Universität Wien - Startseite

Karl Motesiczky

Geb. am: 27. Mai 1904
Fakultät: Medizinische Fakultät | Medizin Universität Wien
Kategorie: Vertriebene Studierende
Karl Wolfgang Franz Graf MOTESICZKY, geb. am 27. Mai 1904 in Wien (heimatberechtigt in Wien, Staatsbürgerschaft: Österreich), war der Sohn von Edmund von Motesiczky (1866 1909, Chemiker) und dessen Ehefrau Baronin Henriette von Motesiczky, geborene von Lieben. Gemeinsam mit seinen Eltern und seiner jüngeren Schwester Marie-Louise Motesiczky (1906-1996) lebte er in Wien 4, Brahmsplatz. Die Familie hatte daneben eine Villa in Hinterbrühl/Niederösterreich. Karl Motesiczky besuchte ab 1914 das Kaiser-Franz-Joseph-Realgymnasium in Wien 1, Stubenbastei, und absolvierte daneben ab 1920 an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst ein Cellostudium. 
Nach der Reifeprüfung nahm er zunächst ein Studium der Medizin an der Universität Wien auf, wechselte wenig später an die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät. Seit 1925 zählte er zum Freundeskreis des Schriftstellers Heimito von Doderer und organisierte für ihn Lesungen in Wien und später auch in Heidelberg. 1926 verließ er Österreich für sieben Jahre und studierte zunächst in Heidelberg Medizin, wechselte 1927 zu Jus, um sich im selben Jahr der Theologie zuzuwenden. In Heidelberg begann auch Karl Motesiczkys politisches Engagement im Rahmen der Sozialistischen Studentenschaft, später auch in der KPD, das er auch weiter betrieb, als er im Wintersemester 1929/30 sein Theologiestudium an der Universität Marburg fortsetzte. 1931 übersiedelte er nach Berlin, wo er Wilhelm Reich, Lehranalytiker des Berliner Psychoanalytischen Instituts und Sexualpolitiker der KPD, kennenlernte, bei dem er sich einer Analyse unterzog. Er arbeitete in der Folge eng mit Reich im Bereich der Sexualpolitik innerhalb der KPD zusammen.  Im März 1933 – nach der Machtübernahme des Nationalsozialismus in Deutschland – kehrten Karl Motesiczky und Wilhelm Reich zunächst nach Wien zurück. Wegen der politischen Bedrohung durch das austrofaschistische Regime, das gerade in Österreich die Macht übernommen hatte, wählten sie wenig später den Weg ins Exil nach Dänemark. Am 1. Mai 1933 kam Karl Motesiczky in Kopenhagen an. Er widmete sich dem Aufbau der von Reich gegründeten skandinavischen Sexpol-Bewegung, auch als er und Wilhelm Reich im Herbst 1934 nach Oslo/Norwegen übersiedelten:
"In den folgenden vier Jahren fungierte er als politischer Sprecher der Gruppe und veröffentlichte in der 'Zeitschrift für Politische Psychologie und Sexualökonomie', dem Organ der Sexpol, mehrere kritische Beiträge zur Politik der Kommunistischen Partei, zur Sexualpolitik sowie religionspolitische Arbeiten. In Skandinavien stand er mit den führenden Vertreterinnen des dänischen und norwegischen Kulturradikalismus, wie etwa Sigurd Hoel, Arnulf Øverland und Helge Krog, in Verbindung und stellte die ersten Kontakte zwischen Bertolt Brecht und dänischen Künstlerinnen her." (ROTHLÄNDER 2010, 8)
Motesiczky publizierte zwischen 1934 und 1938 unter dem Pseudonym Karl Teschitz einige Artikel sowie das religionskritische Buch "Religion, Kirche, Religionsstreit in Deutschland" (1935). Daneben nahm er in Oslo sein Medizinstudium wieder auf und begann unter der Aufsicht Reichs erste PatientInnen als Psychoanalytiker zu behandeln. Die Sexpol verlor jedoch nach wenigen Jahren als politische Organisation an Bedeutung.
Ende 1937 kehrte er nach Wien zurück. Er inskribierte für das Sommersemester 1938 wieder an der medizinischen Fakultät der Universität Wien.  Nach dem "Anschluss" flüchteten seine Mutter und seine Schwester noch im März 1938 zunächst in die Niederlande, im Frühjahr 1939 emigrierten sie weiter nach London/Großbritannien. 
Karl Motesiczky entschied sich jedoch in Wien zu bleiben. Er galt als 'Mischling 1. Grades' und konnte sein Studium - bei jederzeitigem Widerruf - im Wintersemester 1938/39 an der Medizinischen Fakultät vorläufig fortsetzen. Daneben arbeitete er auch am Anatomischen Institut, wurde aber Anfang Dezember 1938 vom Leiter der Außenabteilung des NSDAP-Studentenbundes, Robert Katschinka, beim Dekanat der Medizinischen Fakultät denunziert:
"Karl Motesiczky, Student der Medizin im 3. Semester arbeitet im anatomischen Institut bei Doz. Giesel. Der Besagte ist ferner Mitgliedsanwärter des Deutsch-Ausländischen Studentenklubs. Die in diesem Zusammenhang gemachten Erhebungen ergaben die Tatsache, dass Besagter Halbjude ist. [...] Ich bitte nun, unter Hinweis auf die diesbezüglichen Gesetze den Zulassungsschein des Besagten zu überprüfen." (zit. nach ROTHLÄNDER 2010, 321) Sein Studium konnte er dennoch im Sommersemester 1939 im 4. Studiensemester fortführen (Sommersemester 1939 wurde ihm am 1. September 1939 als gültig angerechnet) und er bestand auch das 1. Rigorosum. Daneben begann er eine private psychoanalytische Ausbildung bei August Aichhorn (ab 1941 auch eine Analyse), als "Mischling 1. Grades" hatte er jedoch kaum Chancen, die Approbation als Psychoanalytiker zu erhalten.  Karl Motesiczky wohnte laut Inskriptionsscheinen in Wien 4, Brahmsplatz 7, später  in Wien 4, Operngasse 25, besonders wurde in den Jahren ab 1938 aber sein Anwesen in Hinterbrühl zu einem wichtigen Lebensmittelpunkt. Dort beherbergte er zahlreiche jüdische sowie politisch verfolgte FreundInnen. Während seines Studiums lernte er im Herbst 1938 das Ehepaar Ella Lingens und Kurt Lingens kennen. Mit ihnen sowie anderen FreundInnen bildete er ab 1939 eine kleine Widerstandsgruppe, die vielen Verfolgten half sich vor der Gestapo zu verstecken und zu emigrieren. Um als "Mischling 1. Grades" nicht weitere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, meldete er sich 1940 zur Wehrmacht, wurde jedoch wenig später wieder entlassen.  Als "Mischlinge" ab dem 1. Trimester 1940 ein Gesuch an das Reichserziehungsministerium Berlin um Studienzulassung stellen mussten, reichte auch Karl Motesiczky im April 1940 ein Ansuchen zur Fortsetzung seines Studiums ein (mit dem Einberufungsbefehl als Nachtrag). Gemäß Vorschrift legte der Dekan der zuständigen Medizinischen Fakultät, Eduard Pernkopf, dem Antrag ein mit 7. Mai 1940 datiertes Gutachten, das "insbesondere auf den persönlichen Eindruck über die Persönlichkeit und das Aussehen des Gesuchstellers einzugehen [hatte]. Dabei ist zu erwähnen, ob und inwieweit Merkmale der jüdischen Rasse beim Gesuchsteller äußerlich erkennbar sind." [Erlass des Reicherziehungsministeriums, 5. Jänner 1940]. Er stellte fest: "Mischling I. Grades mütterlicherseits. Er hat das I. Rigorosum mit gutem Erfolg abgelegt. Über seine sonstige Haltung ist mir nichts Nachteiliges bekannt geworden. Er steht derzeit im Wehrdienst. An seinem Äusseren ist nichts Jüdisches zu entdecken."
Das Reichserziehungsministerium entschied nach Absprache mit dem Reichsinnenministerium am 26. Juni 1940, Motesiczky "ausnahmsweise" zur Fortsetzung seines Studiums und Zulassung zum II. und III. Rigorosum zuzulassen, als Arzt werde er jedoch nicht zugelassen:
"Jüdischen Mischlingen 1. Grades muss grundsätzlich die Bestallung als Arzt versagt werden. Da Sie jedoch das I. Rigorosum (die ärztliche Vorprüfung) bereits bestanden haben, so dürfen Sie ausnahmsweise mit Genehmigung des Herrn Reichsministers des Innern noch die ärztliche Prüfung bezw. das II. und III. Rigorosum) ablegen unter dem ausdrücklichen Hinweis, dass Sie die Bestallung als Arzt nicht erhalten werden." Im Sommer 1942 entschloss sich die Widerstandsgruppe um Karl Motesiczky, Ella und Kurt Lingens, zwei Ehepaare, die aus Polen nach Wien geflüchtet waren, zur Flucht in die Schweiz zu helfen. Der Fluchtversuch missglückte, da ein Mittelsmann sie an die Gestapo verriert. Sie wurden im September 1942 an der Schweizer Grenze in Feldkirch/Vorarlberg verhaftet und in das Wiener Gestapohauptquartier überstellt. Nachdem sie kurzzeitig freigelassen wurden, wurden Karl Motesiczky, Ella Lingens und Aladar Döry  am 13. Oktober 1942 endgültig verhaftet und der gesamte Besitz Motesiczkys von der Gestapo beschlagnahmt. Die drei Verhafteten wurden am 16. Februar 1943 in das Konzentrationslager Auschwitz [Oświęcim] deportiert, wo Karl Motesiczky wenige Monate später am 25. Juni 1943 starb (Häftlingsnummer 103.784). Auf dem Anwesen in Hinterbrühl, das nach Kriegsende an seine Mutter und seine Schwester restituiert wurde, entstand 1957 ein SOS-Kinderdorf. 1961 wurde dort ein Gedenkstein für Karl Motesiczky enthüllt, 2007 auf Initiative der Gemeinde Hinterbrühl außerdem ein "Stolperstein" zu seinem Gedenken verlegt.
Karl Motesiczky wurde 1980 gemeinsam mit Ella und Kurt Lingens als "Gerechter unter den Völkern" geehrt.
Lit.: POSCH/INGRISCH/DRESSEL 2008, 441; Archiv der Universität Wien: Medizinische Fakultät: Nationale 1938-1939; DÖW 2001; Christiane ROTHLÄNDER, Karl Motesiczky 1904 - 1943. Eine biografische Rekonstruktion, Wien u.a. 2010; KNIEFACZ/POSCH 2016; Matthias Kamleitner, Verfolgung zwischen "Anschluss" und Holocaust, in: Florian Wenninger u. Jutta Fuchshuber, Hg., Ich bin also nun ein anderer. Die jüdische Bevölkerung der Wieden 1938-1945, Wien 2017, 28-69, 62 bzw.: http://www.juedischewieden.at/der-helfer-karl-motesiczky/.

Katharina Kniefacz


Nationale von Karl Motesiczky, Sommersemester 1938 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Karl Motesiczky, Sommersemester 1938 (1. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Karl Motesiczky, Sommersemester 1938 (2. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Karl Motesiczky, Sommersemester 1938 (2. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Karl Motesiczky, Wintersemester 1938/39 (1. Formular Vorderseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Karl Motesiczky, Wintersemester 1938/39 (1. Formular Rückseite), Foto: H. Posch (c) Universitätsarchiv Wien

Nationale von Karl Motesiczky, Sommersemester 1939 (Vorderseite), Foto: Katharina Kniefacz (c) Archiv der Universität Wien

Nationale von Karl Motesiczky, Sommersemester 1939 (Rückseite), Foto: Katharina Kniefacz (c) Archiv der Universität Wien

Karl Motesiczky: "Mischlingsgutachten" des Dekans der Medizinischen Fakultät zum Ansuchen um Fortsetzung des Studiums, 7.5.1940, Foto: Katharina Kniefacz (c) Archiv der Universität Wien

Karl Motesiczky: Feldpostkarte an das Dekanat der Medizinischen Fakultät, 12.5.1940, Foto: Katharina Kniefacz (c) Archiv der Universität Wien
Für Fragen oder Kommentare zu dieser Person benützen Sie bitte unser: » Feedback-Formular.