priesterseminar an der Universität Wien Theologie zu studieren. Er wohnte zu diesem Zeitpunkt in Wien 9, Boltzmanngasse 9, und war zuletzt im Sommersemester 1938 an der Katholisch-Theologischen Fakultät im 8. Studiensemester inskribiert (im Sommersemester 1938 im Rahmen des Numerus clausus für jüdische Studierende noch zum Weiterstudium zugelassen). Da Leopold Ungar – obwohl katholischer Geistlicher – nach nationalsozialistischen Rassegesetzen als "Jude" galt, emigrierte er nach dem "Anschluss" nach Paris/Frankreich, wo er im September 1938 ankam. Seine ältere Schwester Magda war bereits vor dem "Anschluss" mit ihrem Ehemann nach England emigriert, seine jüngere Schwester Vilma konnte später mit der Mutter nach Bolivien flüchten. Das Vermögen der Familie wurde "arisiert". In Paris konnte er sein Theologiestudium am renommierten Institut Catholique fortsetzen, erhielt die Weihen des Subdiakonats, dann Diakonat und bestand die Lizentiatprüfung, die ihn berechtigte, an einem Seminar oder einer katholischen Universität zu lehren. Am 29. Juni 1939 wurde Ungar in Paris zum Priester geweiht, am folgenden Tag hielt er die Primiz, die erste selbst zelebrierte Messe.
Im Sommer 1939 besuchte er seine Schwester Magda in Oxford/Großbritannien und kehrte anschließend wieder nach Frankreich zurück, um Kaplan in Meudon bei Paris zu werden (Erzdiözese Saint-Brieuc) und sein Studium der Theologie bis zum Doktorat fortzusetzen.
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs im September 1939 wurde Leopold Ungar als "feindlicher Ausländer" in ein Internierungslager gebracht, wo er sich als Seelsorger für Gefangene betätigte. Nach seiner Entlassung unterrichtete er auch Englisch an einem Militärgymnasium. Im Juni 1940 flüchtete Ungar vor dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht nach Großbritannien, wo er zunächst als „enemy alien“ in verschiedene Internierungslager gebracht wurde, zuletzt in Preesheath. Dort betreute er die deutschsprachigen Gefangenen wieder als Seelsorger und traf hier auch einige ehemalige Lehrende der Universität Wien, darunter Johannes Messner, Stefan Jellinek [34394] und Friedrich Waismann. Nach seiner Entlassung im Dezember 1940 wurde er Kaplan in Cavershall bei Stoke-on-Trent. Er besuchte seine Schwester in Oxford sowie Prof. Mesner in Birmingham, mit dem eine Freundschaft entstand.
Nach der Landung der Alliierten an der französischen Küste 1944, kamen auch immer mehr Kriegsverwundete und Kriegsgefangene nach Großbritannien. Leopold Ungar reiste durch Spitäler und Kriegsgefangenenlager, um diese als Seelsorger zu betreuen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte Leopold Ungar im September 1947 nach Wien zurück, wo ihm das erzbischöfliche Ordinariat eine Stelle als Kaplan in Wien 12 (Meidling) zuwies. In dieser Eigenschaft hielt er auch die Sonntagsmesse für englische Besatzungssoldaten in der Meidlinger Kaserne und unterrichtete Religion an einer Volksschule. Im September 1948 wurde er in die Pfarre St. Elisabeth in Wien 4 (Wieden) versetzt.
Aufgrund seiner Sprachkenntnisse und seiner juristischen Ausbildung wurde Leopold Ungar von Prälat Jakob Weinbacher (später Weihbischof) ausgewählt, um als Sekretär der Caritas die Administration der dringend notwendigen alliierten Hilfslieferungen für die Bevölkerung Wiens zu übernehmen. Noch 1948 übernahm er diese Funktion und war daneben weiterhin nachmittags in der Pfarre tätig. Um Spendengelder zu sammeln reiste er nach Südamerika, hielt Vorträge, sprach im Rundfunk und reiste als Seelsorger und Priester durch Brasilien, Argentinien und Chile. In São Paulo/Brasilien besuchte er auch seine Schwester Vilma und seine Mutter, die sich nach Bolivien dort niedergelassen hatten. 1950 folgte er Weinbacher nach und wurde von Kardinal Theodor Innitzer zum Leiter der Caritas der Erzdiözese Wien ernannt. Er baute die Aktivitäten der Caritas aus, die ab Mitte der 1950er Jahre wesentliche Hilfsaktionen im Ausland leisten konnte, erstmals für die Flüchtlinge des ungarischen Volksaufstandes1956. Daneben betätigte sich Ungar in der Seelsorge von Strafgefangenen, Geisteskranken und Lebensmüden.
1953 wurde er zum Monsignore und 1963 zum Prälaten ernannt. 1964 wurde er zudem Präsident der Caritas in Österreich.
In den vier Jahrzehnten seiner Tätigkeit für die Caritas baute er diese mit einer eigenen Auslandshilfeabteilung, Obdachlosenheimen und Flüchtlingshilfe stark aus. Er war als energischer Kritiker in humanitären Fragen bekannt, trat u.a. öffentlich gegen den Vietnam- und Golfkrieg auf und wies wiederholt auf die Dringlichkeit der Hilfeleistungen hin:
"Es gibt keine Entschuldigung dafür, und das heißt, daß wir kolossale Schuld auf uns laden, wenn wir ganze Völker verelenden und verhungern lassen, während wir Milliardenbeträge für das Horten unserer landwirtschaftlichen Überschußprodukte ausgeben, wenn wir nicht gar unseren Ernteüberschuß vernichten, nur um die Preise stabil zu halten. Nein, es gibt keine Ausreden!" (Aussage Ungars, zit. nach HITI 1992, 242)
Für sein Engagement wurde Leopold Ungar 1986 die Prof.-Dr.-Julius-Tandler-Medaille der Stadt Wien in Gold, der Dr.Karl Renner-Preis und 1978 das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien verliehen. Aus Alters- und Gesundheitsgründen legte Ungar am 17. November 1988 legte sein Amt als Wiener Caritasdirektor zurück, im Mai 1991 auch seine Funktion als österreichischer Caritas-Präsident.
Leopold Ungar starb am 30. April 1992 im Alter von 79 Jahren in Wien an Krebs und wurde auf dem Kahlenbergerfriedhof in Josefsdorf bestattet. In Gedenken an Ungar wurde 2004 der österreichische Journalistenpreis in "Prälat Leopold Ungar JournalistInnenpreis" benannt. 2014 erfolgte die Benennung des Leopold-Ungar-Platzes in Wien 19 nach ihm.


Lit.: Max J. HITI, Leopold Ungar. Ein Porträt, Graz 1992; Franz Richard REITER, Hg., Wer war Leopold Ungar?, Wien 1994; CZEIKE Bd. 5 1997; RÖDER Bd. 1 1980; Caritas Wien: Prälat Leopold Ungar; Orf.at: 100. Geburtstag von Leopold Ungar; Wien Geschichte Wiki; KNIEFACZ/POSCH 2017c.


Katharina Kniefacz


Nationale von Leopold Ungar, Wintersemester 1937/38 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Leopold Ungar, Wintersemester 1937/38 (1. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Leopold Ungar, Sommersemester 1938 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Leopold Ungar, Sommersemester 1938 (1. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Lepold Ungar
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